Buchvorstellung Christoph Dörr Muscheln zum Muttertag

SANKT AUGUSTIN · Ein Praktikum in der Lokalredaktion Siegburg des General-Anzeigers hat schon so manchem Studenten den Weg zu einer steilen Karriere geebnet. Tom Buhrow zum Beispiel unternahm hier 1978 seine ersten journalistischen Gehversuche, bevor er zum WDR wechselte, später Leiter des ARD-Studios in Washington wurde und seit 2006 als Nachfolger von Ulrich Wickert die ARD-Tagesthemen moderiert.

 Alte Wirkungsstätte: Christoph Dörr vor der Lokalredaktion des General-Anzeigers am Siegburger Markt.

Alte Wirkungsstätte: Christoph Dörr vor der Lokalredaktion des General-Anzeigers am Siegburger Markt.

Foto: Holger Arndt

Ex-Praktikant Christian Zaschke ist heute Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in London, Ex-Praktikant Steffen Brück arbeitet als Kulturredakteur beim Rundfunksender rbb und schreibt nebenbei hin und wieder für das Satiremagazin Titanic - und Christoph Dörr, in Sankt Augustin aufgewachsen, 1992 einer unserer talentierten Praktikanten, ging nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre als Redakteur und Drehbuchautor zum Kölner Fernsehsender RTL, gewann zweimal den Deutschen Fernsehpreis und zweimal den Deutschen Comedy-Preis und veröffentlichte soeben, passend zum morgigen Muttertag, seinen ersten Roman. Titel des Buches: "Muscheln für Mutti".

Die Handlung des bei Kiepenheuer & Witsch erschienenen Reiseromans in wenigen Sätzen: Andi fällt aus allen Wolken, als seine Freundin mit ihm Schluss macht. Ausgerechnet wenige Wochen vor der gemeinsam gebuchten Gruppenrundreise durch Südostasien.

Andi beschließt, die Reise dennoch anzutreten, um seinen Liebeskummer zu kurieren. Und wider Erwarten muss er sich auch gar nicht erst nach einem neuen Reisepartner umschauen: Mutti fährt nämlich mit. Um den Sohn auf andere Gedanken zu bringen ("Mein Junge, es ist doch nur zu deinem Besten"). Basta. Keine Widerrede. Die Reise durch Vietnam und Kambodscha wird der absolut irrwitzigste Urlaub seines Lebens...

Eine Generalabrechnung mit der Mutter in Romanform? "Überhaupt nicht", widerspricht Christoph Dörr vehement. "Eher eine Huldigung. Außerdem: Vieles im Buch ist ja auch frei erfunden." Was denn? Und wie viel denn? Autor Dörr grinst und schweigt.

Der 1970 geborene RTL-Redakteur ist fast genau so alt wie die Stadt, in der er aufwuchs. "Sankt Augustin steckte noch in den Kinderschuhen, unsere Spielplätze waren die Kiesgruben." Seine Eltern bezogen eines der ersten Häuser in der Friedensstraße und zogen dort sechs Kinder groß: drei Mädels und drei Jungs. Klein-Christoph, heute in Köln lebhaft, besuchte die Grundschule Mülldorf und anschließend, bis zum Abitur, das Rhein-Sieg-Gymnasium.

Beim ASV spielte er Fußball, er war als Messdiener und auch sonst in der Pfarrgemeinde aktiv und mischte in der Theater-AG des Gymnasiums mit. "Ich hatte eine glückliche, unbeschwerte Kindheit", sagt Dörr rückblickend. "Dafür bin ich meinen Eltern sehr dankbar." Sein Vater ist vor zehn Jahren gestorben. Umso größer ist das Bedürfnis des Sohnes und auch das seiner Geschwister, der Mutter etwas zurückzugeben.

Die Reise mit Mutti durch Südostasien hat es tatsächlich gegeben - wenn auch unter deutlich weniger dramatischen Vorzeichen. In wechselnder Besetzung begleiten die Geschwister die heute 72-jährige, rüstige wie unternehmenslustige Dame regelmäßig zu solchen Fernreisen, die schon nach Indien, in den Nahen Osten, oder nach Weißrussland führten. Die nächste Reise startet im Oktober, ans Schwarze Meer. "So können wir meiner Mutter etwas ermöglichen, was sie sich alleine nie trauen würde." Deutlich näher lag nur einmal das Reiseziel Nordseeküste, aber dafür ging es da auch mit der gesamten Familie inklusive der sechs Enkelkinder hin.

Während der Fahrt durch Kambodscha und Vietnam hat Christoph Dörr erstmals ausführlich Tagebuch geführt; aus den Notizen entstand später die Idee zu "Muscheln für Mutti".

Wie findet denn die echte Mutti das Buch? "Ich glaube, sie ist schon mächtig stolz auf mich", sagt Dörr. Nur bei einigen schlüpfrigen Szenen, da habe sie dann doch gemeint: "Junge, das hätte doch nicht sein müssen..."

Was bedeutet denn dem RTL-Redakteur Muttertag? "Erstens: Es müssen nicht immer Blumen sein, und Blumen müssen nicht immer nur an Muttertag sein. Zweitens: Es spielt überhaupt keine Rolle, was ich persönlich von diesem Tag halte. Entscheidend ist doch nur, dass meine Mutter sich wahnsinnig freut, wenn ihre Kinder an diesen Tag denken."

Also wird es morgen (dann ist nämlich Muttertag) wieder eine Überraschung für Mutti geben. Die dürfen wir natürlich nicht verraten. Denn womöglich liest Mutti jetzt, in diesem Augenblick, daheim in Sankt Augustin, bei einer Tasse Kaffee diesen Text. Und dann wäre ja die ganze schöne Überraschung futsch.

Der Muttertag

Die Legende hält sich hartnäckig, ist aber ein historischer Irrtum: Der Muttertag ist keine Erfindung der Nazis. Zwar wurde der Ehrentag von den Nationalsozialisten missbraucht und im Interesse der "arischen Herrenrasse" pervertiert, aber erfunden hat ihn die angelsächsische Frauenbewegung in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Idee schwappte zu Beginn des 20. Jahrhunderts von den USA zunächst nach England über und trat ihren Siegeszug durch Europa an.

Seit 1923 wird der Muttertag in Deutschland begangen. Erst mit der zunehmenden Kommerzialisierung wandte sich die frühe Frauenbewegung wieder von der ursprünglichen Idee ab. Im deutschsprachigen Raum ist der Muttertag stets der zweite Sonntag im Mai. Weltweit hat er sich an unterschiedlichen Terminen des Jahres etabliert.

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