WM-Finale 1954 "Ein herausragendes Ereignis"

Vorgebirge/Voreifel · Public Viewing anno 1954: Beim Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft in Bern hatten nur wenige Privathaushalte Fernseher, man war auf Kneipen oder Schaufenster angewiesen.

 Der deutsche Stürmer Hans Schäfer (Mitte, links) und der ungarische Torhüter Gyula Grosics (Mitte, rechts) verpassen den Eckball, den Stürmer Helmut Rahn (nicht im Bild) aufnimmt und einschießt. Die ungarischen Spieler Gyula Lorant (l.) und Mihaly Lantos (r.) am Pfosten schauen gebannt zu.

Der deutsche Stürmer Hans Schäfer (Mitte, links) und der ungarische Torhüter Gyula Grosics (Mitte, rechts) verpassen den Eckball, den Stürmer Helmut Rahn (nicht im Bild) aufnimmt und einschießt. Die ungarischen Spieler Gyula Lorant (l.) und Mihaly Lantos (r.) am Pfosten schauen gebannt zu.

Foto: dpa

In Heimerzheim stand ein TV-Gerät im Saal der Gaststätte "Zur Linde". An die 200 Fußballbegeisterte drängten sich vor dem kleinen Schwarz-Weiß-Bildschirm, erzählt Matthias Schneider, der damals selbst Fußball spielte. Man feierte gerade Schützenfest. Nach dem frühen 2:0 für Ungarn glaubte keiner mehr an die Elf von Sepp Herberger, zumal das erste Spiel gegen die hoch favorisierten Magyaren bereits mit 3:8 verloren worden war. Aber es kam ja bekanntlich anders.

"Da war einer, der hielt mit Ungarn", erinnert sich Schneider. "Als das 3:2 fiel, hab ich ihm den Hut vom Kopf gehauen, aber nicht aus Blödsinn, sondern vor Freude". Schneider war damals 20 und ging nach dem "Wunder" mit den anderen auf den Schützenplatz, wo kräftig gefeiert wurde.

In der Rheinbacher Weinstube Streng saß Fritz Berg zusammen mit drei Freunden vor dem größten Nordmende-Fernseher, den es damals gab, mit einem Durchmesser von 40 bis 45 Zentimetern. Es war "ein herausragendes Ereignis, denn es gab ja sonst nicht viel, wir waren ganz heiß drauf", erinnert sich der Gründer des Brauchtumsvereins. Ein temperamentvoller Fußballfan zog bei jedem Tor seine Jacke aus, schwenkte sie begeistert und versperrte damit einigen der übrigen 45 Zuschauer kurz den Blick.

Berg und seine Freunde hatten verabredet, dass jeder für jedes Tor eine Runde ausgeben musste. Das machte am Ende 15 Runden und für jeden 15 Bier. Bei einem Bierpreis von 35 Pfennig und einem Wocheneinkommen von gut 60 Mark war das kein Pappenstiel. Am Ende waren alle drei abgebrannt, wollten aber zum Feiern noch weiter durch Rheinbachs Kneipen ziehen. Einer der drei, ein Gärtner, hatte eine Idee: Er hatte für eine Beerdigung kurz zuvor einen Kranz ausgeliefert, der noch nicht bezahlt war. Also suchten sie den Kunden auf, kassierten zehn Mark für den Kranz, konnten etwas essen und weiter feiern.

Peter Lingk aus Meckenheim war 16, als die deutschen Fußballer erstmals nach dem Krieg wieder international von sich reden machten. Er hatte zusammen mit anderen Gymnasiasten aus Wickede an der Ruhr gehört, dass in der dortigen Schützenhalle ein Fernseher stand. "Die Leute strömten da hin", erinnert er sich. "Wir sind dann nach vorne gekrochen ... und haben die Tore mitgekriegt." Der Bildschirm war nicht viel größer als heutige Computer-Monitore. Dennoch gerieten die 200 Zuschauer aus dem Häuschen, das Geschrei war groß. Lingks Lieblingsspieler war Fritz Walter, den er endlich einmal zusammen mit anderen Größen wie Toni Turek, Werner Liebrich, Josef Posipal und Horst Eckel sehen konnte. Von den Ungarn sind ihm Nandor Hidegkuti und natürlich der unvergessene Ferenc Puskas in Erinnerung geblieben. Nach dem Spiel mussten die Schüler nach Hause, aber in der Schützenhalle ging die Post ab.

Manfred Nieß aus Alfter war 13 Jahre alt, als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zum ersten Mal wieder an einer Fußball-WM teilnehmen durfte. "Einen Fernseher hatten wir damals nicht. Aber im Radio haben wir das Spiel gegen Ungarn verfolgt. Später gab es in der Wochenschau, die im Kino in Alfter lief, natürlich auch Ausschnitte des Wunders von Bern zu sehen", blickt der heute 73-Jährige auf den 4. Juli 1954 zurück. Und obwohl sein Vater und er keine großen Fußballfans waren, ist ihm der Gefühlsausbruch von Herbert Zimmermann, der mit seinem Ausruf "Aus! Aus! Aus! Das Spiel ist aus! Deutschland ist Weltmeister!" Geschichte machte, noch wie gestern im Ohr.

Auch der Witterschlicker Helmut Fuhs (73) erinnert sich an Herbert Zimmermanns legendäre Reportage und daran, dass Zimmermann nach seinem Unfalltod auf dem Friedhof in Witterschlick beerdigt wurde. "In ganz Witterschlick gab es damals nur einen einzigen Fernseher, und wir sind mit einer ganzen Mannschaft mit dem Fahrrad nach Flerzheim in die heutige Gaststätte Schäfer gefahren, um das Spiel zu erleben. Das Lokal war rappelvoll und die Stimmung ungeheuer emotional." Beim 0:2 für Ungarn hatten die Zuschauer fast schon aufgegeben. "Als das Spiel dann die Wendung nahm und es schließlich 3:2 für Deutschland stand, haben gerade die Älteren Rotz und Wasser geheult. In dem Moment ist vieles von dem, was diese Generation in den Jahren zuvor erlebt hat, herausgeplatzt. Endlich konnten sich auch die Deutschen wieder freuen", sagt Fuhs. Die Leidenschaft für Fußball hat ihn vielleicht wegen dieses Spiels nie losgelassen. Der heutige Ehrenvorsitzende des TB Witterschlick hat viele Jahre selbst gespielt und später als Spielertrainer junge Talente ausgebildet.

"Helmut Rahn war damals die überwältigende Kraft in der deutschen Mannschaft, und als er in der 84. Minute das 3:2 schoss, gab es einen großen Aufschrei", berichtet Engelbert Wirtz (77), der ehemalige Ortsvorsteher von Walberberg. Er sah das Spiel als 16-Jähriger zu Hause vor einem eigenen Fernseher. "Keiner hatte mit einem Sieg der deutschen Mannschaft gerechnet, da das Team zuvor gegen Ungarn verloren hatte." bep

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