Erinnerungskultur im Rhein-Sieg-Kreis Ein neues Konzept für die Gedenkstätte in Rosbach

Rhein-Sieg-Kreis · Die Gedenkstätte "Landjuden an der Sieg" wird noch bis Sommer 2019 modernisiert. Im Interview sprechen Kreisarchivarin Claudia Arndt und Dezernent Thomas Wagner über das neue Konzept sowie den Umgang des Kreises mit dem Holocaust und dem jüdischem Leben.

Die Gedenkstätte „Landjuden an der Sieg“ ist momentan geschlossen und wird bis Sommer 2019 saniert. Was ändert sich?

Thomas Wagner: Das Besondere an der Gedenkstätte in Windeck-Rosbach ist die Authentizität. Sie zeigt den Lebensraum einer jüdischen Familie zu der damaligen Zeit. Es ist weniger eine klassische Gedenkstätte zum Nationalsozialismus, wo es vor allem um den Holocaust und Konzentrationslager geht. Wir zeigen vielmehr den Alltag. Das Haus der Familie Seligmann ist für uns nicht ein Ort der Erinnerung, sondern ein Ort der Zukunft, ein Ort des Verstehens, des Verständnisses, des toleranten Umgehens miteinander.

Claudia Arndt: Die alte Ausstellung war sehr textlastig. Das ist nicht attraktiv für Jugendliche. Die meisten konnten die alten Dokumente auch nicht lesen. Wir haben interessante Ausstellungsstücke, die man sehr viel mehr in den Vordergrund bringen kann, verbunden mit Lebensgeschichten. Daran zeigt sich, wie sehr die Familie bis 1933 in das Dorfleben integriert war. Das kann man zum Beispiel anhand der Ehrenurkunde vom Männergesangverein „Sängerbund Concordia“ für Max Seligmann oder Fotos vom Fußballverein zeigen, in dem Alfred Seligmann Torwart war. Wichtige Aspekte sind natürlich die NS-Zeit und die Schoah. Wir wollen aber auch das Leben davor und danach betrachten, was wir bisher eher ausgespart hatten.

Also wollen Sie mit der Ausstellung verstärkt Jüngere ansprechen?

Wagner: Kinder und Jugendliche sind unsere Hauptzielgruppe. Sie sollen sehen und verstehen, wie jüdische Menschen in diesem Kontext gelebt haben. Natürlich haben sie sich im Geschichtsunterricht mit den historischen Fakten und der Vernichtung beschäftigt. Aber es ist etwas anderes, wenn sie merken, dass sich das Verbrechen auch in so einer kleinen dörflichen Gemeinschaft abgespielt hat. Und sich auch wieder abspielen kann.

Sie sprechen es an – diese Dinge können wieder passieren. Das Thema Antisemitismus ist hoch aktuell. Nehmen Sie das im Lokalen auch so wahr?

Arndt: Wir sind hier keine Insel der Glückseligen, hier gibt es auch Straftäter. Wir sind zum Beispiel ein Hochsicherheitsobjekt, bei uns fährt mehrfach täglich die Polizei vorbei. Wo fängt Antisemitismus an? Ist es ein Anschlag auf eine Synagoge und theoretisch auf unser Museum oder viel kleiner? Ich hatte neulich zum Beispiel eine Führung auf dem jüdischen Friedhof, und auf Facebook wurde sofort gepostet: Hat die Stadt Siegburg denn nichts Besseres zu tun, als das Geld in die Unterhaltung des jüdischen Friedhofs zu stecken? Für mich fängt Antisemitismus da an, wenn man solche Dinge so unreflektiert sagt, ohne Kenntnis zu haben.

Wie gelingt es, wieder mehr für die Themen Holocaust und Antisemitismus zu sensibilisieren?

Wagner: Die treibende Kraft von Vorurteilen ist das Nichtwissen. Wenn wir da Ansatzpunkte liefern können, Sachen aus der Geschichte heraus zu erklären, dann ist das eine große Chance. Viele Dinge, sei es die Gedenkstätte oder andere Projekte, dienen der Aufklärung und Wissensvermittlung.

Arndt: Dazu gehören auch Synagogen-Führungen. So kann man sich von Vorurteilen befreien, das ist wichtig. Es muss auch Spaß machen, also man darf mit dieser Thematik nicht nur etwas Leidendes verbinden. Dass das Judentum auch eine unheimlich positive Religion und Kultur ist, geht bei uns in Deutschland oft verloren – wegen unserer unseligen Vergangenheit, der man sich natürlich auch stellen muss.

Der Kreis hat eine Studie zum Thema NS-Medizinverbrechen in Auftrag gegeben. Was ist das Ziel des Projekts?

Wagner: Es gibt bislang keine solche umfassende Lokalstudie auf Landkreisebene. Den Anstoß hat ein Antrag von CDU, SPD, Grünen und FDP im Kreistag gegeben. Sie haben durch die zur Verfügungstellung von Ressourcen dieses Projekt mit dem Landschaftsverband Rheinland ermöglicht, um systematische Vergangenheitsaufarbeitung zu machen, um auch in Zukunft daraus zu lernen. Die Aufarbeitung des Themas beginnt mit den Sterilisationen und reicht bis hin zu Euthanasie, bis zur Frage, wie die Systeme funktioniert haben. Aber auch die Widerstände in der Gesellschaft sind ein Thema. Am Ende geht es darum, den betroffenen Menschen ihre Würde wiederzugeben.

Inwiefern wird die Öffentlichkeit eingebunden?

Wagner: Es gibt viele Instrumente. Wir berichten in jedem Kulturausschuss des Kreistags über den Fortgang des Projektes. Es gibt eine Vortragsreihe, wir nutzen soziale Medien zur Verbreitung, das Portal Rheinische Geschichte vom LVR. Es gab bereits viel Medienberichterstattung, was auch dazu geführt hat, dass sich Angehörige von Betroffenen gemeldet haben. Sie wollen über das Thema reden oder Material zur Verfügung stellen, zum Beispiel Fotos.

Arndt: Wir planen eine Dokumentation in Form einer Wanderausstellung. Wir haben auch ein entsprechendes Projekt mit der Gesamtschule Meiersheide in Hennef, die eineinhalb Jahre die NS-Zeit im Unterricht behandelt hat.

Der Künstler Gunter Demnig hat auch in verschiedenen Kommunen des Kreises Stolpersteine verlegt, um an die Opfer der NS-Zeit zu erinnern. Was halten Sie von solchen Aktionen?

Arndt: Dazu habe ich eine differenzierte Meinung. Zunächst sind sie für Angehörige der Opfer eine gute Erinnerungsstätte. Positiv ist auch, dass sich gerade junge Leute dadurch mit Opfern – nicht nur jüdischen – auseinandersetzen. Es besteht aber die Gefahr, dass durch solche Aktionen die Gedenkkultur zu sehr ritualisiert wird, nach dem Motto: 'Wir machen das mal mit, das gehört zum guten Ton'. Man muss sich nachhaltig mit dem Thema beschäftigen.

Wagner: Nachhaltig ist nur das, was man immer macht. Man muss das weitermachen. Ich glaube, dass es auch hier im Kreis genug zu tun gibt. Ich mache mir keine Illusionen, dass wir damit jeden erreichen und bei allen eine Bewusstseinsveränderung herbeiführen. Aber wenn ich es nur bei einem schaffe, habe ich mein Ziel erfüllt.

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