Sorgentelefon in Sankt Augustin Sie nehmen jeden Anrufer ernst

SANKT AUGUSTIN · Von Liebeskummer und Stress bis zu schwerem Missbrauch reichen die Probleme, mit denen Kinder und Jugendlichen beim Sorgentelefon in Sankt Augustin anrufen. Die Nummer gegen Kummer ist mit 38 ehrenamtlich aktiven Beratern besetzt.

„Hallo, hier ist die Nummer gegen Kummer.“ So oder so ähnlich melden sich die ehrenamtlichen Mitarbeiter am Kinder- und Jugendtelefon, das deutschlandweit unter der 116 111 kostenlos von Montag bis Samstag zwischen 14 und 20 Uhr erreichbar ist. Die Telefonhotline für alle Probleme, die Kinder- und Jugendliche haben, ist aus dem Deutschen Kinderschutzbund hervorgegangen. Aber auch andere Wohlfahrtsverbände besetzen diese Nummer inzwischen. In Sankt Augustin stellt der Ortsverband des Kinderschutzbundes 38 Aktive, darunter drei Männer.

Sie sitzen im Wechsel jeweils drei Stunden in einem Büro und heben ab, wenn die Sorgen ein Kind ans Telefon treiben. Ob Liebeskummer, Stress in der Schule oder mit den Eltern, ein Streit mit Freunden oder Missbrauch, Drogen und Mobbing – alles wird anonym am Telefon besprochen. Eines ist den Beratern ganz besonders wichtig: „Wir nehmen alle Sorgen und Probleme ernst und versuchen Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen.“

Helfen durch Zuhören

So auch Franziska*, die seit drei Jahren in der Augustiner Gruppe arbeitet, und Britta*, die schon 20 Jahre einmal im Monat für drei Stunden zuhört und berät. Die beiden noch aktiven Beraterinnen möchten gerne anonym bleiben. Auch Dörte Staudt hat das Telefon mehr als acht Jahre besetzt und ist inzwischen für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich. Die drei sind sich einig: Auch wenn sie nicht vor Ort sind, helfen können sie dennoch.

„Meine Hilfe für den Anrufer ist das Zuhören“, sagt Britta, die auch per E-Mail Fragen von Jugendlichen beantwortet. In den 20 Jahren hat sie gelernt: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Seien es Krankheiten, von denen man nie zuvor gehört hat oder aber Misshandlungen, die alle Vorstellungskraft sprengen. „Es ist absolut schockierend, wenn behinderte Kinder bei uns anrufen und erzählen, dass sie von ihrer Großmutter missbraucht werden“, berichtet Britta von einem Fall, den sie nicht so leicht wegsteckte. Missbrauch sei ohnehin ein häufiger Grund für die Kinder, sich in ihrer Verzweiflung an die Nummer gegen Kummer zu wenden. „Die Kinder möchten ihre Familie erhalten, deshalb kommt für sie ein Gang zur Polizei nicht in Frage“, berichten die Beraterinnen. Eine schnelle Lösung gebe es in solchen Fällen nie. „Wir überlegen dann, mit wem das Kind sprechen könnte, um Hilfe vor Ort zu bekommen.“

Die Beraterinnen am Telefon müssen hingegen aushalten, dass sie nicht vor Ort helfen können, denn sie wissen auch nicht, woher der Anruf kommt. Das kann von Hamburg bis München jeder Ort in Deutschland sein. Sollte es einen zweiten Anruf geben, wird es auch ein anderer Berater sein, der dann mit dem Kind spricht. Zu Problemen die es früher nicht gab, gehört Mobbing im Internet. Aber auch Radikalisierung ist aktuell ein Dauerbrenner bei den Telefonberatern. So gebe es einen Daueranrufer, der immer wieder versuche, die Beraterinnen aus der Fassung zu bringen und androhe, dass er sich von heute auf morgen radikalisieren wolle. Auch Morddrohungen oder Selbstmordabsichten bekommen die Berater zu hören. Dennoch gilt zunächst die Schweigepflicht. Sollte es nach Meinung der Berater nötig sein, Informationen weiterzugeben, gibt es im Kinderschutzbund einen Hintergrunddienst, der dann entscheidet, ob man tätig wird oder nicht. Das sei auch bei einem angekündigten Amoklauf vor einigen Jahren so gewesen.

Bis zu 40 Anrufe bekommen die Berater in den drei Stunden ihrer Dienstzeit. Davon sind rund 65 bis 70 Prozent Kleinigkeiten, der Rest sind schwere Fälle. Die Berater werden sehr gut auf ihre Tätigkeit vorbereitet. Neun Monate lang wird ihnen das theoretische Rüstzeug vermittelt, sie hospitieren mehrmals. Einmal monatlich gib es eine Supervision, Fortbildungen werden angeboten, in denen die Sprache der Jugendlichen, gewaltfreie Kommunikation, Bindungstheorien und Cybermobbing auf der Tagesordnung stehen. Für die drei Beraterinnen steht fest, dass sie etwas Sinnvolles tun – und das ist auch der Grund für ihr Ehrenamt. Was sie aber alle erst noch lernen mussten: Nach den drei Stunden ist Schluss und dann muss das, was man am Telefon gehört hat, unbedingt abgehakt werden.

Im Frühjahr startet eine neue Ausbildung für alle, die sich ehrenamtlich am Kinder- und Jugendtelefon engagieren wollen. Interessenten können sich unter kjt@kinderschutzbund-sankt-augustin.de vormerken lassen. Sie werden dann weiter informiert.

* Die Namen wurden von der Redaktion geändert

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