Niederpleiser Frischlinge Waldkindergärten sind in der Region im Kommen

Rhein-Sieg-Kreis · Waldkindergärten sind in der Region im Kommen. Kinder und Erzieher verbringen jeden Tag bei jedem Wetter im Freien und spielen in der Natur -Ein Besuch bei den „Niederpleiser Frischlingen".

 Seit einem Jahr gibt es die „Niederpleiser Frischlinge". Leonie balanciert mit Erzieherin Andrea Hahn über den Wackelbaum.

Seit einem Jahr gibt es die „Niederpleiser Frischlinge". Leonie balanciert mit Erzieherin Andrea Hahn über den Wackelbaum.

Foto: Nadine Quadt

Mit vereinten Kräften tragen Bjarne, Josefine, Henry und Mila den großen Ast zu ihrem Baum. Dort liegen bereits weitere Zweige, Stöcke und Äste. Ein paar Handgriffe. die vier Freunde nehmen Platz - und gehen auf Reisen. Vom Niederpleiser Wald in die weite Welt der kindlichen Fantasie. "Es ist faszinierend zu sehen, was ein Stock alles sein kann", sagt Alexandra Neuhaus. Zusammen mit ihrem Mann und zwei befreundeten Familien hat sie vor zwei Jahren die Elterninitiative "Niederpleiser Frischlinge" gegründet und im August 2017 den ersten Sankt Augustiner Waldkindergarten eröffnet. Seither erobern 16 kleine Freunde zusammen mit ihren Erzieherinnen jeden Tag den Wald - ganz egal, ob die Sonne scheint, es regnet oder schneit.

Die Idee der Waldkindergärten stammt aus Skandinavien. Sie unterscheiden sich im Wesentlichen dadurch von konventionellen Kindergärten, dass Kinder und Erzieher jeden Tag bei jedem Wetter im Freien verbringen und in und mit der Natur spielen. In Deutschland startete am 3. Mai vor 25 Jahren in Flensburg der erste anerkannte Waldkindergarten.

Daran erinnert am kommenden Donnerstag der 1. Internationale Tag des Waldkindergartens. Die Zahl der Anhänger der Waldpädagogik ist inzwischen gewachsen. Auch im Rhein-Sieg-Kreis. So plant etwa die Siegburger Kindertagesstätte "i-Tüpfelchen", ihre Einrichtung um eine Waldgruppe zu erweitern. Und auch der Waldorfkindergarten „Sonnenblume" im Alfterer Schloss soll zum Sommer eine solche Gruppe erhalten - derzeit diskutieren die Verantwortlichen mit dem Kreis darüber, ob die Einrichtung auch dauerhaft bestehen kann.

Natur als idealer Betreuungsort

Alexandra Neuhaus und ihre Mitstreiter in Niederpleis sind schon einen Schritt weiter. „Unsere Vorsitzende Sabrina Happich hat uns für die Idee begeistert", sagt die Schriftführerin der Elterninitiative. Die Natur sei der ideale Betreuungsort für Kinder. Das wollten die Familien Neuhaus, Happich und Schäfer auch für ihre 2014 geborenen Kinder, fanden es zu dem Zeitpunkt aber in Sankt Augustin nicht. Daher ergriffen sie selbst die Initiative, gründeten 2016 die „Niederpleiser Frischlinge". Im Frühjahr 2017 schlossen sie mit der Stadt den Pachtvertrag für das Grundstück am Schützenweg, auf dem nun nach vielen Stunden ehrenamtlichen Einsatzes zwei Bauwagen mit fließendem Wasser und Strom stehen. Die Verwaltung stellte zudem drei Waldstücke zur Verfügung.

Am Vormittag sind Schlaf- und Speisewagen nahe der Turnhalle am Schützenweg verwaist. Nur bei Sturm, anhaltenden Minusgraden oder nach einem ganz verregneten Tag halten sich die "Frischlinge" hier auf. Ihr Tag startet zwischen 7.30 und 8.30 Uhr. "Nach unserem Morgenkreis gehen wir direkt in den Wald", sagt Kita-Leiterin Andrea Hahn. In dieser Woche sind die Freunde, wie die Erzieher ihre 16 Schützlinge liebevoll nennen, in ihrem Nadelwald anzutreffen.

Paul und Valentin stoppen jeden, der sich nähert. "Hier dürfen nur Ärzte hin", sagen sie. Beide sitzen auf einem Stamm - ihrem Krankenwagen. Und das imaginäre Martinshorn, das Valentin mit einem Klick startet, ist wirklich "ohrenbetäubend". Zwei ihrer Freunde schaukeln zwischen zwei hohen Bäumen - die Schaukel hat eine Erzieherin mit Seilen gebaut. Leonie nimmt unterdessen den Wackelbaum ins Visier. An der Hand von Andrea Hahn balanciert sie über den am Boden liegenden Stamm. „Wir arbeiten mit einem beziehungsorientierten Ansatz", erklärt die Erzieherin. Die Kinder können sich im Wald frei entfalten und werden dabei von ihrem Team begleitet und unterstützt. „Daher legen wir Wert auf einen guten Betreuungsschlüssel", sagt Neuhaus. Aktuell suche der Verein eine weitere Ergänzungskraft. Dann kümmerten sich vier Erwachsene um 16 Zwei- bis Sechsjährige.

Langeweile gibt es nicht

„Jeder Tag hier ist wie ein Fest", schwärmt Andrea Hahn, während sie die Freunde zum zweiten Frühstück ruft. Dazu nimmt, wer Hunger hat, auf dem Waldboden Platz. „Langeweile gibt es nicht", sagt sie. Das ist nicht zu übersehen. Die vier Mädchen und zwölf Jungen sind beschäftigt. Meist gemeinsam, mitunter auch allein auf Entdeckungstour durch ihren Wald. „Am Anfang haben wir mit Flatterband an Bäumen kenntlich gemacht, wie weit sie in den Wald hineingehen können", so Hahn. Das sei nicht mehr nötig. Und wenn Einzelne sich doch einmal ein neues Stück Wald erobern, rufen ihre Freunde sie meist zurück.

„Wir haben Bildungspläne wie in anderen Kitas auch", versichert Hahn. Die ließen sie ins Spiel in der Natur einfließen, sodass die Großen die Kompetenzen für einen Schulbesuch entwickelten. Sozialverhalten, ökologisches Bewusstsein, Lösungsstrategien, Fantasie, Körperwahrnehmung - der Wald sei der perfekte Bildungsraum. „Die Kinder können hier rennen und schreien, wann immer sie wollen", so Hahn. Lauter ist es dadurch nicht, im Gegenteil. „Da sie sich jederzeit abreagieren können, sind sie ausgeglichener."

Zeit für den Singkreis. Während oben in den Bäumen der Specht klopft, singen die Freunde unten von Gespenstern. Anschließend ziehen sie mit zwei Bollerwagen zu ihren Bauwagen. Mittagessen im Freien, nur bei Regen oder Eiseskälte geht es in den Speisewagen. Im benachbarten Schlafwagen können sich die Kleinen danach ausruhen, schlafen oder spielen. Der Wald steht erst am nächsten Tag wieder auf dem Plan. Denn um 14.30 Uhr endet die Zeit der „Niederpleiser Frischlinge". Die sind glücklich und ausgeglichen. Das sind die Momente in denen Alexandra Neuhaus und ihre Mitstreiter sich bestätigt sehen - und erkennen, der Aufwand hat sich gelohnt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Was der Wald alles leisten muss
Alanus-Ringvorlesung „Lust auf Wald“ Was der Wald alles leisten muss
Aus dem Ressort