Bröltalbahn Der Schneebesen gab den Takt vor

SIEGBURG · Ein Haltestellenschild mitten auf einem Parkplatz? Ohne Bahn, ohne Bus, ohne Anrufsammeltaxi? Das gibt es. In Zange auf dem Berliner Platz. Dort steht die Tafel "Siegburg-Zange" von der gleichnamigen Haltestelle der Stadtbahnlinie 66, die im Jahr 2000 wegen der Trassenverlegung zum ICE-Bahnhof aufgegeben wurde.

Dass das Schild ausgerechnet vor dem Berufskolleg am Berliner Platz steht, kommt nicht von ungefähr. Es erinnert zugleich an den Bröltalbahnhof, der hier stand. Und dessen Bahnhofsgaststätte als Schauplatz kultureller Veranstaltungen einmalig war. Die Bröltalbahn ist ein Thema beim GA-Zeitzeugengespräch, das morgen ab 19 Uhr im Stadtmuseum Siegburg stattfinden. Dabei geht es um die historischen Bahnen Siegburgs.

Auch wenn der Bahnhof schon in den 50er Jahren geschlossen wurde, fällt Karl-Heinz Neifer der Name des Bahnhofsvorstehers noch auf Anhieb ein. "Der hieß Hermann Binte", sagt der 85-Jährige, der von der Zange stammt und selbst regelmäßig Fahrgast der Bröltalbahn war.

"War der Vorsteher gerade verhindert oder saß er beim Frühschoppen, übernahm dessen Frau die Abfertigung der Züge", erinnert sich Neifer. "Sie zog dann die rote Mütze an und gab das Signal."

Die Bröltalbahn war eine Schmalspurbahn mit einer Spurbreite von 785 Millimetern (normal: 1435 Millimeter). Sie führte von Waldbröl nach Beuel am Rhein. Das beliebte Ausflugslokal "Bahnhöfchen" war die Endstation, Teile der Trasse sind heute Radweg. 1862 eröffnet, war die Strecke vorwiegend für den Güterverkehr gedacht. Die Bahn transportierte Erz aus dem Bröltal, Basalt aus dem Westerwald und Ton aus dem Pleistal zum Rhein.

Ab 1899 war auch Siegburg an die Bahnlinie angebunden, durch eine Querverbindung nach Niederpleis. Auf der Zange fuhr die Bröltalbahn zum Umladen zur Staatsbahn. Betrieben wurde das "Bähnchen" von der Brölthaler Eisenbahn-Actien-Gesellschaft, ab 1921 von der Rhein-Sieg-Eisenbahn (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Verkehrsunternehmen, das heute seinen Sitz in Beuel hat).

Das Bahnhofsareal aus der Zange lag zwischen Katharinenstraße und Bonner Straße sowie zwischen Staatsbahn und Ludwigstraße. In das Gebiet führte die Ladestraße, die heute als Konrad-Adenauer-Straße den ICE-Bahnhof erschließt. Neben dem Güterverkehr gab es aber auch Personenbeförderung.

"Die Wagen waren sehr schlicht, anders als bei der Staatsbahn gab es keine Unterteilung in mehrere Klassen", berichtet Karl-Heinz Neifer, der regelmäßig von Siegburg nach Asbach fuhr - mit Umsteigen in Niederpleis. Das Niederpleiser Empfangsgebäude existiert noch; dort ist heute ein Kindergarten untergebracht.

Das Bahnhofsgebäude auf der Zange war nicht nur Teil des historischen Bahnknotens Siegburgs; es beherbergte auch eine Gaststätte, in der regelmäßig kulturelle Veranstaltungen stattfanden. "An jedem Wochenende wurde dort etwas geboten", erinnert sich Neifer. Diese "Kulturkneipe" im Bahnhof hatte damals schon eine gewisse Tradition. Sie wurde geprägt von der Familie Hardung, die die Gaststätte betrieb.

"Mein Großvater Fritz Hardung hat sie 1908 übernommen", berichtet Klaus Hardung, der bis Ende 2013 das Siegburger Stadtmuseum leitete. "Der Spruch 'Wer nichts wird, wird Wirt' galt damals noch nicht. Er musste zuerst die Qualifikation für das Gastgewerbe nachweisen."

Weil die Familie sehr musikalisch war, gab sie in der Gaststätte häufig Konzerte. Klaus Hardungs Vater spielte dabei in jungen Jahren Geige, eine Tante saß am Klavier, eine andere übernahm den Gesang.

"Der Großvater spielte Trompete oder schlug mit dem Schneebesen den Takt im Spülbecken", erzählt Klaus Hardung, der noch die Notensammlung seiner Familie besitzt. Da finden sich noch Stücke wie die Walzer "Wiener Blut" oder "Ecstasy Waltz", letzteres hübsch illustriert mit einer Frau im Stil der 20er Jahre. "Das war eine Zeit der kulturellen Revolution, und das spiegelte sich auch bei den Musikveranstaltungen wider", so Hardung.

Das Publikum kam zu jener Zeit nicht nur aus der Umgebung, es war international. Schließlich schlugen in der Nachbarschaft Zirkus-Unternehmen ihre Zelte auf. Aus aller Welt kamen die Artisten, und sie brachten ihre eigenen Klänge mit in den kleinen Bahnhof. Fritz Hardung betrieb die Gaststätte bis 1929.

Die Bröltalbahn galt nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr als wirtschaftlich. Der Personenverkehr nach Siegburg wurde 1951 eingestellt, der Güterverkehr 1955. Der letzte Teilabschnitt (Eudenbach-Beuel) wurde 1967 eingestellt. Zu dieser Zeit existierte das Siegburger Bahnhofsgebäude nicht mehr. An der Stelle befindet sich nun das Berufskolleg.

Bahnknoten Siegburg - Chronologie

  • 1859: Siegburg ist erstmals mit der Bahn erreichbar - über die neue Siegstrecke.
  • 1872: Neue Nebenbahn bis Friedrich-Wilhelms-Hütte, Stilllegung bereits 1884.
  • 1884: Eröffnung der Aggertalbahn (Luhmer Grietche). Personenverkehr bis 1954, Güterverkehr heute nur noch bis Siegwerk
  • 1899: Anschluss an die Bröltalbahn mit eigenem Bahnhof (Stilllegung und Rückbau ab 1955).
  • 1905: Erweiterung des Siegburger Bahnhofsgebäudes. Es wird 1963 abgerissen.
  • 1911: Straßenbahn Bonn-Siegburg nimmt ihren Betrieb auf.
  • 1914: Erstmals fährt die Kleinbahn Siegburg-Zündorf (Rhabarberschlitten). Ihre Endhaltestelle liegt neben der Bonner Bahn. Einstellung und Rückbau 1963.
  • 1965: Eröffnung des neuen Bahnhofsgebäudes (Flachdachbau). Abriss 1999.
  • 1980: Elektrifizierung der Siegstrecke.
  • 1991: Aufnahme S-Bahnbetrieb.
  • 2002: Erstmals hält ein ICE in Siegburg - ein neues Zeitalter.
  • 2004: Einweihung des ICE-Bahnhofs Siegburg/Bonn.
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort