Ostern Lesung für die wahren Helden des Siegburger Nordfriedhofs

SIEGBURG · Der Stadtbibliothek und das Café T.O.D. luden an Karfreitag zu einem literarischen Treffen auf den Nordfriedhof ein. Das Thema: Toleranz.

 Andrea Müller am Grab von Walburga Bergweiler

Andrea Müller am Grab von Walburga Bergweiler

Foto: Marie-Theres Demmer

Dichtes Efeu umrankt den Grabstein auf einem kleinen Reihengrab des Siegburger Nordfriedhofs. Johann Babies steht darauf in geschwungener Schrift geschrieben. Im Jahr 2003 wurde der aus Siegburg stammende Obdachlose Opfer jugendlicher Gewalt: Fünf junge Männer suchten Babies in seiner Behausung in Neulußheim (bei Speyer) auf und prügelten ihn zu Tode. Johann Babies war eine von drei Persönlichkeiten, die Charly Halft vom Freundeskreis der Stadtbibliothek Siegburg sowie Andrea Müller und Uschi Stenz vom Café T.O.D. bei den „Literarischen Momenten“ am Karfreitag vorstellten.

„Passend zum Karfreitag haben wir für die heutige Lesung Gräber von drei Siegburgern und Texte ausgewählt, die für Toleranz und Nächstenliebe appellieren“, so Charly Halft. Mehr als dreißig Besucher umringen das Grab Babies. Mit geschlossenen Augen oder gesenktem Blick lauschten sie der Stimme von Uschi Stenz. In Anlehnung an das Schicksal des Obdachlosen las sie das zeitgenössische Gedicht „Arbeitslos – Obdachlos... mein Los...“ von Kristian Goldmund Aumann. „Ich werde sterben. Namen-Los“ lautet der letzte Vers. Der für seine rheinische Mundart bekannte Babies starb nicht namenlos. Durch zahlreiche Geldgeber erhielt er ein kleines Grab in Siegburg.

Die zweite Person der Lesung gab namenlosen Toten ihren Namen zurück. Walburga Bergweiler war die Ehefrau des ersten Wärters des Nordfriedhofs, Josef Bergweiler. Während des Zweiten Weltkriegs sorgte sie dafür, dass tote politische Gefangene und russische Kriegsgefangene anstelle anonymer Massengräber in Einzelgräbern mit Grabstein bestattet wurden. „Für mich ist sie die wahre Heldin des Nordfriedhofs“, sagte Andrea Müller. An Walburga Bergweilers Grab trug sie das Gedicht „Wenn wir den Krieg gewonnen hätten“ von Erich Kästner vor.

„Der Tod ist nichts, ich bin nur in das Zimmer nebenan gegangen“ lautet der erste Satz des Gedichts „Der Tod ist nichts“ des französischen Schriftstellers Charles Péguy, das Charly Halft am Grab von Monika Füßer rezitierte. Die begeisterte Karnevalistin war stadtbekannt. Trotz eines schweren Krebsleidens war sie Vorsitzende der damaligen Karnevalsgesellschaft „Sonnenschein“ und die erste Präsidentin des Siegburger Karnevalskomitees. „Trotz Chemotherapie und zahlreicher Operationen bereitete sie anderen Leuten Freude“, sagte Halft. „Das Gedicht von Péguy ist mir besonders nahegegangen, da mein Mann im letzten Jahr verstorben ist“, so eine Besucherin aus Siegburg.

Im Anschluss an den literarischen Spaziergang über den Friedhof lasen die drei Referenten in der Trauerhalle zudem zwei weitere Gedichte und die Kurzgeschichte „Der Suchende“ des Argentiniers Jorge Bucay. Darin geht es um einen Mann, der einen Friedhof auffindet, auf dessen Grabsteinen anstelle der Lebensdaten die Zeitdauer notiert steht, in der die Menschen am glücklichsten waren. Im Sommer wird es bei Käse und Wein erneut „Literarische Momente“ auf dem Nordfriedhof geben.

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