Interview mit Abgeordneter aus Bad Honnef Nicole Westig kämpft im Bundestag gegen Pflegenotstand

Rhein-Sieg-Kreis · Die Bad Honnefer FDP-Politikerin Nicole Westig sitzt seit Herbst im Bundestag. Im Gespräch zieht die pflegepolitische Sprecherin der FDP-Fraktion eine erste Bilanz.

 Die erste Rede: Nicole Westig im März im Bundestag.

Die erste Rede: Nicole Westig im März im Bundestag.

Foto: FDP

Vor acht Monaten sind Sie in den Bundestag gewählt worden. Sind Sie gut angekommen in Berlin?

Nicole Westig: Inzwischen ja. Anfangs war es etwas trubelig, erst jetzt ziehe ich in mein endgültiges Büro. Für mich ist mit dem Einzug in den Bundestag ein Traum in Erfüllung gegangen. Und ich freue mich, dass ich mit 50 noch einmal etwas Neues machen darf. Die Stimmung in der Fraktion ist gut, uns eint die Freude, wieder im Bundestag zu sein.

Bereuen Sie, dass die FDP die Jamaika-Koalition verworfen hat?

Westig: Auf keinen Fall. Gerade wenn ich sehe, wie sich die jetzige Regierung aufstellt. Das ist nicht unser Weg. Es braucht in einer Koalition einfach mehr als ein paar thematische Gemeinsamkeiten. Man weiß ja nie, was in der Legislaturperiode kommt. Wer hätte bei der Wahl 2009 mit der Eurokrise gerechnet? Wer hat 2013 vorhergesehen, dass es zwei Jahre später zu großen Flüchtlingsbewegungen kommt? Für solche nicht absehbaren Dinge braucht man eine gemeinsame Haltung. Die hätte es bei Jamaika nicht gegeben, anders als bei Schwarz-Gelb in NRW. Natürlich werden wir in der Opposition nicht so leicht wahrgenommen wie die politischen Ränder, die auf einfache Antworten setzen.

Wie empfinden Sie die Atmosphäre im Parlament mit der AfD?

Westig: Sehr unangenehm. Unter allen demokratischen Parteien gibt es in bestimmten Fragen einen Konsens und Spielregeln, an die sich alle Fraktionen halten. Darin findet sich die AfD nicht wieder. Ihre Abgeordneten rufen schon mal „Hetzerin“, wenn Claudia Roth als Vizepräsidentin vorne sitzt. Wenn der Präsident der französischen Nationalversammlung, François de Rugy, zur Jahresfeier des Elysée-Vertrags auf Deutsch zu uns spricht, klatschen alle außer der AfD. Das ist keine demokratische Kultur.

Wie soll man mit dem marktschreierischen Populismus der AfD umgehen? Ignorieren oder die offene Auseinandersetzung suchen?

Westig: Das ist immer eine Gratwanderung. Klein kriegt man sie dann, wenn man klare Kante zeigt und sich von rassistischen oder antisemitischen Tönen abgrenzt.

Sie sind Schriftführerin im Bundestag. Was müssen Sie da tun?

Westig: Man ist zum Beispiel an den Wahlurnen eingeteilt, wenn eine namentliche Abstimmung ansteht. Oder man sitzt neben dem Präsidenten, führt die Rednerliste und achtet auf die Einhaltung der Redezeit. Eine schöne Aufgabe, so lerne ich schnell die parlamentarischen Abläufe kennen.

Ihr politischer Schwerpunkt ist die Pflege. Wie kommen Sie dazu?

Westig: Das war mein Wunschthema. Ich war vor meiner Wahl bei der Diakonie Michaelshoven in Köln beschäftigt, wo ich für das Fundraising zuständig war – zum Beispiel für soziale Projekte, die älteren Menschen zugute kamen. Da ging es auch immer wieder um Themen wie Demenz und Altersarmut, ich habe viele Pflegeheime kennengelernt.

Welche Probleme sind auf diesem Gebiet am drängendsten?

Westig: Das ist zum einen der Fachkräftemangel. Der begegnet mir zwar in allen Berufen, aber im Pflegebereich wirkt er sich besonders schlimm aus, weil es um die Arbeit mit Menschen geht – um menschenwürdiges Altern, um Krankheit. Zum anderen müssen wir aber dringend etwas für Pflegekräfte und pflegende Angehörige tun. Sie leisten eine extrem schwierige Arbeit und brauchen Entlastung. Die Digitalisierung bietet dazu große Chancen.

Inwieweit?

Westig: Es gibt beispielsweise Sensoren, die Stürze melden, oder Pflaster, die die Flüssigkeitszufuhr überwachen. Es bietet sich auch an, die Dokumentation zu bündeln und dann zu digitalisieren. Denn allein für Dokumentationspflichten müssen Pflegekräfte 13 Prozent ihrer Arbeitszeit aufwenden, hinzu kommen acht Prozent für Logistikaufgaben. Diese Zeit fehlt für die Pflege am Bett.

Wie finden Sie die Idee, Flüchtlinge in Pflegeberufen unterzubringen?

Westig: Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck hat ja ein Bleiberecht für Flüchtlinge ins Spiel gebracht, die in Pflegeberufe gehen. Tatsächlich gibt es auch im Rhein-Sieg-Kreis tolle Projekte, bei denen Flüchtlinge eingebunden werden, etwa bei der Caritas. Ich finde aber, dass wir Bedingungen stellen müssen. Pflegekräfte-Azubis sollten einen sicheren Aufenthaltsstatus erhalten. Die Bleibeperspektive sollte mit dem Bildungserfolg verknüpft werden – auch mit Blick auf Deutschkenntnisse. Auch bei diesem Thema zeigt sich, dass wir ein Einwanderungsgesetz brauchen, mit dem wir Fachkräftemangel gezielt bekämpfen können.

Zurück zur FDP. Beim Bundesparteitag wurde über die Frauenförderung gesprochen. Ist Ihre Partei in dieser Hinsicht rückständig?

Westig: Ja. Bei diesem Thema haben wir eindeutig Aufholbedarf. Wenn wir eine innovative Partei sind, dann müssen wir auch gleichberechtigte Teilhabe ermöglichen. Ich bin glücklich, dass Christian Lindner dieses Thema aufgegriffen und eine Arbeitsgruppe eingerichtet hat. Wichtig sind auch die Impulse, die mein Fraktionskollege Thomas Sattelberger einbringt: Er hat sich als Telekom-Manager sehr für die Frauenförderung eingesetzt.

Wie halten Sie es mit der Frauenquote? Passt sie ins liberale Selbstverständnis?

Westig: Wir sollten sie nicht gleich ausschließen, sondern ergebnisoffen diskutieren. Wenn man sich am Ende gegen eine Frauenquote entscheidet, müsste man konsequenterweise auch den Regionalproporz abschaffen. Da in den Regionalverbänden oft Männer die Nummer eins sind, kommen sie eher in die höheren Positionen. Mein Königsweg ist der: Man muss als Frau Mut zeigen, mögliche Kandidatinnen ansprechen, auch mal selbst eine Kampfkandidatur wagen. So habe ich es gemacht, als wir das Team für den Kreistag aufgestellt haben.

In die Bonn-Berlin-Diskussion soll wieder Bewegung kommen. Wie schätzen Sie die Lage ein?

Westig: Das ist einer der wenigen Punkte im Koalitionsvertrag, die ich gut finde. Wir haben die historische Chance, den Status Bonns als zweites bundespolitisches Zentrum über eine Zusatzvereinbarung vertraglich abzusichern. Wir müssen die Abwanderung von Arbeitsplätzen nach Berlin und den Rutschbahneffekt stoppen. Das ging mir neulich auch anlässlich der Trauerfeier von Ehrenlandrat Franz Möller durch den Kopf: Was er mit dem Berlin-Bonn-Gesetz begonnen hat, müssen wir bewahren und für die Zukunft sichern. Ich bin froh, dass wir regionale Abgeordnete über Parteigrenzen hinweg in dieser Frage zusammenstehen.

Sie sind inzwischen FDP-Kreisvorsitzende, Ihr Sohn Felix Vorsitzender der Jungen Liberalen Rhein-Sieg. Sind sie eine politische Familie?

Westig: Schon. Mein Sohn ist mit 16 in die FDP eingetreten, ohne dass ich es forciert habe. Meine Tochter unterstützt mich, etwa im Bereich Social Media. Aber natürlich bleibt noch Raum für andere Themen.

Was sind die großen liberalen Streitthemen zu Hause?

Westig: Es gibt ein ganz bestimmtes Streitthema: Die Jungen Liberalen fordern jedes Jahr zu Karfreitag, das Tanzverbot zu stillen Feiertagen zu kippen. Aber ich gehöre zu den Freidemokraten, die gläubig sind und gerne in die Kirche gehen. Mir ist das wichtig.

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