Fall Anna: Gutachter informiert Stadt

Oberpleis · Wegen der Länge des Verfahrens gegen die Pflegeeltern will sich Christian Schrapper früher als geplant äußern.

Wieder einmal beschäftigte der Tod der neunjährigen Anna, die im Juli 2010 von ihren Pflegeeltern in der Badewanne ertränkt worden war, eine Sitzung der Jugendhilfeausschusses. Die SPD-Fraktion wollte wissen, welche Lehren die Verwaltung aus dem Fall des Mädchens, für das das Jugendamt Königswinter zuständig war, gezogen hat und ob sie sicher sei, dass die wiederhergestellte "Akte Anna" tatsächlich vollständig sei.

"Vollständig im Sinne von identisch, das kann man nicht sicherstellen. Die fehlenden Stellen sind rekonstruiert worden", erklärte Dezernent Holger Jung. Eine Jugendamtsmitarbeiterin hatte damals ihre im Vergleich zur Verfahrensakte weit detailliertere Beraterakte geschreddert. Die Akten konnten später nach GA-Informationen nicht vollständig rekonstruiert werden, weil dem im Fall Anna eingeschalteten Mitarbeiter der Diakonie nur eine ausführlichere Kopie der Verfahrensakte, nicht aber der Beraterakte vorlag.

Eine konkrete Beurteilung sei Gegenstand der laufenden Ermittlungen, so Jung jetzt im Ausschuss. Das externe Gutachten von Christian Schrapper, Pädagogik-Professor an der Universität Koblenz, das von der Stadt in Auftrag gegeben wurde, liegt noch nicht vor. Der Experte hatte zunächst angekündigt, erst den Prozess gegen die Pflegeeltern abwarten zu wollen, der morgen fortgesetzt wird.

"Angesichts dieser Verzögerungen haben wir mit Professor Schrapper ein Gespräch geführt und uns mit ihm dahin gehend geeinigt, dass er uns bereits vor Abschluss des Verfahrens seine Erkenntnisse mitteilt", sagte Bürgermeister Peter Wirtz. Dies soll am Donnerstag, 24. November, geschehen.

Der Experte hatte sich bereits in einer Diskussion im Neuwieder Kreistag über den Kinderschutz im Fall Anna geäußert. "Die Arbeitsbelastung in den Sozialen Diensten führt dazu, dass die Achtsamkeit, Warnsignale wahrzunehmen, nachlässt", hatte Schrapper dort moniert. Bei Anna hätten gleich mehrere Fehleinschätzungen, die allein gesehen harmlos wären, so ineinandergegriffen, dass die Verkettung von Unachtsamkeiten in Kombination mit einem mangelnden Informationsfluss den Tod des Kindes ermöglichst hätten.

"Die Jugendämter müssen finanziell besser ausgestattet werden, vergleichbar den Feuerwehren, und ihre Mitarbeiter müssen genauso intensiv geschult werden wie Feuerwehrleute", hatte Schrapper gefordert. Zuverlässig, dialogbereit und belastbar arbeiten könnten die Jugendämter aber nicht, wenn sie eine "Bugwelle" unerledigter Arbeiten vor sich her schieben würden, so Schrapper unter Hinweis auf eine zu hohe Fallzahl pro Mitarbeiter.

Laut Jung jedoch ist das Jugendamt Königswinter, das seit sieben Monaten kommissarisch geleitet wird, auch nach der befristeten Versetzung der beiden Führungskräfte voll arbeitsfähig. "Die Vakanzen konnten durch Aufgabenumschichtungen und vier zusätzliche externe Kräfte mit unterschiedlichen Zeitanteilen abgedeckt werden", so der Dezernent. Zwei würden auch 2012 weiter zur Verfügung stehen.

"Angesichts der Länge des Prozesses werden wir personelle Entscheidungen hinsichtlich der Leitung des Jugendamtes treffen müssen", so Wirtz. Ob er damit indirekt die Ankündigung Schrappers vorweg nahm, dass bei Fehlern der Jugendämter "Köpfe rollen" würden, blieb offen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort