Bundestagswahl: Wahlkreis 97 Der Rhein-Sieg-Kreis zwischen Boom und Verödung

Rhein-Sieg-Kreis · Der Wahlkreis 97 erstreckt sich vom Rhein bis ins Bergische und an die obere Sieg. Er hat zwei Gesichter: Hier die Zuzugsregion, dort die schwindende Infrastruktur auf dem Land. Wir stellen die bestimmenden Themen des Wahlkreises vor.

Ein Güterzug fährt durch das Siegtal.

Ein Güterzug fährt durch das Siegtal.

Foto: Holger Arndt

Hier die Stadt, dort das Land. Hier der boomende Ballungsraum mit Industrie, Handel, Tagungszentren und Verkehrsknotenpunkten, dort die weite Landschaft mit Hunderten Weilern und schwindender Infrastruktur. Der Bundestagswahlkreis 97 hat zwei Gesichter. Er umfasst die Kommunen Siegburg, Troisdorf, Niederkassel, Hennef, Neunkirchen-Seelscheid, Much, Ruppichteroth, Eitorf und Windeck. Dort haben am 24. September gut 237 000 Menschen die Wahl.

Auf dem Wahlzettel stehen gleich drei Bundestagsabgeordnete. Für die CDU geht wieder die Siegburgerin Lisa Winkelmeier-Becker ins Rennen, die den Wahlkreis seit 2005 dreimal direkt gewonnen hat. Sebastian Hartmann (SPD) und Alexander Neu (Linke) gelang 2013 der Einzug über die Liste in den Bundestag. Beide bewerben sich erneut.

So stark der Kontrast im Wahlkreis zwischen Stadt und Land auch ist: Es gibt auch verbindende Themen. Etwa die Mobilität. Quer durch den Wahlkreis führt die Bahnstrecke Troisdorf-Siegen. Und die hat in der Wahlperiode für Kontroversen gesorgt. Der Bund hat 2016 einen neuen Bundesverkehrswegeplan aufgelegt. Darin ist definiert, welche Infrastrukturprojekte bis 2030 finanziert werden sollen. In der Kategorie „Vordringlicher Bedarf“ findet sich nun auch der Ausbau der Siegtalstrecke, die kriegsbedingt immer noch eingleisige Abschnitte hat.

Streit um den Ausbauder Siegtalstrecke

Vor der Wahl 2013 war es allgemein unstrittig, dass dieser Ausbau kommen muss. Doch nach Bekanntwerden der Korridor-Mittelrhein-Studie 2015 haben sich insbesondere CDU und Grüne dagegen ausgesprochen. Es steht die Befürchtung im Raum, dass durch den Ausbau mehr Güterverkehr durchs Siegtal rollt und die Anwohner mit mehr Bahnlärm leben müssen – zusätzlich zum Fluglärm. Örtliche CDU-Politiker haben Unterschriften gesammelt und in Berlin übergeben.

Die Proteste konnten aber das Vorhaben des Bundes nicht stoppen. Die SPD, allen voran Hartmann, der im Verkehrsausschuss des Bundestags sitzt, relativiert hingegen die Bedeutung des Siegtals für den Güterverkehr. Sie wirbt dafür, die Chancen des Ausbaus zu sehen – auch für den Lärmschutz und für die Weiterentwicklung des Personenverkehrs.

Die Infrastruktur war in den vergangenen vier Jahren eines der prägenden Themen im Wahlkreis. Die Uckerather Ortsumgehung (B 8) hat es ebenfalls in die obersten Kategorie des Bundesverkehrswegeplans geschafft. Bis zur Realisierung werden aber noch Jahre ins Land gehen. Und: Wer hätte vor der Wahl 2013 daran gedacht, dass auch die Rheinquerung bei Niederkassel im neuen Bundesverkehrswegeplan vorne mit dabei ist? Galt das Bauprojekt doch über Jahrzehnte als Phantom.

Politik und Wirtschaft machten Druck

Doch in den vergangenen Jahren hat die Politik – quer durch alle Parteien und Ebenen – zusammen mit der Wirtschaft Druck gemacht – mit Erfolg. Die Brücke soll die Autobahnen A 59 und A 555 verbinden und zudem eine Gleistrasse erhalten. In der Nachbarschaft, in Lülsdorf, planen Evonik und die Duisburger Hafen AG Großes. Ein trimodales Containerterminal soll entstehen, erreichbar per Schiff, über Schiene und Straße. Für Niederkassel ein Jahrhundertprojekt, das Entwicklungschancen eröffnet.

Und plötzlich wird ernsthaft über den Bau einer Stadtbahn zwischen Bonn, Niederkassel und Köln diskutiert. In manchen Orten am östlichen Rand des Kreises wäre man hingegen froh, wenn es einen Laden, eine Busverbindung oder einen Treffpunkt gäbe. Verödung droht, die Infrastruktur bröckelt. Die öffentlichen Kassen – leer. Im Eitorfer Krankenhaus wurde die Geburtshilfestation geschlossen, in Windeck sind die Immobilienpreise im Keller. Tief im Osten des Kreises stehen die Zeichen langfristig nicht auf Zuzug, sondern eher auf Abwanderung.

Kreis setzt auf Millionen-Förderung

Was tun? Initiativen wie „Mitten im Leben“, hervorgegangen aus dem Verein Kivi, versuchen das Leben auf dem Land so attraktiv zu gestalten, dass die Bewohner in ihrer gewohnten Umgebung alt werden können.

Doch ohne Fördermittel geht es nicht. Der Kreis setzt mit dem Rheinisch-Bergischen Kreis und dem Oberbergischen Kreis auf die Regionale 2025, ein Förderprogramm mit Mitteln in dreistelliger Millionenhöhe. Dadurch sollen die ländlichen Gebiete als Wohn- und Gewerbestandort aufgewertet werden – auch vor dem Hintergrund, dass Köln und Bonn kaum noch Kapazitäten haben.

Unumstritten ist, dass auf dem Land das schnelle Internet ausgebaut werden muss. Da kommt wieder der Bund ins Spiel. Er fördert den DSL-Ausbau dort, wo Telekommunikationsfirmen aus wirtschaftlichen Gründen bislang passen. 20 Millionen Euro stellt die öffentliche Hand für den Kreis zur Verfügung. Der Bund steuert die Hälfte bei. Das Land trägt 40 Prozent, den Rest der Kreis. Ziel: Bis Ende 2018 sollen 95 Prozent des Kreises mit einer Übertragungsrate von mindestens 50 MBit pro Sekunde ausgestattet sein.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort