Auswirkungen im Rhein-Sieg-Kreis Immer mehr Briten wollen deutsche Staatsbürgerschaft

Rhein-Sieg-Kreis · Die Zahlen haben sich seit dem Brexit-Votum massiv erhöht: Im Rhein-Sieg-Kreis beantragen immer mehr Briten die deutsche Staatsbürgerschaft. 2017 waren es bereits 65 Personen.

Das letzte Mal, dass Martin Clark mit seinem Bruder gesprochen hat, ist genau ein Jahr und zwei Tage her. „Ich weiß das so genau, weil er mir damals noch zum Geburtstag gratulierte“, sagt Clark (Name geändert). „Wir waren immer schon wie Käse und Reibe, aber seit dem Brexit reden wir gar nicht mehr miteinander.“ Sein Bruder stimmte für den Austritt. Wie viele Landsleute glaube er, der Brexit bringe Unabhängigkeit und ermögliche die Rückkehr Großbritanniens zu alter Größe. Clark sieht das anders: „Wenn man klein denkt, baut man Mauern.“

Der 62-jährige gebürtige Waliser lebt seit 32 Jahren in Deutschland, wohnt in Sankt Augustin, ist verheiratet mit einer deutschen Frau, hat zwei deutsch-britische Kinder und besitzt seit kurzer Zeit auch selbst die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Entscheidung, sich einbürgern zu lassen, habe er bereits im vergangenen Jahr getroffen. Vor allem seiner Tochter habe das überraschende Brexit-Votum emotional schwer zugesetzt. „Ich wollte meiner Familie das Gefühl zurückgeben, dass wir alles unter Kontrolle haben“, berichtet Clark. Das Brexit-Votum wirkte auf die Familie wie eine Bedrohung ihrer Freiheiten, wo man leben, wo man arbeiten wolle. „Ich wollte einfach Sicherheit“, so Clark.

Tatsächlich sind die Ungewissheiten über die Folgen eines EU-Austritts Großbritanniens auch sechs Monate nach Beginn der Verhandlungen kaum geringer geworden – nicht zuletzt weil sich die Regierung von Premierministerin Theresa May selbst nicht einig über die Bedingungen des EU-Austritts zu sein scheint. Eines dürfte jedoch sicher sein: Scheidet Großbritannien aus der EU aus, verlieren in Deutschland lebende Briten, die dort mindestens seit acht Jahren wohnen, das Recht auf eine doppelte Staatsbürgerschaft.

„Den in Deutschland lebenden Briten kann man nur den Rat geben: Beantragen Sie die deutsche Staatsangehörigkeit, solange 'UK' noch in der EU ist. Dann dürfen Sie Ihre englische Staatsangehörigkeit behalten und Sie haben das Beste aus zwei Welten“, sagt der zuständige Rechts- und Ordnungsdezernent des Kreises Michael Jaeger.

Zahl der Neubürger: Briten hinter Türken auf Platz zwei

Tatsächlich beherzigen augenscheinlich immer mehr Briten diesen Rat: Ließ sich in der ersten Jahreshälfte 2016, also vor dem Brexit-Votum am 23. Juni, kein einziger Brite im Rhein-Sieg-Kreis einbürgern, waren es in der zweiten Jahreshälfte bereits 21. In diesem Jahr beantragten 65 Personen aus Großbritannien die deutsche Staatsbürgerschaft. Zum Vergleich: Im Jahr 2005 waren es lediglich vier. Damit landet Großbritannien in der Rangliste der Staaten, aus denen 2017 die meisten Neubürger stammten, auf Platz zwei – hinter der Türkei mit 82 Personen. Die meisten britischstämmigen Neubürger aus diesem Jahr leben in Wachtberg (neun), gefolgt Rheinbach (acht), Alfter, Bornheim und Sankt Augustin (je einer).

Auch Nicolas Selo hat den Schritt gewagt. Nach 35 Jahren in Deutschland hat der aus London stammende Musiker vor einigen Tagen im Kreishaus feierlich sein „Bekenntnis zur Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung“ der Bundesrepublik abgegeben und die Einbürgerungsurkunde erhalten. Seiner Ansicht nach ist der Brexit widersinnig. „Er wird lediglich hohe Kosten und für Reisende ungeheuren Aufwand verursachen“, so der 57-jährige Hennefer. Seiner Ansicht nach nutzten viele Brexit-Befürworter, vor allem in der ländlichen Bevölkerung, die „Nacht- und Nebel-Wahl“, um ihrem Ärger über Brüssel Luft zu machen. „Diese Entwicklung gibt es derzeit aber in vielen Ländern. Das macht mir schon Sorgen.“ Hoffentlich, so Selo, werde sich das Verhältnis zwischen Deutschen und Briten auch nach einem Brexit nicht verschlechtern.

Partnerschaftsvereine: Keine Probleme seit Brexit-Votum

„Auf unsere Beziehungen nach Großbritannien hat der Brexit bisher keine Auswirkungen“, berichtet Joachim Weiß vom Rheinbacher Partnerschaftsverein „Freunde von Sevenoaks“. Und er ist sich sicher: Es wird sich auch nichts ändern. „Wir haben Freundschaften, die so gewachsen sind, dass so etwas keine Rolle spielt.“ Dabei seien unter den Teilnehmern des Deutschland-Austauschs durchaus auch Brexit-Befürworter. Probleme entstünden dadurch nicht. Andererseits habe Weiß aber den Eindruck, dass sich viele Deutsche, die ihrerseits grundsätzlich an einem Austausch interessiertet wären, mittlerweile eher zurückhalten.

Auch im Partnerschaftsverein Königswinter/North East Lincolnshire sei der Brexit kein Thema – „jedenfalls noch nicht“, sagt Vorsitzende Monika Effelsberg, Und doch stelle der Verein leider schon seit einigen Jahren auf britischer Seite einen Rückgang bei den Besuchern fest. „Die Schüleraustausche sind fast komplett eingeschlafen“, so Effelsberg. Und auch zu den gemeinsamen Besuchen des Winzerfestes kämen fast nur nur Mitarbeiter des „Councils“, also der Kreisverwaltung.

Martin Clark und seine Frau werden auch künftig weiterhin regelmäßig die Insel besuchen. „Wir lieben die britische Kultur, vor allem die alten englischen Landhäuser.“ Mit der Entscheidung, jetzt auch „deutsch“ zu sein, kann er sehr gut leben. Was für ihn typisch deutsch ist? „Das ist schwer zu sagen. Deutschland ist ein vielfältiges Land. Ich habe hier gelernt, dass die Menschen aus jeder Region, etwa aus Schwaben oder dem Rheinland, ganz verschieden sind.“

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