Sprechstunde im Gefängnis Augenarzt sucht Nachfolger für die JVA Siegburg

Siegburg · Der Mediziner Hans Jürgen Fuchs arbeitet seit 1997 in der Siegburger Justizvollzugsanstalt. Der 86-Jährige denkt ans Aufhören, hat aber noch keinen Kollegen gefunden, der den Dienst für ihn übernimmt.

Der Gang scheint endlos. Immer wieder muss Hans Jürgen Fuchs warten, bis sein Begleiter die nächste Tür aufschließt und er seinen Weg durch die Siegburger Justizvollzugsanstalt (JVA) fortsetzen kann. Vorbei an vielen Zellentüren erreicht er am Ende des Flurs sein Ziel: die Sanitätsstation. Seit 21 Jahren untersucht der Augenarzt hier regelmäßig Inhaftierte. Er ist einer von drei Fachärzten, die die beiden fest angestellten Anstaltsärzte unterstützen. Mit 86 Jahren ist der Beueler der älteste im Team. Und langsam denkt er daran, seine Aufgabe einem Jüngeren zu übergeben: „Es fällt mir zunehmend schwer“, sagt er. Bislang habe er aber vergeblich nach einem Nachfolger gesucht.

Hans Jürgen Fuchs bewegt sich routiniert innerhalb der dicken Backsteinmauern. Seine Geräte sind im Sprechzimmer von Anstaltsarzt Carl-Thomas Möller verstaut. Wenn der Augenarzt seine Sprechstunde hält, holt er sie aus dem Schrank, bringt zudem seinen Messglaskoffer mit. „Die Geräte sind alt, aber noch voll funktionstüchtig“, sagt der 86-Jährige, der seine Praxis in Bonn-Beuel 1996 nach 30 Jahren geschlossen hat. Jüngere Kollegen könnten Probleme mit der Bedienung haben, räumt er ein. „Aber ich würde einen Nachfolger einarbeiten“, versichert der Mediziner, der bis zu deren Schließung in der Bonner JVA Häftlinge behandelt hat.

Einfache Untersuchungen und Behandlungen

Im Gefängnis mache er einfache Untersuchungen wie die Anpassung einer Brille oder auch die Behandlung einer Bindehautentzündung. „Bei schwereren Krankheiten bringen wir unsere Insassen in die Klinik“, erklärt Carl-Thomas Möller. Dann müssten zwei Wachleute sie begleiten. „Der Aufwand ist jedes Mal groß, meist muss der Gefangene gefesselt werden“, ergänzt die stellvertretende Anstaltsleiterin Jennifer Rybarczyk. Daher seien sie froh um Fachärzte, die in die JVA kommen, und so die externen Praxisbesuche reduzieren. Neben Fuchs sind ein Zahnarzt und eine Psychiaterin vertraglich mit der Anstalt verbunden. „Es ist kein Ehrenamt“, betont Rybarczyk. Es gebe eine Bezahlung.

Um das Geld ist es Hans Jürgen Fuchs nie gegangen. „Ich empfinde die Besuche hier als innere Bereicherung“, sagt er. Mit jedem seiner Patienten habe er gesprochen und dabei mitunter viel erfahren. „Jeder Mensch verdient es, mit Respekt behandelt zu werden“, betont Fuchs. Eine Einstellung, die bei den 250 Beschäftigten und bei den aktuell 420 Insassen ankommt, wie Carl-Thomas Möller zu berichten weiß. „Sie merken, dass da jemand ist, der sich für sie interessiert, der über den Tellerrand blickt, den Hintergründe interessieren“, so Möller. Die allermeisten Gefangenen sprächen respektvoll über den Augenarzt. „Wir sind hier alle traurig, dass er aufhören möchte.“

Ohne Nachfolger möchte er nicht gehen

Noch bleibt Hans Jürgen Fuchs der JVA erhalten. Auch wenn er inzwischen nur noch bis zu sechs Patienten behandelt, wenn er einmal im Monat nach Siegburg kommt. „Es strengt mich alles sehr an“, räumt der 86-Jährige ein. Aber ohne einen Nachfolger möchte er nicht gehen. Über die Jahre habe er viel erlebt. „Einmal traf ich einen jungen Mann, der als Kind schon mit seiner Mutter in meine Praxis kam“, erinnert sich Fuchs. Andere Gefangene seien Jahre nach ihrer Haftentlassung zurückgekommen und erstaunt gewesen, ihn wiederzusehen: „Sie sind ja immer noch hier.“ Lachend erinnert er sich auch an jenen Häftling, der auf die Frage, wofür er denn seine Brille bräuchte, antwortete: „Ich bin Einbrecher.“ Aber auch an ernste Moment erinnert er sich: „Man darf sich nicht alles bieten lassen.“

„Wir haben hier teils schwierige Menschen und einen großen Anteil an Drogenabhängigen“, sagt Jennifer Rybarczyk. Der Suchtdruck sei hoch. „Für den Arzt ist das ein ständiges Abwägen, ist der Patient wirklich krank oder ist es nur ein Versuch, an Medikamente zu kommen“, ergänzt Möller. Daher müssten sich Mediziner im JVA-Alltag besonderen Herausforderungen stellen. „Wer hier arbeitet, sollte selbstbewusst sein, in sich ruhen und jeden Menschen mit Respekt begegnen“, umschreibt er die Anforderungen an Fuchs' Nachfolger. „Und man muss Freude an der Arbeit haben“, ergänzt der Augenarzt. Viel verdiene man damit nicht.

Früher hat Fuchs die JVA-Arbeit neben seinem Praxisalltag bewerkstelligt. „Das sind ein bis zwei Mal im Monat bis zu drei Stunden am Nachmittag“, umreißt Möller den zeitlichen Aufwand. Er selbst ist seit 1997 in der Siegburger Anstalt. Beim Gang über den Flur grüßen ihn die Gefangenen mit Namen. Auch für Hans Jürgen Fuchs haben viele ein freundliches Wort, als er am Arm seiner Frau Gisela Richtung Ausgang geht. Hinter ihnen schließt sich die Schleuse – bis zum nächsten Besuch.

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