Interview mit Claudia Posche „Sie waren eigenständige Denkerinnen“

Alfter · Gespräch am Wochenende: Die Altenberger Dom-Pfarrerin Claudia Posche spricht im Interview über Frauen der Reformation.

 Pfarrerin Claudia Posche.

Pfarrerin Claudia Posche.

Foto: Porsche

Wäre die Reformation ohne Frauen anders verlaufen?

Claudia Posche: Auf jeden Fall! Die Reformation konnte gerade durch die Unterstützung von Frauen, nicht nur die der Ehefrauen von Reformatoren, ihr revolutionäres Potenzial entfalten.

Welche gesellschaftliche Rolle spielten Frauen zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Deutschland?

Posche: Adelige Frauen waren einflussreich, wie etwa Argula von Grumbach und Elisabeth von Calenberg-Göttingen. Frauen waren einflussreich im Handel. In Köln hatten sich drei Frauen-Zünfte etabliert: die Garnmacherinnen und die Goldspinnerinnen seit dem 14. Jahrhundert und die Seidmacherinnen. Die Seidmacherinnen erhielten im 15. Jahrhundert das Zunftrecht und bildeten sich zu einer bedeutenden Wirtschaftskraft heraus. Sie beherrschten bis ins 16. Jahrhundert die Seidenweberei in Köln. Bürgerliche Frauen und Bäuerinnen erledigten häusliche Arbeit oder arbeiteten in den Tuchmanufakturen.

Und welche Rolle hatten Frauen innerhalb der Kirche?

Posche: Äbtissinen hatten Einfluss auf die Menschen, die um die Klöster lebten und arbeiteten, wie etwa Theresa von Avila, die in ganz Europa bekannt war und Adelige und Geistliche beriet. Auch Katharina von Bora und andere Ehefrauen von Reformatoren hatten durch ihre Zeit im Kloster Bildung und Selbstbewusstsein erworben.

Wie hat Katharina von Bora ihren späteren Ehemann Martin Luther kennengelernt?

Posche: Die zwölf Ordensfrauen aus Nimbschen kamen in Wittenberg bei reformatorisch gesinnten Familien unter, Katharina wohl bei Cranachs. Dort wird sie Luther begegnet sein.

Sie soll in einem Heringsfass aus dem Kloster Marienthron geflohen sein. Ist dies eine Legende oder historisch belegt?

Posche: Es ist wohl eher legendarisch. Möglicherweise hat Leonhard Koppe, ein Ratsmann aus Torgau, die Flucht organisiert. Er belieferte das Kloster als Großhändler unter anderem mit Fisch.

Welche Aufgabe fiel Katharina von Bora in der 1525 geschlossenen Ehe mit Luther zu?

Posche: Haushalt, Erziehung, Versorgung aller, die im „Schwarzen Kloster“ lebten, Unterweisung des Gesindes, karitative Aufgaben und Begleitung des Herrn Professor Luther bei repräsentativen Verpflichtungen, Bier brauen, Grundstücksgeschäfte und vieles mehr.

Die Ehe zwischen einem Mönch und einer Ordensfrau muss einen Skandal ausgelöst haben. War dem so?

Posche: Ja, vor allem Katharinas erste Schwangerschaft war von einem Volksaberglauben überschattet, der fabulierte, dass aus der Verbindung zwischen einem Mönch und einer Nonne der Antichrist hervorgehen würde.

War Katharinas Leben nach der Flucht aus dem Kloster in Gefahr? Nicht selten wurden solche Frauen ja als Hexen verbrannt.

Posche: Vor allem für die Fluchthelfer war das lebensgefährlich, denn wer eine Nonne aus dem Kloster entführte, war eigentlich zum Tode verurteilt.

Hatte Katharina von Bora Einfluss auf Luthers Theologie?

Posche: Vielleicht kann man sagen, sie hat seine Theologie vom Kopf auf die Füße gestellt.

Hat sie sein Temperament eher gebremst oder befeuert?

Posche: Die beiden waren sich sicher ebenbürtig, in ihrer leidenschaftlichen Liebe, wie auch in der Lust an der Auseinandersetzung.

Auch Melanchthon, Zwingli und Calvin waren verheiratet. Waren deren Ehefrauen für die Reformation bedeutend?

Posche: Ja, deshalb kommen sie auch in meinem Vortrag vor. Sie waren eigenständige Denkerinnen, die auf Augenhöhe die reformatorische Arbeit unterstützt haben. Und die Liebesgeschichte der Zwinglis könnte sogar als Grundlage für einen Rosamunde-Pilcher- Film dienen.

Welche weiteren Frauen stellen Sie in Ihrem Vortrag vor?

Posche: Argula von Grumbach, eine bayrische Hofdame, die die Reformation in Bayern unterstützt hat, zum Unmut ihrer Familie, Elisabeth Crutziger, unsere erste reformatorische Liederdichterin, und Katharina Zell, eine Straßburger Pfarrerin der ersten Stunde, allerdings ohne offizielles Amt.

Gibt es unter den Frauen des Reformationszeitalters eine, in deren Tradition Sie sich persönlich sehen?

Posche: Alle diese wunderbaren und mutigen Frauen, haben ihre Spuren in meiner Biografie hinterlassen, weil sie Wege geebnet haben. Als ich mich entschieden hatte, Theologie zu studieren, um Pfarrerin zu werden, waren die Einschränkungen für Frauen im Pfarramt noch nicht aufgehoben.

Wo ist der Einfluss der Frauen im Umkreis Luthers heute noch sicht- oder erlebbar?

Posche: An den vielen Frauen, die Kirche und Gesellschaft prägen und verändern, nicht nur in der evangelischen Kirche. Der offene Brief der Kölner katholischen Priester fordert ja auch das Priesteramt für Frauen, in der Hoffnung, dass auch in der katholischen Kirche das Engagement der Frauen und ihre Art, den Glauben zu leben, ihre Spiritualität und Seelsorge für die Kirche unverzichtbar ist.

Vortrag von Pfarrerin Claudia Posche „Frauen der Reformation“, Sonntag, 15. Januar, 18.30 Uhr, evangelisches Gemeindehaus, Jungfernpfad 15, Alfter-Oedekoven.

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