Stadtmuseum in Siegburg Zeitzeugen über Erlebnisse aus dem Krieg

SIEGBURG · Wie war das eigentlich damals, im Siegburg der Nachkriegszeit? Wie war das, als die Amerikaner in die teilweise schwer beschädigte Kreisstadt einmarschierten? Wie war es, als die Menschen hungerten und nicht genug Wohnraum vorhanden war? Und wie gestaltete sich schließlich der Wiederaufbau?

 Siegburger Zeitzeuge: Juwelier Gert Schneider (links) mit einem Bild von zerstörten Häusern am Markt.

Siegburger Zeitzeuge: Juwelier Gert Schneider (links) mit einem Bild von zerstörten Häusern am Markt.

Foto: Arndt

Mit der Siegburger Nachkriegszeit beschäftigt sich das erste Zeitzeugengespräch des General-Anzeigers zum 950-jährigen Bestehen der Stadt Siegburg am Mittwoch, 26. März. Dann berichten alteingesessene Siegburger ab 19 Uhr im Stadtmuseum, wie sie diese Zeit erlebt haben. "So hab' ich's gesehen", lautet der Titel. Eine kleine Auswahl dieser Geschichten veröffentlicht der GA vorab.

Diesen 9. April 1945 wird Gert Schneider nie vergessen. Es war der Tag, an dem amerikanische Truppen nach wochenlangem Artilleriebeschuss Siegburg besetzten, etwa einen Monat vor der Kapitulation der Wehrmacht und dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Schneider war damals 14, heute ist er 83. Aber er wohnt immer noch im selben Haus am Siegburger Markt - seinem Elternhaus. Der Juwelier blickt von seinem Wohnzimmer hinaus auf das geschäftige Treiben in der Fußgängerzone, auf die Marktstände, auf die Straßencafés. "Am 9. April 45 arbeiteten sich die Amerikaner mit dem Gewehr im Anschlag bis zum oberen Markt vor - gebückt, so ungefähr..." Mit ein paar schnellen Bewegungen ahmt er die Soldaten nach, während unten die Passanten in der Frühlingssonne Eis essen.

Als Gert Schneider 1945 die Soldaten einmarschieren sah, kauerte er mit seinen Eltern und seiner Schwester bereits seit Wochen im Gewölbekeller des Hauses. "Das Fenster war durch eine Eisenplatte abgedeckt. Doch durch Granatsplitter war sie durchlöchert, so dass ich rausgucken konnte." Auf dem Markt fiel kein Schuss.

In den letzten Kriegsmonaten hatte Siegburg schwere Kriegstreffer verzeichnet, vor allem bei den Luftangriffen im Dezember 1944 und im März 1945. Um den 20. März erreichten US-Streitkräfte zwischen Buisdorf und Mülldorf das Siegufer. Dort war ihr Vormarsch zunächst gestoppt. Die deutschen Soldaten hatten auf ihrem Rückzug Brücken zerstört, und in Siegburg leisteten sie hartnäckig Widerstand.

Über Wochen stand die Stadt unter dauerndem Granatbeschuss durch die amerikanischen Truppen. "Am 26. März wurde auch unser Haus getroffen und in Brand gesetzt", berichtet Gert Schneider. Die ganze Häuserreihe vom Markt 11 bis zur Goldenen Ecke wurde zerstört. "Alles brannte lichterloh", so Schneider. Sein Vater war bei der Feuerwehr, doch die durfte nicht löschen: "Die Nazis hinderten sie daran. Siegburg sollte als Trümmerfeld hinterlassen werden." So war das Haus der Schneiders bei Kriegsende eine Ruine. Die Familie kam in der Annostraße unter, mit fünf Personen auf 60 Quadratmetern.

Die Versorgung mit Lebensmitteln war nach 1945 wie im ganzen Siegkreis schlecht. Es bestanden weiter Lebensmittelrationen, wobei der Tagessatz zunächst bei 500 bis 600 Kalorien lag, später bei 1500 Kalorien. Tauschgeschäfte und Schwarzhandel florierten. "Bis 1948 gab es wenig zu essen", berichtet Gert Schneider, der sich an "Hamstertouren" ins Umland erinnert. "Vieles ging nur über Beziehungen." Im Pleistal bei Birlinghoven besorgte sich die Familie Milch und Eier, in der Gegend von Mondorf Gemüse.

Schneiders Vater konnte nach Kriegsende wieder in seinem Beruf als Uhrmacher arbeiten, zunächst provisorisch bei einem Herrenausstatter auf der Kaiserstraße. Dort reparierte er Uhren der Besatzungssoldaten. Später hatte er sein Ladenlokal am oberen Markt, bevor er sein eigentliches Wohn- und Geschäftshaus 1949/50 wieder aufbaute. Nach der Währungsreform lief auch wieder das Geschäft mit Luxusartikeln, die Schaufenster waren voll. "Man hatte nach den entbehrungsreichen Jahren wieder den Drang, sich mit etwas Schönem auszustatten", erzählt Schneider, der das Gymnasium an der Humperdinckstraße besuchte und 1951 das Abitur machte.

Wer Karl-Heinz Neifer in seinem alten Hof auf der Zange besucht, dem fällt dort gleich eine Inschrift auf: "Ponyhof Neifer, erbaut 1945". Die Anlage wurde damals nach fast vollständiger Zerstörung wieder errichtet. Der Hof und das Wohnhaus mit dem Lebensmittelladen waren bei den Luftangriffen am 6. März 1945 getroffen worden, und auch der spätere Artilleriebeschuss der Amerikaner vom gegenüberliegenden Siegufer aus richtete schwere Schäden an.

Die Neifers betrieben in Zange, das damals noch ländlich geprägt war, eine kleine Landwirtschaft. "Von unseren fünf Kühen kamen bei den Angriffen vier ums Leben", erinnert sich Karl-Heinz Neifer, damals 16 und heute 85 Jahre alt. Die fünfte Kuh - sie hießt Sternchen - wurde verwundet. Was tun? Schlachten? Neifers Vater, der auch Drogist war, versuchte sich als Veterinär.

Er versorgte die Wunden des Tieres mit Wasserstoffsuperoxid und lbora Wund- und Kindercreme. Tatsächlich war die Kuh bald wieder wohlauf und brachte sogar noch ein Kalb zur Welt. "Sie gab nachher eine Milchmenge von 30 Litern, was sehr viel war. Damals waren schon 25 Liter ein guter Ertrag", berichtet Karl-Heinz Neifer. Für das Überleben in der Nachkriegszeit war das bedeutsam. Für die Familie, aber auch für die Helfer beim Wiederaufbau des Hofes.

An den Einmarsch der Amerikaner am 9. April 1945 kann sich der 85-Jährige, der seine Erlebnisse ausführlich dokumentiert hat, präzise erinnern. Er brachte damals eine Botschaft am Haus an: "A hearty Welcome to the American Soldiers. You are the liberators of Germany and our friends" stand darauf - "Ein herzliches Willkommen den Amerikanischen Soldaten. Ihr seid die Befreier Deutschlands und unsere Freunde." Dennoch nahmen die Amerikaner Neifers kranken Vater kurzerhand mit. Nach zwei Tagen in Gewahrsam in Pützchen kam er zurück. "Er war wohl verdächtig, weil in unserem Garten ein Gewehr lag. Ein deutscher Soldat hatte es auf dem Rückzug hinterlassen."

Von 1946 bis 1948 besuchte Karl-Heinz Neifer die städtische Handelsschule. Gerne erinnert sich der Zanger an die Schulspeisungen. In der großen Pause gab es täglich eine Eintopfsuppe, eine Biskuitsuppe oder eine Erbsensuppe. Angeliefert wurde sie vom Krankenhaus. Den Transport besorgte jemand, den viele Siegburger heute nur als Maskottchen des Stadtmuseums kennen: das Lottchen, eigentlich Charlotte Bertram. Mit Shetland-Pony und Wagen brachte der kleinwüchsige Hermaphrodit das Essen - auch samstags, wenn keine Schule war. Neifer: "Wir waren für diese Stärkung sehr dankbar."

Chronik: Kriegsende und Nachkriegszeit in Siegburg

  • 28. Dezember 1944: Schwerer Luftangriff auf Siegburg. Abtei und Bürgermeisteramt werden beschädigt beziehungsweise zerstört.
  • 6. März 1945: Weiterer folgenschwerer Luftangriff auf die Stadt. 100 Tote, schwere Schäden an Abteikirche und in der Innenstadt.
  • 21. März 1945: Das 303. Regiment der 97. US-Infanteriedivision erreicht das gegenüberliegende Siegufer bei Buisdorf und Mülldorf. Wochenlang beschießen die Amerikaner Siegburg mit Granatwerfern. Am 9. April überqueren sie die Sieg und nehmen die Stadt ein. Am 10. April wird der Deutsch-Amerikaner Eugen Vogel, gebürtiger Siegburger, als Bürgermeister eingesetzt.
  • 8. Mai 1945: Kriegsende nach bedingungsloser Kapitulation der Wehrmacht. 603 Siegburger sind an den Fronten gefallen, 217 Bürger kamen durch Bomben ums Leben, 457 starben an den Kriegsfolgen. 7567 Siegburger sind versehrt.
  • Juni 1945: Siegburg gehört nun zur britischen Zone. Die Benediktinermönche kehren in die schwer beschädigte Abtei zurück, die von 1947 bis 1949 aufgebaut wird.
  • 1. Februar 1946: Erste Sitzung des Stadtrats nach dem Krieg. Auch der Kreistag des Siegkreises nimmt in Siegburg seine Arbeit auf.
  • März 1946: Beginn der Schulspeisungen (bis 1950).
  • 3. Juli 1946: Kleinbahn Siegburg-Zündorf fährt wieder im Stadtgebiet.

So hab' ich's gesehen - Die GA-Zeitzeugengespräche

Der General-Anzeiger lädt unter dem Motto "So hab' ich's gesehen" für Mittwoch, 26. März, ins Siegburger Stadtmuseum ein: Bei einem Zeitzeugengespräch berichten Siegburger über die Nachkriegszeit. Beginn ist um 19 Uhr (Einlass ab 18.30 Uhr). Jeder kann kommen - ob als Zeitzeuge mit eigenen Geschichten oder einfach als Zuhörer.

Zugleich wird die Ausstellung "Unterwegs mit Lottchen in Siegburg" von GA-Fotograf Holger Arndt eröffnet. Der Eintritt ist frei, aus organisatorischen Gründen wird um Anmeldung gebeten: unter 02241/1201200 oder siegburg@ga.de. Die Zeitzeugengespräche sind ein Beitrag zur 950-Jahr-Feier der Stadt Siegburg. Bei den nächsten Runden geht es um die Jugendszene der 60er und 70er Jahre (21. Mai) und um historische Bahnen (8. Oktober).

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