Kreisjugendamtsleiterin im Interview Ulla Schrödl: "Verhaltensauffälligkeiten werden häufiger"

Rhein-Sieg-Kreis · Mit Sorge betrachtet Kreisjugendamtsleiterin Ulla Schrödl die steigende Zahl von Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen. Im Interview spricht sie zudem über weitere aktuelle Herausforderungen der Erziehungshilfe.

 Kreisjugendamtsleiterin Ulla Schrödl will weitere Kita-Plätze schaffen.

Kreisjugendamtsleiterin Ulla Schrödl will weitere Kita-Plätze schaffen.

Foto: HOLGER ARNDT

Adoptionsvermittlung, Kindertagesbetreuung und Jugendschutz sind Themen, mit denen sich Ulla Schrödl täglich auseinandersetzt. Als Leiterin des Kreisjugendamtes ist sie zuständig für die acht Gemeinden des Landkreises. Im Interview mit GA-Redakteur spricht sie über die Situation unbetreuter minderjähriger Flüchtlinge, den Ausbau der Kindertagesstätten und aktuelle Herausforderungen der Erziehungshilfe im Rhein-Sieg-Kreis. Sorge macht ihr vor allem die steigende Zahl von Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen.

Vor fünf Jahren forderte der damalige Landrat dringend mehr Personal für das Jugendamt unter anderem wegen steigenden Fallzahlen. Wie hat sich die Arbeit in der Jugendhilfe seitdem verändert?

Ulla Schrödl: Wir mussten immer wieder auf neue Situation reagieren. Zum Beispiel mussten auf einen Schlag viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht werden, der Kindergartenausbau hat uns wahnsinnig beschäftigt, gleichzeitig hatten wir mit großer Personalfluktuation zu kämpfen.

Wie haben sich Fallzahlen bei der Erziehungshilfe und dem Kinder- und Jugendschutz entwickelt?

Schrödl: Es hat ja vor einiger Zeit einen Aufschrei gegeben, weil sich vor allem die Zahlen in Eitorf und Windeck massiv erhöht hatten. Das hat sich mittlerweile beruhigt. Bundesweit ist die Zahl der Inobhutnahmen in den letzten Jahren drastisch gestiegen. Das war bei uns nicht der Fall. Die Ausgaben nehmen aber trotzdem zu, allein wegen der tarifbedingten Lohnsteigerungen. Wir stellen aber auch fest, dass die Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen extremer werden. Das kann einem schon Sorgen machen.

Was sind die Gründe?

Schrödl: Die Gründe sind sicher sehr vielschichtig. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung, die Sie auch bei Erwachsenen nachvollziehen können. Auch dort lässt sich etwa eine steigende Gewaltbereitschaft erkennen.

Was bedeutet das für die Zukunft der Jugendhilfe?

Schrödl: Wir sind ja an vielen Stellen auch nur die Ausputzer. Aber bei dieser Entwicklung glaube ich nicht, dass die Jugendhilfe dass alleine schultern kann. Wir müssen uns da alle auf den Weg machen.

Ist das Jugendamt denn derzeit personell ausreichend aufgestellt?

Schrödl: Bedarf sehe ich im Moment bei der familiären Kurzzeitbetreuung, die wir weiter ausbauen wollen.

Was ist das für ein Angebot?

Schrödl: Es gibt Familien, die Kinder für eine begrenzte Zeit aufnehmen – Kinder, die aufgrund einer Notsituation aus einer Familie herausgenommen werden mussten und deren weitere Perspektive unklar ist. Gerade für kleine Kinder ist das natürlich eine bessere Lösung als eine Heimunterbringung. Hier benötigen wir Personal, dass die Familien und Kinder betreut.

Wie sieht die Lage bei der Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen aus?

Schrödl: Im vergangenen Jahr ist es deutlich ruhiger geworden. Wir hatten phasenweise fast 100 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Zurzeit sind es noch 77, die wir betreuen. Davon sind etliche bereits volljährig geworden, benötigen aber dennoch weiter Betreuung. Wir haben damals als die große Welle ankam, viele in Pflegefamilien unterbringen können. Das ist erstaunlich gut gelaufen. Aus meiner Sicht ist das in vielen Fällen für die Integration sehr hilfreich gewesen.

Nach der tödlichen Attacke auf eine 15-Jährige durch einen minderjährigen Flüchtling im pfälzischen Kandel, Ende des vergangenen Jahres, entbrannte eine Diskussion um die Altersfeststellung bei jungen Flüchtlingen? Wie geht der Kreis mit dem Problem um?

Schrödl: Auch wir hatten natürlich Konstellationen, bei denen wir unsere Zweifel hatten, ob die Altersangaben stimmten. In einem Fall wissen wir sicher, dass ein falsches Alter genannt wurde. Derjenige hat die Angabe später selbst korrigiert. Medizinische Altersfeststellungen wurden nicht durchgeführt. Es ist doch so: Auch wenn eine Untersuchung stattfindet, ist die Fehlerquote noch riesig. Wir werden uns damit abfinden müssen, dass das Alter in Einzelfällen nicht stimmt.

Die Zahl der Asylsuchenden ist auch ein Grund für den wachsenden Bedarf an Kitaplätzen. Wie ist der Stand bei dem Ausbau der Kinderbetreuung?

Schrödl: Seit dem Kindergartenjahr 2016/2017 haben wir jetzt 39 weitere Gruppen entweder in Planung, teilweise schon im Provisorium untergebracht, teilweise im Neubau. Und das Ende der Fahnenstange ist damit sicher noch nicht erreicht. Wir sind in einigen Regionen Zuzugsgebiet. Der Bedarf ist aber für die Kommunen nicht leicht kalkulierbar.

Eine bessere Kalkulation sollte das Kita-Anmeldesystem „Little Bird“ ermöglichen. Doch der Kreis hat die Zusammenarbeit mit dem Anbieter gekündigt.

Schrödl: Ja, wir haben gekündigt, aber wir haben es noch nicht aufgegeben. Einige Nachbesserungen hat der Anbieter bereits zugesichert. Wir sind weiter im Austausch, um herauszufinden, wo liegen technische Fehler im System, wo Anwendungsfehler und wo lag eventuell einfach eine falsche Erwartungshaltung vor. Ich hoffe, dass wir bis zum 1. August die Probleme gelöst haben und dass es dann auch weitergeht mit 'Little Bird'.

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