Interview "Täterbehandlung ist der bessere Opferschutz"

Der Diplom-Psychologe Franz-Reiner Ooms spricht im Interview über die neue sozialtherapeutische Abteilung der JVA Siegburg. Mit Ooms sprach Anna Maria Beekes.

 Diplom-Psychologe Franz-Reiner Ooms

Diplom-Psychologe Franz-Reiner Ooms

Foto: Repro GA

Mit was für Gefangenen haben Sie in der sozialtherapeutischen Abteilung zu tun?
Franz-Reiner Ooms: Der sozialtherapeutische Ansatz orientiert sich eher an langstrafigen Gefangenen, die von Sicherungsverwahrung bedroht sind. Mehr als 50 Prozent von ihnen sind Gewalttäter, der Rest Sexualstraftäter. Sie "bewerben" sich, um aus anderen Anstalten zu uns kommen zu können , oder werden von der JVA Hagen als Einweisungsanstalt direkt hierhin eingewiesen. Bei erfolgreicher Behandlung kann etwa erreicht werden, dass eine lebenslängliche Strafe in eine Bewährung umgewandelt wird.

Können Sie mehr zum sozialtherapeutischen Ansatz sagen?
Ooms: Unsere Arbeit beruht auf dem im Strafvollzugsgesetz festgeschriebenen Grundsatz, dass jeder Verurteilte eine konkrete Chance haben muss, wieder in Freiheit zu gelangen. Die Gefangenen werden sehr intensiv behandelt, was bereits der Personalschlüssel von einem Mitarbeiter pro zehn Gefangenen zeigt. In der herkömmlichen vollzuglichen Arbeit kommt ein Psychologe auf etwa 150 Gefangene. Wir arbeiten auf Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse unter Begleitung des Kriminologischen Dienstes im Justizministerium.

Wie kommt es, dass diese Abteilung in Siegburg aufgebaut wird?
Ooms: Siegburg hat eine lange Tradition in der Sozialtherapie jugendlicher Straftäter. Mit den jungen Gefangenen ist leider auch diese zunächst verschwunden. Überlegungen zum Ausbau des sozialtherapeutischen Behandlungsangebots für erwachsene Strafgefangene in NRW und die bestehenden logistischen Möglichkeiten der JVA Siegburg haben im Justizministerium die Entscheidung forciert, in Siegburg eine sozialtherapeutische Abteilung für erwachsene Straftäter anzusiedeln. Am 1. Juni vergangenen Jahres haben wir die Abteilung eröffnet, schon im Januar waren die 45 Plätze belegt. Ich hätte selbst nicht damit gerechnet, dass es so schnell geht. Gerade ist beschlossen worden, dass wir weitere 30 Plätze dazu bekommen.

Wie gehen Sie mit den Gefangenen um?
Ooms: Es handelt sich dabei zum großen Teil um Insassen, die hochrückfallgefährdet sind. Die Gefangenen erlernen bei uns beispielsweise in einer modularen Gruppenarbeit Skills (Kommunikations- und Verhaltensstrategien, Anm. d. Red.), um Konfliktsituationen gar nicht erst aufkommen zu lassen oder zu deeskalieren. Wir sprechen sehr viel mit den Gefangenen, versuchen über Kommunikation und soziale Nähe Vertrauen herzustellen. Später gehen wir etwa mit ihnen einkaufen, um sie schrittweise wieder an den Alltag "draußen" zu gewöhnen. Unser Idealziel ist es, dass sie irgendwann in Freiheit leben können, ohne straffällig zu werden.

Weckt das nicht auch Ängste, drinnen wie draußen?
Ooms: Natürlich. Bis auf mich selbst hatten meine Mitarbeiter bisher fast nur mit kurzstrafigen Jugendlichen zusammengearbeitet. Sie waren natürlich anfangs unsicher. Aber sie haben das alle schnell und souverän gemeistert. Auch bei den Gefangenen selbst, die in drei Wohngruppen à 15 Personen leben, ist es natürlich für manche schwierig, etwa mit einem Sexualstraftäter gemeinsam zum Frühstück zu gehen. Aber wir haben hier das Glück, dass die meisten bereits eine große Eigenmotivation mitbringen. Spätestens nach einem halben Jahr kann ich sagen, ob diese Motivation nur gespielt ist. Auf der anderen Seite ist uns immer bewusst, welche Verantwortung wir für die Gesellschaft haben. Wir machen uns unsere Entscheidungen nicht leicht, und es werden nur solche Insassen gelockert und perspektivisch in Freiheit entlassen, bei denen wir eine gute Perspektive sehen. Auch wenn unser Behandlungsansatz der Öffentlichkeit oft vielleicht nicht zu vermitteln ist und Irritationen auslöst, halte ich ein nachhaltiges und intensives Behandlungsangebot für unbedingt richtig und wichtig. Eine kultivierte Gesellschaft muss sich der Auseinandersetzung auch mit zum Teil psychisch schwer gestörten Strafgefangenen stellen. Täterbehandlung ist der beste Opferschutz.

Zur Person

Franz-Reiner Ooms studierte Psychologie mit Schwerpunkt klinische und forensische Psychologie in Bonn und war danach in verschiedenen Justizvollzugsanstalten tätig. 1991 erfolgte die Approbation zum psychologischen Psychotherapeuten. 1998 wechselte er in die JVA Euskirchen, baute dort den Psychologischen Dienst auf und übernahm ab 1999 die Abteilungsleitung im "Übergangshaus" (intensive Haftentlassungsvorbereitung für langstrafige Inhaftierte). 2010 wurde er Leiter des Psychologischen Dienstes der JVA Rheinbach. 2013 wechselte er nach Siegburg.

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