Iris Bleeck aus Rösberg Immer wieder die Insel

Bornheim-Rösberg · Die in Rösberg lebende Autorin Iris Bleeck las in Brühl aus ihrem Buch „Rügen Impressionen – Geschichten am Wegesrand“.

 Autorin Bleeck: Die Autorin Bleeck mit ihrem aktuellen Buch "Rügen Impressionen".

Autorin Bleeck: Die Autorin Bleeck mit ihrem aktuellen Buch "Rügen Impressionen".

Foto: Roland Kohls

Sanft wiegen die Ähren des Kornfeldes im lauen Sommerwind, Schönwetterwolken ziehen über den blauen Himmel, und der sattgelbe Goldfelberich reckt sich der Sonne entgegen. Nachdem Iris Bleeck im Jahr 1978 ihrer Heimat Rügen der Liebe wegen den Rücken gekehrt und in den Westen umgesiedelt war, fand sie für sich und ihre Familie auf dem Vorgebirgskamm in Rösberg einen wunderschönen Platz zum Leben.

Auch wenn das Vorgebirge mit der mystischen, wilden, ursprünglichen Landschaft der größten deutschen Insel nicht viel gemeinsam hat, liebt Iris Bleeck den Blick aus dem Wohnzimmerfenster ihres Hauses – denn er ist weit und frei und unverbaut.

Begonnen hat das Leben der Autorin in bedrückender Enge: Mit acht Personen lebte sie als Kleinkind auf 16 Quadratmetern in einer Notunterkunft in Sellin, nachdem sie mit ihrer Familie 1946 aus dem Sudentenland vertrieben worden war und nach Rügen gelangte. Anschließend zog sie mit der Mutter und der älteren Schwester in eine schilfbedeckte, altersschwache Bauernkate.

„Wir lebten symbiotisch: Das Haus gab uns Schutz vor Regen und Sturm, und wir wärmten es mit unserem Dasein. Nur im Winter ließ es gnadenlos den Frost durch alle Ritzen, dessen eisiger Atem sich auf meine mit Wasser gefüllte Wasserschüssel legte“, schreibt die 72-jährige dreifache Mutter und siebenfache Großmutter in ihrem Buch „Rügen Impressionen – Geschichten am Wegesrand“, das sie am Dienstag in der Brühler Buchhandlung Karola Brockmann vorstellte.

Vier Tage lang wanderte sie für das 78 Seiten starke, mit vielen bildhaften Eindrücken versehene Werk, in Begleitung von Familienhund Charly durch den Süden der Insel und ließ sich leiten von den Erinnerungen ihrer Kindheit. „Einen Wanderführer hätte ich nicht schreiben können – und nicht schreiben wollen“, erklärt Bleeck.

„Wir lebten symbiotisch: Das Haus gab uns Schutz vor Regen und Sturm"

Wenn die Autorin, die viele Jahre als Heilpraktikerin arbeitete, von ihrer Kindheit und Jugend erzählt, ahnt man, warum sie statt der schicken Seebäder den wenig bekannten Teil des Eilands mit seiner morbiden Schönheit tief in ihrem Herzen trägt. „Hier ist mir fast jeder Weg aus meiner Kindheit vertraut. Das verführt mich oft zum Innenhalten, zum Verweilen, zum Eintreten durch den längst gefallenen Vorhang der Vergangenheit“, schreibt sie. Sie habe Geschichten gesammelt, mit Einheimischen am Gartenzaun gesprochen und dabei Rotz und Wasser geheult.

Trotz ihrer Armut habe sie eine glückliche Kindheit gehabt, ist die 72-Jährige überzeugt. „Wir lebten in kollektiver Armseligkeit, der Tod war allgegenwärtig. Aber wir haben gelernt zu überleben, konnten Feuer machen, kochen, improvisieren und entwickelten so eine hohe emotionale Intelligenz.“ Obwohl sie die Schule nicht sonderlich interessierte, habe sie einen Zugang zur Bildung erhalten. Bücher und Geschichten seien ihrer Mutter trotz der vielen Arbeit immer wichtig gewesen.

Nach dem Abitur absolvierte sie eine Ausbildung zur Krankenschwester – eine Entscheidung, die ebenfalls aus ihren Kindheitserfahrungen resultierte, meint Bleeck. „Hilfsbereitschaft war überlebenswichtig. Wir hatten Respekt vor dem Leben.“ Zum Schreiben kam sie erst Jahre später. Nachdem sie Kontakt zum Esoterik-Autor und Literaturagenten Wulfing von Rohr aufgenommen hatte, gab sie als Heilpraktikerin zwei Ratgeber heraus. Mit „Vertrieben ins Paradies“ arbeitete sie später ihre Kindheit auf Rügen literarisch auf.

Rügen legte auch den Grundstein für ihre unerschöpfliche Neugier, ihre Fantasie und den Mut, sich außergewöhnlichen Situationen zu stellen, ob im Regenwald in Peru oder mit Indianern im kanadischen Busch. 1998 war es, als Iris Bleeck den Rucksack packte und sich ihren Wunsch, einmal mit Indianern zu leben, erfüllte.

„Hier in unserem schönen, warmen, sicheren Zuhause war mir das ‚Überleben üben’, das mein Leben geprägt hat, abhanden gekommen“, beschreibt sie ihren Antrieb. Das Elend, das ihr in den Indianerreservaten entgegenschlug, machte sich sprachlos. Aber mit Hartnäckigkeit und Überzeugungsfähigkeit gelang es ihr schließlich, das Vertrauen der Ureinwohner zu gewinnen und ihren großen Wunsch – eine Teilnahme am Sonnentanz – zu verwirklichen.

Was so harmlos klingt, hat es in sich, denn bei diesem rituellen Trancetanz nehmen die Teilnehmer große Entbehrungen auf sich und fügen sich selbst Schmerzen und Verletzungen zu, um einen anderen Bewusstseinszustand zu erlangen oder um Heilung von einer Krankheit zu erbitten. Vier Mal unterzog sich Iris Bleeck dieser Tortur.

Doch die Schriftstellerin hat auch Heiteres zu berichten: Aus der Episode, in der sie in der kanadischen Wildnis Hollywood-Star Kevin Costner nach dem richtigen Weg fragte – und ihn noch nicht mal erkannte – ließe sich sicher amüsanter Lesestoff weben. Doch erst einmal liegt eine Familiengeschichte auf dem Schreibtisch im Arbeitszimmer mit der wunderschönen Aussicht auf das Kornfeld. Ort der Handlung: Rügen. Immer wieder Rügen.

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