Justizvollzugsanstalten am Anschlag Gefängnisse in NRW sind überlastet und marode

Siegburg/Rheinbach · Die Justizvollzugsanstalten in Nordrhein-Westfalen sind am Anschlag. In Rheinbach haben Bedienstete im Schnitt 90 Überstunden angehäuft, in Siegburg waren es 73. Viele Anstalten sind marode. Bei der Technik hapert es.

Simon Maier (Name geändert) arbeitet am Limit. Der 47-jährige Justizvollzugsbeamte, der in einem mittelgroßen Gefängnis in NRW tätig ist, sehnt sich nach einem längeren Urlaub. Wegen Personalknappheit könne er aber immer nur ein paar Tage am Stück frei machen. „Meine Kollegen und ich brauchen aber eine längere Distanz, um runterzukommen und abschalten zu können“, sagt er.

Maier ist wohl nicht der einzige erschöpfte Justizvollzugsbedienstete in NRW. In den 41 Gefängnissen hatten die Bediensteten Ende Oktober zusammen 507.147 Überstunden angehäuft, wie aus einem internen Justizbericht hervorgeht, der unserer Redaktion vorliegt. Im Schnitt hatte etwa in der JVA Kleve jeder Beamte 135 Stunden auf dem Konto. In den JVAs Heinsberg und Detmold (je 149) sowie Wuppertal-Vohwinkel (138) und Bochum (137) waren es noch mehr. In Köln waren es 105 Überstunden, in Rheinbach 90 und in Siegburg 73.

Neben den personellen Problemen hapert es in den Haftanstalten auch an der Technik. So liegen 71 Fingerabdruck-Scanner seit fast einem Jahr ungenutzt herum. Das Justizministerium bestätigte, dass sich der zunächst vorgesehene Weg einer direkten Schnittstelle mit dem Bundeskriminalamt (BKA) zum Abgleich von Fingerabdruckdaten im Nachhinein als rechtlich nicht umsetzbar herausgestellt habe.

Der frühere Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) hatte die Geräte anschaffen lassen, um sicherzustellen, dass auch die richtigen Gefangenen hinter Gittern säßen. Laut Justizministerium hätte man auch mit einem einsatzbereiten Scanner nicht die richtige Identität des unschuldig inhaftierten Syrers Amed A. herausfinden können, der sich bei einem Brand in seiner Zelle tödliche Verbrennungen zuzog. Der 26-Jährige war mit einem Mann aus Mali verwechselt worden.

„Die Polizeibehörden haben die in der JVA Kleve einsitzende Person mittels Fingerabdruck eindeutig als Amed A. identifiziert. Jede Wiederholung der Abfrage, auch durch die JVA Kleve, hätte dasselbe Ergebnis erbracht“, erklärte Marcus Strunk, Referatsleiter Justizvollzugskommunikation. Der Fehler sei der Polizei unterlaufen, als diese dem eindeutig durch Fingerabdruckdaten identifizierten Amed A. durch den Abgleich weiterer Daten in den Fahndungsdateien zwei Vollstreckungshaftbefehle einer anderen, in Hamburg verurteilten Person zugeordnet habe, so Strunk. Auf die für den weiteren Abgleich erforderlichen Daten, wie die im Fahndungssystem hinterlegten Lichtbilder, habe der Justizvollzug keinen Zugriff und werde auch künftig aus verfassungsrechtlichen Gründen keinen unmittelbaren Zugriff haben.

Auch die Bausubstanz macht Probleme. „Es gibt eigentlich keine JVA, bis auf die wenigen neuen, die nicht irgendwo marode ist“, sagte Peter Brock, NRW-Vorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten (BSBD). Einige Anstalten seien baufällig. Immer wieder stehen Haftplätze daher nicht zur Verfügung. Beispiel: JVA Münster, wo Gebäudeteile wegen Einsturzgefahr geräumt werden mussten. Der Justizvollzug gilt als überlastet, wenn mehr als 16 000 Haftplätze belegt sind. Derzeit liegt die Zahl knapp darunter. „Aber nur, weil durch die Weihnachtsamnestie 500 bis 600 Leute früher entlassen worden sind.“

Die vielen Überstunden der Bediensteten sollen vor allem auf personelle Probleme zurückzuführen sein. So sollen laut BSBD bis zu 500 Bedienstete im Land fehlen. Dem vertraulichen Justizbericht zufolge sind zum Beispiel in der JVA Aachen von 269 Stellen 20 nicht besetzt, in Düsseldorf fehlen sogar fast 30 Kräfte, in Geldern sind es 23, in Heinsberg 27, in Siegburg 9, in Rheinbach 7, in Köln 29 und in Wuppertal-Ronsdorf 36. Ein Grund sind fehlende Bewerber – trotz verhältnismäßig guter Bezahlung.

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