Fall Trudel Ulmen Die schwierige Suche nach der Wahrheit

BONN · Der Fall Trudel Ulmen weckte das bundesweite öffentliche Interesse, weil er 16 Jahre lang gar kein Fall war, sondern im März 1996 als "aufgeklärter Vermisstenfall" zu den Akten gelegt wurde. Erst die Recherchen des General-Anzeigers führten zu neuerlichen Ermittlungen der Kripo und gipfelten Ende April im Geständnis des damaligen Ehemannes, seine Frau mit einem Kissen erstickt zu haben. Am Montag beginnt vor der 4. Großen Strafkammer des Bonner Landgerichts der Prozess im Fall Trudel Ulmen.

Nach unserem abendländischen Rechtsverständnis darf (von wenigen begründeten Ausnahmen abgesehen) nur dann Recht im Namen des Volkes gesprochen werden, wenn das Volk, also die Öffentlichkeit in Gestalt von Bürgern und Medienvertretern, hinreichend Gelegenheit erhält, dem Prozess von Anfang bis Ende beizuwohnen.

Anfang und Ende: Da hat Philipp Prietze, Dezernent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Bonner Landgericht, ein logistisches Problem zu lösen. Denn Anfang und Ende, Anklageverlesung und Urteilsverkündung, erzeugen naturgemäß das größte öffentliche Interesse in einem spektakulären Fall, und der Fall Trudel Ulmen, der nun auf seine abschließende juristische Bewertung wartet, ist zweifellos einer der spektakulärsten Kriminalfälle des Jahres 2012.

In S 0.11, dem größten Sitzungssaal des Landgerichts, werden für das am Montagmorgen um 9 Uhr beginnende "Strafverfahren wegen Tötung von Trudel U." von den 114 Sitzplätzen 18 Plätze für Journalisten reserviert und in der Reihenfolge der vorab schriftlich einzureichenden Anträge auf Akkreditierung "nach dem Prioritätsprinzip" vergeben, teilte Prietze vor einer Woche per Mailverteiler den bundesdeutschen Medien mit; nicht mitgerechnet sind die Fotografen und Kamerateams, die keine Sitzplätze benötigen und sich ohnehin nur eine halbe Stunde lang im Saal aufhalten dürfen - bis zum Beginn der Verhandlung: "Die Anfertigung von Film- und Bildaufnahmen ist nach dem Einzug der Kammer auf Anordnung des Vorsitzenden unverzüglich einzustellen. Das Gesicht des Angeklagten ist unkenntlich zu machen. Interviews mit Verfahrensbeteiligten im und vor dem Sitzungssaal sind untersagt."

Jedes Jahr fallen in Deutschland etwa 1500 Menschen einem Mord oder Totschlag zum Opfer. Zum überwiegenden Teil sind Tötungsdelikte Beziehungstaten; nur in 13,9 Prozent aller Fälle waren sich Täter und Opfer nicht näher bekannt. Auch deshalb ist die Aufklärungsquote enorm hoch (2011: 96,1 Prozent; zum Vergleich: Bei Wohnungseinbrüchen liegt sie bundesweit bei nur 16,2 Prozent). Bei Tötungsdelikten ist der Kreis potenzieller Täter in der Regel deutlich überschaubarer, nur in den seltensten Fällen handelt es sich um klassische Berufskriminelle, in der überwiegenden Zahl hat ein Mörder zuvor noch nie ein Verbrechen begangen.

[kein Linktext vorhanden]Das statistische Muster scheint exakt auf den Fall Trudel Ulmen zu passen. Warum also erzeugte ausgerechnet dieser Fall ein so gewaltiges Medienecho, das in Dutzende Fernsehbeiträge und Radiosendungen sowie ungezählte Zeitungsschlagzeilen von Hamburg bis Zürich mündete? Weil die Tötung so lange zurückliegt? Das ist in Zeiten moderner DNA-Technologie inzwischen keine Seltenheit mehr. Auch nicht in Bonn. Im vergangenen Jahr wurde der 19 Jahre zurückliegende Mord an der Bad Godesberger Journalistin Regina Pachner aufgeklärt - eine Meisterleistung der Bonner Kripo.

Der Fall Trudel Ulmen hingegen weckte das bundesweite öffentliche Interesse, weil er 16 Jahre lang gar kein Fall war, sondern im März 1996, nur vier Tage nach dem Verschwinden der Rheinbacher Arzthelferin, als "aufgeklärter Vermisstenfall" zu den Akten gelegt wurde. Erst die Recherchen des General-Anzeigers führten zu neuerlichen Ermittlungen der Kripo und gipfelten Ende April im Geständnis des damaligen Ehemannes, seine Frau am Abend des 20. März 1996 im Schlafzimmer mit einem Kissen erstickt zu haben.

Die für Tötungsdelikte zuständige 4. Große Strafkammer unter dem Vorsitz von Richter Josef Janßen hat bis zur geplanten Urteilsverkündung am Morgen des 17. Dezember acht Verhandlungstage terminiert. In diesen acht Prozesstagen hat die Kammer nicht nur Schuld oder Unschuld des Angeklagten festzustellen, sondern auch das Motiv der Tat zu erhellen, das wiederum erheblichen Einfluss auf die Strafzumessung hat. Das heißt im konkreten Fall: Wie war diese Ehe tatsächlich beschaffen, die von Außenstehenden zunächst vielfach als Traumehe geschildert wurde? Dass sie dies ab einem gewissen Zeitpunkt keineswegs mehr war, bescheinigen nicht wenige Beobachter.

In der Natur einer Beziehungstat mit tödlichem Ausgang liegt es, dass in einem Prozess vorrangig die subjektive Bewertung und die daraus resultierende seelische Verfassung des Angeklagten und weniger die des Opfers zum Tragen kommt. Denn das Opfer kann seine Sicht der Dinge im Hinblick auf das Innenleben der Ehe nicht mehr schildern. "Die ganze Wahrheit, was im Vorfeld der Tat geschehen ist, werden wir wohl nie erfahren", mutmaßte erst kürzlich ein Bonner Kriminalbeamter.

Im Wortlaut: Die Bonner Polizei zum Fall
Erstmals in dieser Ausführlichkeit und Klarheit nahm die Bonner Polizei Ende August zum Fall Trudel Ulmen öffentlich Stellung - auf Anfrage der Redaktion der ARD-Sendung "Menschen bei Maischberger", die am 28. August ausgestrahlt wurde. Dies war aus verständlichen Gründen zugleich auch die letzte öffentliche Stellungnahme der Polizei. Denn inzwischen ist der Fall ausschließlich Sache der Justiz. Die während der Sendung verlesene Stellungnahme in Auszügen:

"Viele Fakten und Ermittlungsschritte sind nach 16 Jahren nicht mehr nachvollziehbar, da sich Sachbearbeiter nicht mehr an Details erinnern können oder bereits verstorben sind. Die Ermittlungen wurden offensichtlich aufgrund der Angaben des Ehemannes eingestellt. Damit war das Verschwinden der Frau Ulmen aus dem Blick der Polizei genommen. Aus heutiger Sicht wären weitere Ermittlungsschritte möglich gewesen. Es zeigt sich auch, dass sowohl bei der Bearbeitung des damaligen Vermisstenfalles als auch bei der Hinweisbearbeitung zu der unbekannten Toten in Bad Honnef zu einem frühen Zeitpunkt die Chance vertan wurde, die unbekannte Tote zu identifizieren.

Wir sind betroffen und bedauern, dass die Angehörigen und Freunde von Gertrud Ulmen 16 Jahre lang in Ungewissheit über ihr Schicksal leben mussten und keine Trauerarbeit leisten konnten. Wir bedauern auch, dass wichtige Zeit verstrichen ist, um die genauen Umstände des Todes von Gertrud Ulmen aufzuklären. Wir sind erleichtert, dass wir die Tat nach so langer Zeit doch noch aufklären konnten."

Was ist Mord, was ist Totschlag?
Die Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag ist fast so alt wie die Rechtsprechung selbst. Schon das mosaische Recht kannte diese Differenzierung, und in der Antike machte das römische Recht einen Unterschied zwischen Tötung im Affekt und Tötung mit Vorbedacht.

In unserer modernen deutschen Rechtsprechung wird allerdings (im Gegensatz etwa zur fahrlässigen Tötung) sowohl dem Mörder als auch dem Totschläger ein Vorsatz unterstellt. Im Strafgesetzbuch heißt es dazu:

  • § 211: "Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet."
  • § 212: "Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Ob ein Gericht auf Mord oder aber auf Totschlag erkennt, hängt also von den in § 211 beschriebenen Mordmerkmalen ab. Weiter sieht das deutsche Strafgesetzbuch die Möglichkeit des minder schweren Totschlags vor:

  • § 213: "War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Misshandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren."
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