Amélie Schenk im Gespräch „Das Leben ist jetzt“

Alfter · Amélie Schenk ist Ethnologin und lebt die Hälfte des Jahres in der Mongolei, wo sie das Leben der Nomaden und den Schamanismus erforscht. Im Gespräch erzählt sie von ihrer Faszination für das ferne Land.

 Amélie Schenk (Mitte) lebt die Hälfte des Jahres mit den Nomaden in der Mongolei.

Amélie Schenk (Mitte) lebt die Hälfte des Jahres mit den Nomaden in der Mongolei.

Foto: Privat

Schon vor mehr als 25 Jahren bereisten Sie zum ersten Mal die Mongolei und sind seitdem regelmäßig dort. Lässt sich erklären, warum?

Amélie Schenk: Schon in der Kindheit haben mich Bücher von Fritz Mühlenweg und Sven Hedin inspiriert. Die Karamelkarawanen, die Weite, Nomaden und das einfache Leben haben mich immer schon fasziniert. Das wollte ich erforschen.

Und das hat dazu geführt, dass Sie Ethnologie studiert haben?

Schenk: Ach, das war erst viel später. Man fängt ja mit was ganz Solidem an. Architektur, Germanistik, Romanistik. Die Ethnologie ist ja etwas, was man eigentlich gar nicht studieren kann. Das muss man liebhaben. So was lernt man an der Universität nicht. Das muss man erleben.

Was kann man in der Mongolei erleben?

Schenk: Das einfache Leben. Wie lebt es sich in einer Jurte aus Filz, auf vielleicht zwanzig Quadratmetern? Wie ist die Haltung zur Welt? Das hat mich schon immer interessiert.

Und, wie ist die Haltung der Nomaden zur Welt?

Schenk: Zwischen „mir“ und „dir“ gibt es keinen Unterschied. Ich bin die Welt und die Welt bin ich. Und dieses Leben darf nicht untergehen. Man lebt mit dem, was man hat und benutzt es. Das Leben ist einfach. Es ist sparsam. Wenn das Kleid nicht mehr getragen werden kann, wird daraus eine Decke für das Vieh. Alles wird bis zum Ende aufgebraucht. Die Mongolei liegt weit ab von allem. Schon damals weit weg vom Warenverkehr der Seidenstraße. Nichts wird vergeudet. Dann – auch das ist eine Haltung – das Leben ist jetzt. Heute wird gelebt. Alles wird jetzt, schnell und intensiv gemacht.

Welche Rolle spielt dabei die Zeit im Leben der Mongolen?

Schenk: Man lebt nicht mit der Uhr. Man lebt in der Urzeit. Von Sonnenaufgang bis -untergang. Man verabredet sich zum Beispiel mit „Nach dem Sonnenaufgang am Eingang der Schlucht“. Die Nomaden sagen, „Als der Himmel uns die Zeit geschaffen hat, hat er uns unendlich viel davon geschenkt“. Und doch ist mit der Zeit auch die Endlichkeit gemeint. Es wird schnell gestorben. Der Tod ist immer Teil des Lebens. Es gibt immer noch Menschen dort, die erkennen, wann ihre Zeit gekommen ist. Man sagt „Ein Jahr 60“ ist genug. Wenn man die 60 erreicht hat, kann man auch gehen. Und es gibt Menschen, die in der Lage sind, von innen heraus ihr Leben einzustellen. Es heißt, wenn man sich selber nicht mehr das Wasser holen kann, ist es die Zeit zu gehen.

Können Sie sich erklären, was die Faszination der Mongolei in unseren Breitengraden ausmacht?

Schenk: Da ist eine Wildnis, eine große Natur, die alles so magisch erscheinen lässt. Die Menschen und die Herden, die in großer Freiheit in der Steppe leben. All das übt Faszination aus. Aber diese Freiheit ist auch teuer. Sie kostet Menschen- und Tierleben. Die Natur kann sehr feindlich und sehr gewalttätig sein. Und das ist die große Herausforderung, die man dort spürt und erleben kann. Wie eine große Aufregung, die aber gleichzeitig auch wunderbar ist. Diese Erfahrung und Begeisterung möchte ich auch durch meine Veranstaltungen lebendig vermitteln.

Möchten Sie die Menschen damit animieren, die Mongolei zu bereisen, oder eher die Lebensweise der Nomaden zu verinnerlichen?

Schenk: Wir hinken ja immer unseren Möglichkeiten hinterher. Alle reden immer von der einen Welt. Die Leute reisen nach Indien, aber waren sie wirklich da? Wir kommen ja nie wirklich an. Es sieht ja immer alles gleich aus. Für die Eigenarten eines Landes braucht man sehr viel Zeit. Und eine kritische Sicht. Je weiter ein Land entfernt ist, umso romantischer ist meine eigene Ausgangsposition. Es gibt Menschen, die sind gereist und kommen trotzdem romantisch zurück. Sie werden nicht ernüchtert durch die Realität. Mir geht es um die Vermittlung des einfachen Lebens.

Gibt es etwas, was Sie in den letzten 25 Jahren in der Mongolei noch nicht erleben und verstehen konnten?

Schenk: Für mich ist es immer die Frage, wie weit komme ich wirklich in die Kultur hinein. Und wie verstehe ich sie. Da habe ich die besondere Haltung „Forschen heißt, Schüler sein“. Mitmachen. Hineingehen in diese Welt, aber auch wieder hinausgehen. In der Mongolei empfinde ich es als etwas ganz Besonderes, dass man sagt „Musik ist das Leben“ und „Leben ist Musik“. Ich möchte an den Ursprung der Musik kommen, an die Klänge und Stimmen, die eine ganz besondere Bedeutung in dem Nomadenleben haben. Wie rufe ich die Tiere, wie locke ich den Wolf an, wie singe ich mit dem Kamel, wie beschwöre ich mit meinem Gesang die Tiere? Hinzu kommt der Kehlkopfgesang, der die Menschen tief in ihrem Inneren berührt. Das ist in der Ethnologie alles noch nicht erforscht. Dazu braucht es Musikethnologie und Klangforscher. Das interessiert mich sehr.

Was können wir von den Mongolen lernen?

Schenk: Das Wunderbare ist die Besitzlosigkeit. Die Einfachheit. Vom Feuer, das in der Jurte brennt, bis zu dem kleinen Raum, den man hat, in dem man nichts anhäufen kann, weil es gar keinen Platz gibt. Das führt zu dem großen Erfindungsreichtum der Mongolen. Denken sie nur an die Eroberungszüge von Dschingis Khan. Die hatten nie etwas dabei. Haben alles unterwegs gebastelt. Sie hatten auch keine Feldküche. Trockenfleisch kam in heißes Wasser und die Instantbrühe war erfunden. Genauso ihr Trockenquark, der sich jahrelang halten kann.

Wie muss man sich mit dieser Verehrung des einfachen Lebens Ihr Leben und Wohnen in Deutschland vorstellen?

Schenk: Einfach. Ich mache mir jeden Tag mein Feuer. Ich habe schon immer in einem alten Haus gelebt. Mit nur einem Wasserhahn im ganzen Haus (Amélie Schenk wohnt in der Nähe von Konstanz am Bodensee).

Könnten Sie sich vorstellen, eines Tages ganz in die Mongolei zu ziehen?

Schenk: (lacht)Das weiß ich nicht. Ich fahre jetzt erst mal im Februar wieder hin, um an meinem neuen Buch zu arbeiten.

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