Interview mit Professor Bernd Maelicke „Strafvollzug ist keine Waschmaschine“

Der Strafrechtsexperte Professor Bernd Maelicke fordert in seinem Buch „Das Knast-Dilemma“ ein modernes Verständnis der Bestrafung.

 Professor Maelicke

Professor Maelicke

Foto: Bernd Maelick

Sie haben neben Rechtswissenschaften auch Kriminologie studiert. Warum?
Bernd Maelicke:Die Gerechtigkeitsfrage motivierte mich zur Auseinandersetzung mit der Rechtswissenschaft. Zu Beginn waren Rechtsgeschichte und römisches Recht die überwiegenden Inhalte – da verblasste die Begeisterung schnell. Positiven Einfluss hatten auf mich prägende Professoren. Der Vater meiner damaligen Freundin und heutigen Frau, war einer der ersten deutschen Bewährungshelfer und begeisterte mich für die Anwendung des Strafrechts – die Kriminologie. So bin ich seit 1961 familiär und beruflich mit der Resozialisierung verbunden.

Kann das Strafrecht Gerechtigkeit herstellen?
Maelicke: Absolute Gerechtigkeit können wir nicht erreichen, wir müssen uns um eine relative Gerechtigkeit bemühen. Von etwa sechs Millionen Straftätern pro Jahr wird nur ein geringer Teil verurteilt. Und nur etwa fünf Prozent kommen ins Gefängnis. Das Strafrecht ist ein schwieriger Versuch, Gerechtigkeit wiederherzustellen – mit vielen Widersprüchen und Unzulänglichkeiten.

In Ihrem Buch „Das Knast-Dilemma“ fragen Sie: „Wegsperren oder resozialisieren?“ Zu welchem Ergebnis kommen Sie?
Maelicke: Die Gefängnisse in Deutschland sind ungeeignet zur Resozialisierung. Ob jemand resozialisiert ist, zeigt sich erst nach seiner Entlassung. Die ersten Jahre in Freiheit zeigen deutliche Rückfallquoten – bei Jugendlichen bis zu 70 Prozent. Die Gefängnisse produzieren trotz aller Reformen weiterhin viel zu hohe Rückfallquoten. Der Schwerpunkt der Resozialisierung muss in der Unterstützung während und nach der Haft, verzahnt mit Kontrollmaßnahmen, liegen.

Sie befürworten also das Gefängnis, sofern der Haft Fördermaßnahmen folgen?
Maelicke: Viele Probleme entstehen zusätzlich im Gefängnis – die Hauptursache sind die Mitgefangenen. Denn dort dominiert die Subkultur. Es finden Gewalt, Erpressung, sexuelle Übergriffe und Drogenhandel statt. Wie kann man in diesem Klima Besserung erwarten? Wer Hunderte straffälliger Männer zusammentut und hofft, eine problemlösende und resozialisierende Gemeinschaft zu erzeugen, unterliegt einem großen Irrtum.

Es gibt bereits Therapien und Qualifizierungsprogramme.
Maelicke: Ja, nur reichen die offenbar nicht. Sonst wären die Rückfallquoten nicht so hoch. Positive Effekte haben Angebote während und nach dem Gefängnisaufenthalt erzielt, die miteinander verzahnt sind. In Köln gab es das Resi-Projekt (Resozialisierung und soziale Integration), das im Jugendvollzug ein halbes Jahr vorher auf die Entlassung vorbereitet und anschließend unbefristet Intensivbetreuung leistet. Die Rückfallquoten sind von 50 auf 13 Prozent gesunken. Wir wissen heute, was fachlich richtig ist: Haft vermeiden oder reduzieren und langfristige Resozialisierungsketten aufbauen. Viele Täter waren vorher Opfer von Gewalt. Die durchschnittliche Jugendstrafe dauert elf Monate. Das reicht nicht, um die vorhergehenden und weiter wirkenden Schicksale aufzuarbeiten oder auszugleichen. Strafvollzug ist keine Waschmaschine, die alles sauber macht.

Statt Gefängnis könnte man auf Hausarrest und Fußfessel setzen.
Maelicke: Es gibt international viele Alternativen zur Haft. Etwa in Bezug auf die Ersatzfreiheitsstrafen. Täter, die ihre Geldstrafe nicht bezahlen können, kommen in Deutschland noch immer ins Gefängnis – für wenige Tage oder Wochen. Sie kommen in die Subkultur, ohne dass die Zeit für eine Therapie oder soziale Hilfen reicht, und verlassen das Gefängnis mit mehr Problemen, als sie vorher hatten. Länder wie Norwegen oder Schweden verurteilen stattdessen sofort zu gemeinnütziger Arbeit. Warum wurde Uli Hoeneß im Gefängnis einer Subkultur ausgesetzt? Wo war die resozialisierende Wirkung? Eine millionenschwere Geldbuße zur Finanzierung sozialer Projekte und gemeinnützige Arbeit sind für solche Täter sinnvollere Alternativen.

Wie soll man einem Opfer vermitteln, dass der Täter nicht ins Gefängnis muss, aber gemeinnützig arbeiten darf?
Maelicke: Das Opferinteresse kommt im Strafverfahren viel zu kurz. Opfer werden als Zeuge genutzt und ansonsten häufig nicht weiter berücksichtigt. Opferinteressen zu befriedigen, würde bedeuten, die materiellen und immateriellen Schäden – etwa gemeinsam mit dem Weißen Ring – aufzuarbeiten. Materiell sind das Schadensersatz und Schmerzensgeld. Das Gefängnis trägt nicht dazu bei, dass der Täter jemals Schadensersatz leisten kann. Das im Gefängnis verdiente Geld reicht, um kleine Einkäufe wie Tabak oder Kaffee im Gefängnis zu finanzieren, aber nicht, um eine Schadenswiedergutmachung zu bezahlen. Wer außerhalb des Gefängnisses arbeitet, könnte dazu verpflichtet werden, mit Teilen seines Gehalts Schadensersatz zu leisten. Auch staatliche Opferfonds könnten helfen. Immateriell sollte klar sein, warum der Täter gemeinnützige Arbeit leisten muss – nämlich um einen symbolischen Beitrag zur Wiedergutmachung zu leisten, anstatt anonym hinter Gefängnismauern zu verschwinden.

Zuletzt sorgte der Fall des verstorbenen Bad Breisiger Niklas P. für Erschütterung in Bonn. Trägt die Erwartungshaltung der Öffentlichkeit auf eine harte Bestrafung dazu bei, dass Haftstrafen der Resozialisierung vorgezogen werden?
Maelicke: Die Medien üben einen enormen Einfluss auf die Einstellung der Bürger aus, aber auch auf die Aktivitäten der Politiker. Vor einigen Jahrzehnten hatte die Resozialisierung eine klare befürwortende Mehrheit in der Bevölkerung. Da gab es in Parteien, Verbänden und Kirchen eine wahre Aufbruchsstimmung. Heute ist das anders. Die Medienlandschaft hat sich verändert, ganz stark im Bereich der privaten Fernsehsender. Auch der wöchentliche Tatort trägt zu einer permanenten Verunsicherung bei. 13.000 Menschen sterben jährlich in Fernsehkrimis. Und ganz Deutschland jagt vor der Mattscheibe mit. Dabei sind wenige aller Straftaten Tötungsdelikte, allerdings mit schwersten Belastungen für das soziale Umfeld. Dennoch sind auch in den Tageszeitungen die Gerichtsberichte die beliebteste Lektüre. Dazu kommen die Globalisierung und die damit verbundenen Verunsicherungen gegenüber offenen Grenzen und Flüchtlingen. Die Angst vor Kriminalität nimmt zu und damit der Wunsch nach mehr Sicherheit. Zeitgleich sinkt die Akzeptanz für Resozialisierung. Die Politiker nehmen darauf Rücksicht und verzichten auf Reformen – sie wollen schließlich gewählt werden. So produziert unser System Rückfälle, die man vermeiden könnte.

Am Montag, 13. Juni, 19 Uhr, liest Maelicke aus seinem Buch „Das Knast-Dilemma“ im Ratssaal des Himmeroder Hofes, Prümer Wall 6 in Rheinbach.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort