Serie von Raubüberfällen Opfer von Überfällen in der Region oft traumatisiert

Rhein-Sieg-Kreis · Eine Serie von bewaffneten Überfällen auf Supermärkte beschäftigt die Polizei in der Region. Meist dauern die Taten nur wenige Minuten, doch traumatisierte Betroffene leiden lange unter den Erlebnissen.

Die Kundin lässt ihren Blick noch einmal über die Waren auf dem Fließband schweifen. „Hab' ich auch wirklich an alles gedacht?“ Vielleicht ist sie mit ihren Gedanken aber auch ganz woanders, denkt an ihre Kinder zuhause oder an den langen Tag im Büro. Als sie den Blick wieder hebt, steht am Ende der Kasse ein Mann. Er ist maskiert und hält eine Waffe in der Hand. Die Tat dauert vielleicht nur wenige Minuten. Doch für Betroffene, die Opfer eines solchen Verbrechens werden, ist es möglicherweise erst der Beginn eines lang andauernden Albtraumes.

Die Täter kommen kurz vor Ladenschluss, wenn sich die Supermärkte und Discounter bereits leeren. In der Hoffnung auf hohe Beute, geringen Widerstand und schnelle Flucht schlagen sie zu. Immer wieder kommt es in der Region zu solchen Überfällen – zuletzt am vergangenen Donnerstagabend, als ein junger mit Sturmhaube maskierter Mann die Kassiererin eines Supermarktes an der Schulstraße in Sankt Augustin-Niederpleis mit einer Schusswaffe bedrohte. Anfang Oktober traf es einen Netto-Markt in Menden, kurz zuvor einen Lebensmittelhändler in Hennef. Über weitere Fälle im Rhein-Sieg-Kreis und Bonn berichtete der General-Anzeiger <a href="internal:/article/3939092" id="_5d7b76fa-4f08-447f-a2ba-15b7c3742752">im September.

Die Opfer geraten aus dem Blick

Während die Suche nach den Tätern in den Tagen danach die Schlagzeilen dominiert, geraten die Opfer anschließend häufig aus dem Blick, sagt Kriminalhauptkommissar Michael Kohlhaw. Der gebürtige Siegburger ist einer von zwei Opferschutzbeauftragten der Polizei im Rhein-Sieg-Kreis. Seine Arbeit beginnt manchmal erst Tage nach einem Verbrechen oder einem schweren Verkehrsunfall. Meist schalten ihn aufmerksame Kollegen vor Ort ein, wenn sie das Gefühl haben, dass Opfer weitergehende Hilfe benötigen. „Eine Traumatisierung ist ein sehr komplexer Vorgang, nicht immer realisieren Betroffene, was mit ihnen passiert ist“, so Kohlhaw. Gerate eine Person in eine Situation wie die eingangs geschilderte, die der Opferschutzbeauftragte beispielhaft skizzierte, überfordere die Gefahr oftmals den Verstand, das Gehirn könne die Wahrnehmungseindrücke dann nicht mehr verarbeiten. „Der Überlebenswunsch verdrängt alles andere, man reagiert nur noch“, sagt Kohlhaw. Erst später, wenn der Täter verschwunden ist, bricht das Erlebte über die Opfer ein. „Sie können zittern, weinen oder völlig apathisch sein.“ Bereits dann beginnt für die Polizeibeamten der Opferschutz. Zwar sei eine erste Befragung von Zeugen durch die Ermittler unumgänglich, eine Vernehmung geschehe in der Regel aber stets abseits des eigentlichen Tatorts.

Noch Jahre später können die Erlebnisse über die Opfer hereinbrechen

Was sich zum Beispiel bei Raubüberfällen in Betroffenen abspiele, sei für Außenstehende nicht nachzuempfinden. „Diese Menschen sind ganz plötzlich einer Realität ausgesetzt, die sich mit dem gesammelten Erfahrungsschatz nicht in Übereinstimmung bringen lässt“, so Kohlhaw. Das Erlebte entzieht sich dem Verstand. „Für den Moment ist man ganz buchstäblich ver-rückt.“ Gleichzeitig sauge das im Ausnahmezustand befindliche Gehirn Sinneseindrücke, vor allem Gerüche, geradezu ein. Kohlhaw: „Der Geruchssinn ist unser zentraler Warnmelder, der uns zum Beispiel bei Rauchentwicklung sofort in Alarm versetzt.“

Noch Jahre später kann das traumatische Erlebnis wieder über Opfer hereinbrechen, wenn etwa erinnerte Gerüche sogenannte Flashbacks auslösen. Dann könnten Opfer, zum Beispiel von Gewalttaten, sogar selbst eine Gefahr für sich oder für Mitmenschen werden. „Die Polizei kümmert sich eben nicht nur um die Strafverfolgung, sondern auch um die Gefahrenabwehr“, so Kohlhaw. Ein Verbrechen ende für Opfer noch längst nicht, wenn der Täter den Tatort verlassen habe.

Kohlhaw arbeitet seit 14 Jahren als Opferschutzbeauftragter im Kreis

Seit 14 Jahren arbeitet er inzwischen als Opferschutzbeauftragter. Zahllose Gespräche mit Opfern und Ersthelfern führte er in dieser Zeit. „Ich vermittele zwischen Betroffenen und dem Weißen Ring, der Notfallseelsorge oder auch Psychotraumatologen.“

Am Telefon oder in persönlichen Gesprächen bietet Kohlhaw Opfern die Möglichkeit, über das Erlebte zu sprechen – nur, wenn sie den Wunsch danach haben, betont er. „Wenn man manchmal Jahre später die Rückmeldung bekommt, dass man den Menschen helfen konnte, dann macht mich das glücklich“, sagt er. „Ich habe gelernt, dass auch aus einem Unglück irgendwann wieder etwas Positives entstehen kann.“

Im kommenden Jahr geht Kohlhaw in den Ruhestand. Nachdem er zunächst etwas Abstand von seinem Beruf gewinnen will, möchte er vielleicht weiter Opfern von Verbrechern helfen, dann möglicherweise ehrenamtlich bei der Organisation Weißer Ring. Personen, die Opfer von Verbrechen geworden sind, empfiehlt er: „Man sollte darüber reden und auch, wenn es manchen Menschen schwerfällt, Schwäche zulassen.“

Die Opferschutzbeauftragten der Polizei im Rhein-Sieg-Kreis, Michael Kohlhaw und Lisa Thiebes, sind erreichbar unter 0 22 41/5 41 47 77.

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