Serie: Kennzeichen SU Tag des Ehrenamtes: Katharina Raab hat ihren Herzens-Job gefunden

Siegburg · Es gibt unzählige Möglichkeiten, sich ehrenamtlich einzubringen. Katharina Raab hat auf diese Weise im Ruhestand eine neue Aufgabe gefunden: Sie leitet ein Näh-Café in Siegburg.

Als Katharina Raab in ihren Ruhestand ging, wollte sie erst einmal die Seele baumeln lassen. Ein Jahr lang hat sie ihre Freizeit genossen und die Arbeitswelt hinter sich gelassen. „Dann fiel mir plötzlich die Decke auf den Kopf“, sagt die 64-Jährige. Nur wohin mit ihrem Tatendrang? Raab fasste Mut und ging im Oktober zur Freiwilligen-Agentur der Diakonie An Sieg und Rhein. „Ich hatte keinerlei Vorstellungen, was ich machen wollte.“ Das Ehrenamt, das sie hier gefunden hat, sei wie für sie gemacht, sagt die Siegburgerin: Die gelernte Maßschneidern leitet einen Nähkreis. Sie ist eine von zigtausenden Bürgern im Rhein-Sieg-Kreis, die sich ehrenamtlich engagieren. Heute wird bundesweit der Tag des Ehrenamtes begangen.

Wer mit dem Gedanken spielt, sich für die Gemeinschaft einzubringen, der findet mehrere Anlaufstellen im Kreis, die Anregungen und Vermittlung bieten. Zum Beispiel die Freiwilligen-Agentur der Diakonie, die mehrere Büros im Kreis hat. „Fast alle Interessenten kommen ohne genaue Vorstellungen in die Agentur. Wir schauen dann, was zu der Person passt und wie viel Zeit sie hat“, sagt Birgit Binte-Wingen. Sie leitet die Freiwilligen-Agentur seit der Gründung vor 13 Jahren. Von Besuchsdiensten in Altenheimen und Vorlesen für Kinder bis zur Betreuung von Kriminalitätsopfern sei in rund 300 Arbeitsbereichen für jeden was dabei. In 13 Jahren habe die Agentur rund 2000 Vermittlungen in freiwillige Arbeit erreicht, so Binte-Wingen. Bei Katharina Raab wusste die Leiterin der Agentur sofort, was das Richtige ist.

In Halle ließ sich Raab vor 45 Jahren zur Maßschneiderin ausbilden. In der damaligen DDR bildete sie sich zur Industriemeisterin fort. Nach der Wende machte sie ihre eigene Schneiderei auf. Schnell kam sie selbst in die Rolle der Ausbilderin und lernte neue Maßschneider an. Die größte Herausforderung in ihrem Handwerk wartete jedoch noch auf sie: 1998 nahm sie eine Stelle im Siegburger Gefängnis an. Ihre Lehrlinge waren nun Häftlinge, mit denen sie in der Schneiderwerkstatt der JVA Siegburg Kleidung und Wäsche produzierte. „Ich habe die unmöglichsten Leute an das Nähen herangebracht und nie die Geduld verloren“, sagt sie. Bei allen ihrer Schützlinge habe sie den gleichen Effekt bemerkt: Die Insassen wurden durch die Arbeit ruhiger. Raab blieb ihrem Metier treu. Jeden Dienstag bringt sie nun im Näh-Café der Freiwilligen-Agentur den verschiedensten Menschen ihr Handwerk bei.

Das Café ist in Kooperation mit der Evangelischen Erwachsenenbildung Siegburg und der Pfarrstelle für Behindertenarbeit entstanden. Zwischen 15 und 19 Uhr beantwortet Raab hier Fragen, bringt Anfängern das Nähen neu bei oder hilft bei Änderungsarbeiten. „Es kommen meisten fünf bis sechs Leute, die alle meine Hilfe wollen“, so die Schneiderin. Eine Frau aus der Mongolei sei oft da. Zwei Kinderkleider habe sie schon unter Raabs Anleitung genäht. Einen Tischläufer habe sie mit einem Cafébesucher mit geistiger Behinderung gemacht, erzählt die Rentnerin. „Ich bereue den Schritt zur freiwilligen Arbeit keine Minute. Wer rastet, der rostet und mich hält das Näh-Café sehr fit.“ In den letzten Jahren, die sie im Gefängnis gearbeitet habe, sei ihre Konzentration schwächer geworden. „Ich hatte Angst, Fehler zu machen. Das kann im Gefängnis natürlich fatal sein.“ Heute kann sie es entspannter angehen lassen. „Ich habe nicht mehr diese riesige Verantwortung wie in der JVA. Ich mache das, was mir Spaß macht, nur ohne die drückenden Pflichten“, sagt Raab. Und: Die Arbeit mache zufrieden. „Es ist schön, dass ich noch gebraucht werde. Außerdem komme ich hier in Gesellschaft.“

Sie sei ein sehr kontaktfreudiger Mensch und die Freude am Nähen verbinde sie mit den Besuchern des Näh-Cafés. Auch ein persönlicher Schicksalsschlag hat ihre Entscheidung zum Ehrenamt gefestigt. „Mein Lebenspartner ist pflegebedürftig. Zu Hause ist es deswegen momentan sehr schwer“, erzählt Raab. „Ich muss da ab und zu mal rauskommen, um neue Kraft zu schöpfen.“ Im Näh-Café nimmt sie sich die Zeit für sich selbst. „Beim Nähen kann mich nichts aus der Ruhe bringen. Ich bin Schneiderin aus Leidenschaft.“

Die Lebensumstände seien bei fast alle Menschen, die ein Ehrenamt suchen, ausschlaggebend, so Birgit Binte-Wingen. Es gebe natürlich viele Rentner, die ehrenamtlich arbeiten. Aber auch Berufstätige engagieren sich. „Die kommen dann meist in Programme, die sie selbst verwalten und wo die Termine flexibel sind“, sagt Binte-Wingen.

Sehr oft seien berufstätige Männer Ausbildungspaten. Sie begleiten Jugendliche auf ihrem Bildungsweg. „Dann gibt es auch viele Arbeitslose, die ihre Zeit mit freiwilliger Arbeit füllen wollen“, ergänzt die Leiterin der Agentur. Das gebe ihnen einen geregelten Tagesablauf. Und: In jedem Lebenslauf macht sich ehrenamtliches Engagement gut. Die Agentur stellt bei Bedarf Bescheinigungen für Ehrenamtliche aus.

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