Siegburger Gymnasium Alleestraße "Hörst du uns, Alex?"

SIEGBURG · Die Schüler des Siegburger Gymnasium Alleestraße haben jetzt über Funk mit dem Astronauten Alexander Gerst auf der ISS gesprochen.

 Von Siegburg per Funkkontakt zur ISS: Schüler vom Gymnasium Alleestraße durften Alexander Gerst am Montagnachmittag ihre Fragen stellen.

Von Siegburg per Funkkontakt zur ISS: Schüler vom Gymnasium Alleestraße durften Alexander Gerst am Montagnachmittag ihre Fragen stellen.

Foto: Holger Arndt

Es ist ganz genau 15:13 Uhr, als die Stimme von Alexander Gersts zum ersten Mal durch die Aula des Gymnasiums Alleestraße hallt: "Ja, ich höre euch, hallo!" Im Halbdunkel der Siegburger Schule haben 600 Menschen gebannt und mucksmäuschenstill auf ein Zeichen aus dem All gewartet - jetzt ist es da, zwar mit Knacken und Rauschen unterlegt, aber er ist es: der deutsche ESA-Astronaut Alexander Gerst, der seit Ende Mai und noch bis Mitte November auf der Internationalen Raumstation ISS unterwegs ist. Die Spannung entlädt sich in aufgeregtem Tuscheln und Wispern, das Georg Westbeld mit einer Handbewegung einzudämmen versucht.

Westbeld vom Deutschen Amateur-Radio-Club hat zuvor die Verbindung mit Gerst hergestellt. Nichts hatten der Amateurfunker und seine Kollegen dem Zufall überlassen, seit neun Monaten haben sie das Projekt gemeinsam mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Universität Bonn vorbereitet. Für die Funker ist der Kontakt zu Gerst etwas ganz Besonderes: "Schließlich hat Gerst selbst als Junge mit seinem Opa zum Mars gefunkt und wollte deshalb Astronaut werden", erzählt Westbeld.

Für den Fall, dass der Empfang in Siegburg gestört sein sollte, haben die Funker doppelt und dreifach vorgesorgt: Das Antennensystem, das sie auf dem Dach des Siegburger Gymnasiums installiert haben, ist mehrfach abgesichert. Und sollte alles schiefgehen, stehen als "Back-up" die sogenannte WEB-SDR-Technologie, eine softwarebasierte Signalverarbeitung, oder aber der italienische Funker-Kollege Claudio Ariotti bereit, um zu übernehmen. "Selbst wenn der Strom hier komplett ausfällt, können wir immer noch mit Alexander Gerst sprechen", sagte Westbeld.

[kein Linktext vorhanden]Alles klappt trotzdem nicht: Anders als eigentlich geplant, können die Schüler Alexander Gerst während des Funkkontakts nicht live sehen. "Das ist gleichsam in letzter Sekunde durch die Nasa gecancelt worden", erklärt Martin Fleischmann vom DLR. So lächelt Gerst nur in voller Astronauten-Montur von der Leinwand auf die in der Aula Versammelten herab - und vielleicht auch von viel weiter oben. Denn schon lange bevor die Gymnasiasten der "ISS-AG" unter Leitung von Lehrerin Christina Müller endlich ihre Fragen an den Mann im All stellen dürfen, können sie auf einer virtuellen Karte beobachten, wo sich die ISS gerade befindet. Eine halbe Stunde vor dem geplanten Funkkontakt schwebt Gerst noch über Mexiko, wenig später ist er bereits in der Karibik unterwegs, und genau um 15.12 Uhr soll er sich über dem Rhein-Sieg-Kreis und damit über dem Gymnasium Alleestraße befinden. Neun bis elf Minuten lang können die Schüler dann mit ihm kommunizieren - "schließlich ist die Raumstation irre schnell", sagt Amateurfunker Stefan Scharfenstein, "mit 28 000 Stundenkilometern umrundet sie in nur 91 Minuten die Erde." Ein paar davon sind den Siegburgern vorbehalten.

In den Minuten, bevor es ernst wird, graben sich schwitzige Finger in Stuhllehnen, Füße in Turnschuhen trippeln nervös auf dem Boden. "Ich bin total aufgeregt", sagt der 14-jährige Milan Bucaka. Er trägt, wie die anderen 19 auserwählten Schüler, die Gerst Fragen stellen, ein gelbes T-Shirt mit der Aufschrift "GSA in contact with ISS" und will von Gerst wissen, welche Erkenntnisse dessen Mission "Blue Dot" schon hervorgebracht hat.

Um zehn nach drei wird es ernst: Alle Türen werden geschlossen, alle müssen leise sein. "Delta-Nova-Sechs-Kilo-Whiskey ruft Delta-Papa-Null-India-Sierra-Sierra - hörst du uns, Alex?", ruft Georg Westbeld ins Mikrofon, das an die Funkanlage gekoppelt ist. DN 6 KW, das ist Westbelds Funkcode, und DP 0 ISS gehört natürlich zur ISS und damit zu Alexander Gerst. Drei Mal muss Westbeld nach ihm rufen, dann meldet sich der Astronaut plötzlich: "Ja, ich höre euch!"

Und jetzt geht alles ganz schnell: Einer nach dem anderen stellen die Schüler dem 38-Jährigen ihre Fragen und beenden sie - ganz wichtig - mit dem Wort "Over", um zu signalisieren, dass jetzt nicht mehr gesendet, sondern empfangen wird. Wie aufwendig die Reparaturarbeiten außerhalb der ISS sind, wollen die Schüler wissen. Was ist das größte Risiko eines Astronauten? Was vermisst Gerst am meisten? Und was macht im All den größten Spaß? "Den Leuten auf der Erde zuzuschauen", sagt Gerst. Er ist nur schwer zu verstehen. Seine Zuhörer sind trotzdem begeistert und danken ihm mit einem langen Applaus, als nach wenigen Minuten schon wieder alles vorbei ist. Merlin Fejzuli (15) ist beeindruckt: "Ich kann mir gut vorstellen, selbst mal Astronaut zu werden." Gesprochen hat er jedenfalls schon mit einem.

Daten & Fakten

Deutscher Amateur Radio Club (DARC) und ARISS: Der DARC ist mit mehr als 38 000 Mitgliedern der größte Zusammenschluss deutscher Funkamateure. ARISS (Amateur Radio on the International Space Station) ermöglicht es Schülern, mit Hilfe von Amateurfunkern Kontakt zur Raumstation ISS aufzunehmen. Das Projekt am Siegburger Gymnasium wurde von einer 25-köpfigen Gruppe von Funkern aus vier europäischen Ländern unter Leitung von Georg Westbeld (DL 3 YAT, Leverkusen) und Stefan Scharfenstein (DJ 5 KX, Bad Honnef) umgesetzt.

Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR): Das DLR ist das Forschungszentrum der Bundesrepublik für Luft- und Raumfahrt. Seine Forschungs- und Entwicklungsarbeiten sind in nationale und internationale Kooperationen eingebunden. Im Auftrag der Bundesregierung plant das DLR deutsche Raumfahrtaktivitäten und setzt sie um.

Blue Dot: Alexander Gersts Mission auf der ISS steht unter dem Motto "Blue Dot - shape the future". Damit ist gemeint, dass viele Experimente, die die Astronauten auf der Raumstation durchführen, das zukünftige Leben auf der Erde nachhaltig beeinflussen könnten. Beispielsweise werden im Elektromagnetischen Levitator Materialien entwickelt, die in Zukunft in Flugzeugturbinen stecken oder Autos leichter machen und so helfen könnten, Treibstoff zu sparen. Außerdem werden Krankheiten wie Osteoporose untersucht.

Columbus Eye: Das Projekt "Columbus Eye" (www.columbuseye.uni-bonn.de) wird von der Arbeitsgruppe Fernerkundung am Geographischen Institut der Uni Bonn durchgeführt. Bilder und Videos von an der ISS angebrachten Kameras werden für die Bedürfnisse des Schulunterrichtes aufbereitet. "Columbus Eye" wird in enger Kooperation mit der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa durchgeführt.

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