Acht Jahre nach dem Foltermord "Wir gehören einfach dazu"

SIEGBURG · Das, was Anstaltsleiter Wolfgang Klein "den Vorfall" nennt, wird wohl für immer mit der JVA Siegburg verbunden werden: 2006 quälten zwei jugendliche Häftlinge einen dritten stundenlang und nötigten ihn schließlich, sich zu erhängen. Seitdem sind acht Jahre vergangen, und obwohl noch immer keine Google-Suche nach "JVA Siegburg" ohne die automatische Vervollständigung "Foltermord" auskommt: Das Siegburger Gefängnis ist seitdem ein völlig anderes geworden.

 Hinter dem Zaun und den dicken Mauern sitzen nur noch Erwachsene.

Hinter dem Zaun und den dicken Mauern sitzen nur noch Erwachsene.

Foto: Holger Arndt

In seiner Anfangszeit war das Gefängnis, 1886 als königlich-preußische Strafanstalt eröffnet, im Gebäude der Abtei auf dem Michaelsberg untergebracht. In den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts entstand der heutige Bau an der Luisenstraße. Zunächst waren dort sowohl Männer als auch Frauen untergebracht. Die Nazis brachten später politische Gegner in der Siegburger Anstalt unter. Bevor die Amerikaner das Gefängnis befreiten, war es mit rund 2600 Häftlingen völlig überbelegt.

Schon ein Jahr nach Kriegsende war die Siegburger Vollzugsanstalt wieder aufgebaut worden und nahm bald ausschließlich jugendliche Straftäter auf. In den 1970er Jahren war die Jugendhaftanstalt die größte Europas, wie der heutige Leiter der JVA, Wolfgang Klein, berichtet. "Damals waren hier etwa 900 Gefangene untergebracht, das ist heute kaum noch vorstellbar", sagt Klein.

2013 gab es noch 450 jugendliche Insassen, im Juni vergangenen Jahres verließen die letzten von ihnen Siegburg. Heute sitzen dort nur noch erwachsene Gefangene ein. Unter anderem als Folge des Foltermords war beschlossen worden, in Wuppertal-Ronsdorf eine neue Jugendhaftanstalt zu errichten. "Ein Umbau wäre in Siegburg an die Grenzen des alten Kreuzbaus gestoßen", erläutert Wolfgang Klein. Den bundesweiten Rückgang der Gefangenenzahlen erklärt er mit der grundlegenden Veränderung in Urteilsverfahren: "Vollzug ist heute die ultima ratio."

Heute hat die Siegburger JVA bis zu 624 Plätze für Gefangene mit drei bis 18 Monaten Haftdauer. Hinzu kommt die neue sozialtherapeutische Abteilung (siehe Interview). Der Abschied von den Jugendlichen, die meist längere Strafen absaßen, sei gerade den langjährigen Mitarbeitern schwergefallen, sagt Anstaltsleiter Klein: "Da war ein bisschen Trauerarbeit nötig." Die Unterschiede im Umgang mit jugendlichen oder erwachsenen Straftätern seien groß: Jugendliche seien oft leichter zu motivieren, zum Beispiel über Sport oder Ausbildung. "Dafür gibt es bei den jungen Gefangenen mehr Auseinandersetzungen, weil sie sich noch viel mehr miteinander messen", so Klein.

Heute sitzen in Siegburg viele sogenannte Ersatzfreiheitsstrafler ein, also Menschen, die eine ihnen aufgebrummte Geldstrafe nicht zahlen können. Darunter seien viele Drogenabhängige und Alkoholkranke, berichtet Marianne Sebastian, Leiterin des Sozialdienstes in der JVA Siegburg. "Das ist klassische Armutskriminalität, Menschen, die ihr Leben nicht mehr in den Griff bekommen." Für sie sei die Haft oft sogar eine Art Rettung: "Wir können so manchen hier wieder etwas aufpäppeln und an geregelte Tagesstrukturen gewöhnen", sagt Harald Zunker, der den allgemeinen Vollzugsdienst leitet.

Wie Sebastian arbeitet Zunker seit 39 Jahren in der Siegburger JVA. Sie erleben nun, wie sich ihre Arbeitsstelle von Grund auf ändert - nicht nur "innerlich" durch den Wechsel von der Jugend- zur Erwachsenenhaftanstalt. An der Luisenstraße wird kräftig renoviert und modernisiert. Das ist auch dringend nötig, sagt Wolfgang Klein, denn: "Das Gebäude ist seit 118 Jahren durchgehend am Netz." Wohn- und Arbeitssituation der Mitarbeiter seien nicht mehr zeitgemäß, manche arbeiteten gar in einer Zelle, Haustechnik und Brandschutz seien überholt.

Für insgesamt zehn Millionen Euro wird die JVA deshalb bis 2017 ertüchtigt, auch nach energetischen Gesichtspunkten. Jede Abteilung bekommt einen Freizeitraum und eine Teeküche, Büros werden vergrößert, Küche und Krankenpflegestation erneuert, die EDV wird auf Vordermann gebracht. Die Zellen der Insassen sollen danach moderne Standards und rechtliche Bedingungen erfüllen, wenngleich Klein betont: "Das wird kein Hotelvollzug." Die Größe der Zellen bleibt gleich: Acht Quadratmeter hat jeder Gefangene zur Verfügung.

Die Modernisierung soll auch dazu beitragen, neues Personal zu gewinnen. Derzeit hat die JVA 250 Mitarbeiter, davon 30 Frauen. "Wir brauchen gute Leute, die durch persönliche Autorität überzeugen und die richtigen Worte finden", sagt Klein. Die Konkurrenz, etwa durch Polizei und Zoll, sei groß. Wer die zweijährige Ausbildung im allgemeinen Justizvollzugsdienst machen will, muss eine mehrtägige Auswahlprüfung inklusive Fitnesstest absolvieren.

Klein und sein Team sind sicher: Die JVA in Siegburg hat nicht nur eine lange, wechselvolle Vergangenheit, sondern vor allem Zukunft: "Als feststand, dass die Jugendhaftanstalt aufgelöst wird, stellte sich natürlich die Frage: Hat so ein alter Dinosaurier überhaupt noch Zukunft? Oder baut man lieber auf der grünen Wiese neu?", berichtet Klein. Die Entscheidung stand schnell fest: "Wir sind seit 118 Jahren mittendrin und fester Bestandteil Siegburgs. Wir gehören einfach dazu."

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