Fall Trudel Ulmen Wie GA-Chefreporter Wolfgang Kaes recherchierte

BONN · Vor 16 Jahren verschwand Trudel Ulmen spurlos aus Rheinbach. Sie sei mit einem Liebhaber ins Ausland durchgebrannt, erklärte der Ehemann. Jetzt aber steht fest: Die Frau wurde ermordet. Ihr damaliger Mann hat die Tat mittlerweile gestanden. Maßgeblich zur Aufklärung des Falls Trudel Ulmen beigetragen hat Wolfgang Kaes.

Im Interview spricht der GA-Chefreporter über die Recherche-Arbeit, den Kontakt zur betroffenen Familie und auch über den einen oder anderen Selbstzweifel.

Herr Kaes, wie sind Sie Ende des Jahres 2011 auf den Fall gekommen?
Wolfgang Kaes: Das war der pure Zufall. Eine kleine Annonce in unserer Zeitung, die nicht wie vorgesehen in der Anzeigenabteilung, sondern in der Redaktion gelandet ist.

Was war das für eine Anzeige?
Kaes: Das war die amtliche Bekanntmachung des Amtsgerichts Rheinbach. Trudel Ulmen oder eine Person, die ihren Aufenthaltsort kennt, solle sich bis Ende Februar melden, ansonsten werde sie für tot erklärt.

Was hat Sie stutzig gemacht?
Kaes: Ich war einfach überrascht, den Vermissten-Fall nicht zu kennen. Auch die Suche in unserem Archiv hat keine Ergebnisse gebracht. Ich habe dann erst einmal bei der Polizei nachgefragt.

Und?
Kaes: Die Beamten waren im ersten Moment ganz perplex und wussten gar nicht mehr, ob überhaupt je ermittelt worden ist. Da war mir klar: Da stimmt etwas nicht.

Wie sind Sie weiter bei der Recherche vorgegangen?
Kaes: Ich habe Kontakt zu den Angehörigen gesucht. Der nächste Zufall war dabei, dass ich in derselben Stadt aufgewachsen bin wie Trudel Ulmen (Anm. d. Red.: die 18.000 Einwohner-Stadt Mayen in der Eifel). Das hat die Anfangsrecherchen erleichtert.

Mit wem haben Sie alles gesprochen?
Kaes: Ich habe mit der Mutter, dem jüngeren Bruder, der älteren Schwester gesprochen, mit Schulfreunden in Mayen sowie mit ihren Freunden und Nachbarn in Rheinbach. Ich wollte mir ein Bild von Trudel Ulmen machen. Dabei wurde mir relativ schnell klar: Diese Frau war nicht der Typ, der sich von heute auf morgen auf und davon macht, um irgendwo ein neues Leben zu beginnen. Trudel Ulmen war ein Mensch, der sehr stark auf materielle Sicherheit und Ordnung ausgerichtet war.

Haben Sie auch den damaligen Ehemann befragt?
Kaes: Natürlich habe ich das versucht. Aber er hat mich mehrfach vertröstet und erklärt, dass er das Verschwinden für sich längst psychisch verarbeitet habe und der Rest ausschließlich Sache der Kripo sei.

Welche Ergebnisse brachten Ihre ersten Recherchen?
Kaes: Es war durch Eintragungen in Trudel Ulmens Personalakte beim letzten Arbeitgeber, dem Neurologischen Rehabilitationszentrum Godeshöhe in Bad Godesberg, schnell erwiesen, dass die Polizei damals nur vier Tage ermittelt hat – und dazwischen lag auch noch ein Wochenende. Trudel Ulmens damaliger Ehemann hatte seine Frau erst vermisst gemeldet und wenige Tage später erklärt, dass sie sich telefonisch gemeldet habe.

Die Geschichte vom Liebhaber, mit dem sie sich abgesetzt hat...
Kaes: Genau. Für die Polizei waren damit alle Fragen geklärt. Die Akte wurde zugeklappt und fünf Jahre später vernichtet.

Inwiefern kam durch Ihre Anfrage bei der Polizei neuer Schwung in den Fall?
Kaes: Es zeichnete sich durch die veröffentlichten Recherche-Ergebnisse im GA nun auch für die Kripo deutlich ab, dass irgendetwas mit dem Verschwinden von Trudel Ulmen nicht stimmt. 16 Jahre lang ist nichts geschehen. Das hat der Polizei keine Ruhe mehr gelassen. Am Ende war es für die Kripo auch eine Frage der Ehre, den Fall aufzuklären.

Ist es nicht unerklärlich, dass die Polizei damals nur aufgrund der Aussagen des Ehemannes die Ermittlungen eingestellt hat?
Kaes: Ich bin kein Polizist, kein Kriminalist, sondern Journalist. Ich schreibe nur, was ich beobachte. Diese Frage kann nur die Polizei beantworten. Möglicherweise half auch eine Kette unglücklicher Zufälle dem Täter, 1996 unerkannt zu bleiben.

Hätten Sie denn als Journalist damals aufgehört zu recherchieren?
Kaes: Nein, dafür bin ich ein zu neugieriger Mensch. Allerdings: Einem Journalisten kann beim Recherchieren irgendwann die Luft ausgehen, weil er nicht die Macht des Staates im Rücken hat und Zeugen nicht zu Aussagen zwingen kann.

Wie sehr hat Sie der Fall Ulmen bei der Recherche-Arbeit persönlich ergriffen?
Kaes: Zunächst einmal hat mich die Geschichte über vier Monate hinweg beschäftigt. Zwischendurch haben mich auch Selbstzweifel geplagt: Hast du dich vielleicht verrannt? Ist sie vielleicht doch irgendwo im Ausland? Hinzu kam, dass ich plötzlich der letzte Hoffnungsanker für die Familie war, die nach 16 Jahren erstmals eine Chance sah, den Fall zu klären und Klarheit zu erhalten, was mit ihrer Trudel wirklich passiert ist.

Wie eng war und ist der Kontakt zur Familie Lenerz?
Kaes: Sehr eng. Wir haben in den vier Monaten fast täglich miteinander gesprochen, manchmal auch mitten in der Nacht. Weil der Kontakt so eng gewesen ist, hatte mich auch die Kripo gebeten, am vergangenen Montag mit nach Mayen zu fahren, um die Todesnachricht zu überbringen.

Herr Kaes, Sie haben den Fall Ulmen nach Jahren wieder ins Rollen gebracht und maßgeblich zur Aufklärung beigetragen. Diverse TV-Teams wie z.B. der WDR haben Sie bereits interviewt, auch der Spiegel hat Sie kontaktiert. Wie gehen Sie mit der Situation um?
Kaes: Die letzten Tage nehme ich wie durch einen Nebelschleier wahr. Ich kann noch gar nicht realisieren, dass der Fall jetzt tatsächlich abgeschlossen ist. Viel entscheidender als das Medieninteresse ist jedoch, wie die Familie mit der Situation umgeht. Sie kann ja jetzt erst mit dem Trauerprozess beginnen. Für sie ist es ein ganz großer Schock, dass ein Mensch, dem sie lange Zeit absolut vertraut haben, ihre Trudel umgebracht hat. Die Interviews im Fernsehen spult man da eher nebenbei ab. Wichtig ist jetzt, dass die Familie abschließen kann - und von den Medien in Ruhe gelassen wird.

Wann können auch Sie mit dem Fall Ulmen gedanklich abschließen?
Kaes: Ich habe jetzt zwei Tage Urlaub. Das ist auch ganz gut so. Um runterzukommen. Mal wieder durchzuschlafen. In den vergangenen vier Monaten habe ich fast an nichts anderes gedacht als an den Fall Ulmen.

Welchen Fall lösen Sie als nächstes?
Kaes: Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich gar keinen. Das ist ja nicht so einfach wie im Kino. Ich bin nicht Miss Marple, und es gehört neben hartnäckiger Recherche eine riesige Portion Glück dazu. Sicher wäre es interessant, sich den Fall Hagen noch mal näher anzuschauen. Das Bonner Unternehmer-Ehepaar, das ähnlich lange spurlos verschwunden ist. Der Fall ist bis heute nicht geklärt.

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