GA-Serie Augustiner Köpfe Ein Kämpfer für mehr Lebensqualität

Sankt Augustin · Der Sankt Augustiner Architekt Heinrich Geerling will „Korridore für Biodiversität“ schaffen und setzt sich für mehr Nachhaltigkeit im Städtebau ein. Aus der Ruine Pleistalwerk will er ein Umweltbildungszentrum machen.

 Der Architekt und die Industrieruine: Heinrich Geerling will aus dem alten Pleistalwerk ein Umweltbildungszentrum machen. FOTO: HOLGER ARNDT

Der Architekt und die Industrieruine: Heinrich Geerling will aus dem alten Pleistalwerk ein Umweltbildungszentrum machen. FOTO: HOLGER ARNDT

Foto: Holger Arndt

Heinrich Geerling ist ein Mann mit Visionen. Visionen, die manchmal vielleicht an Utopien grenzen. Doch genau diese Visionen sind nötig, um etappenweise die Welt immer wieder ein Stückchen besser zu machen. Was macht unser Leben lebenswert? Und vor allem: Was bedeutet für jeden persönlich Lebensqualität? Die Aufgabe eines Architekten, so der in Sankt Augustin aufgewachsene Geerling, sei es danach zu streben, das Leben zu verbessern. Er träumt von Häusern mit offenen Gärten, in denen Tiere ihren Lebensraum finden und Menschen im Einklang mit der Natur leben können. „Korridore für Biodiversität“ nennt er dieses Konzept. Dass gewisse kleine Schritte auch in seiner Heimat Sankt Augustin getan werden können, davon ist Geerling überzeugt.

Er, der sich bereits seit Jahren trotz Gegenwind für mehr Nachhaltigkeit im Städtebau einsetzt, hat sich genau das zum Lebensziel gemacht. Seit Jahren kämpft der 58-jährige für die Umsetzung eines Umweltbildungszentrums in Sankt Augustin. Sein Plan ist die Nutzung und Neuplanung des alten Pleistalwerks in Birlinghoven. Seine Eltern betrieben die Fabrik für keramische Industrie bis 1973. „Das Pleistalwerk hat mich sehr geprägt“, berichtet Geerling von seiner Jugend auf dem Fabrikgelände. Ein Spielparadies sondergleichen, an Lernen war oft nicht zu denken. Auch nicht, weil die Kinder der Gastarbeiter, die ebenfalls auf dem Hof lebten, seine Freunde und Spielkameraden wurden. Das hat er bis heute nicht vergessen. „Auch in der aktuellen Flüchtlingsdebatte finde ich es besonders wichtig, Neuankömmlinge in Deutschland direkt in die Gesellschaft zu integrieren.“ Von ausgelagerten Flüchtlingsunterkünften hält er nichts. Deshalb vermietet er auch WG-Zimmer an drei Praktikanten aus Nigeria und dem Senegal.

Er weiß, wie es sich anfühlt, fremd zu sein. Als er während seines Studiums an der Technischen Universität Kaiserslautern die Möglichkeit zu einem Forschungsstipendium in Japan bekam, zögerte er nicht lange. Er hatte früh das Potenzial von Computern zum digitalen Bauen erkannt und konnte sich dort mit Ideen zu virtueller Bauplanung beschäftigen. 3 D-Animationen und digitales Bauen übers Internet: ein aus seiner Sicht noch lange nicht erschöpftes Potenzial. „Oft steht hier die Verwaltung im Weg, gerade beim Bauen muss vieles noch auf Papier erledigt werden, dabei gibt es heute viel effizientere Möglichkeiten.“

Auch gedankliches Bauen, zukunftsorientiert und nachhaltig, müsse honoriert werden, nicht nur ein möglichst funktionales Ergebnis, das in keiner Weise Ästhetik und Form berücksichtigt. „Sonst verbaut man sich über lange Zeit die Zukunft einer Stadt“, beteuert Geerling. „Verweilqualität existiert kaum da, wo weder Funktion noch Form in Einklang und die Natur nicht kompatibel mit dem Wohnen ist.“ Die Qualität dürfe dabei niemals leiden, ist er überzeugt. Denn Qualität bedeute Kultur, Kultur wiederum sei mit Nachhaltigkeit eng verbunden. „Besser langsam und gut, als schnell und billig.“ Erst dann werde tatsächlich Lebensqualität geschaffen.

„Wir brauchen zum Leben viel mehr Energie, als tatsächlich nötig wäre“

Lebensqualität bedeutet für den heute in Königswinter wohnenden Architekten integriertes und multifunktionales Wohnen. Wie genau das aussehen soll? Geerling beschreibt lebhaft, was er sich darunter vorstellt. Er sei ein großer Freund der mittelalterlichen Stadt. Dort sei das umgesetzt worden, was heute mit den sogenannten Smart Citys, also klug gebauten Städten, erreicht werden soll. Der Fokus liege darin, die Lebens- und Arbeitsqualität zu optimieren. Eine Stadt der kurzen Wege solle nachhaltiger und umweltfreundlicher sein und somit auch das für viele alltägliche Pendeln zum Arbeitsplatz verhindern. „Wir brauchen zum Leben viel mehr Energie, als tatsächlich nötig wäre“, erklärt Geerling. Smart Citys könnten genau das optimieren.

Vieles müsse sich dafür noch in den Köpfen der Menschen ändern. Eine Herausforderung, die auch mit Hilfe des Umweltbildungszentrums angegangen werden soll. Mit einem bereits existierenden Verein will er dort einen Ort schaffen, der Menschen im Hinblick auf nachhaltiges Bauen und eine effiziente und umweltfreundliche Nutzung von Ressourcen bildet und gleichzeitig in den Naturpark Siebengebirge eingebunden ist. Dass diese Region in Sachen nachhaltige Energien noch viel mehr zu bieten hat, beschäftigt ihn auch. Denn eine erneuerbare Energiequelle, die in unserer Region bisher noch kaum erforscht wurde, ist die Geothermie. Hierbei wird Energie aus der natürlichen Wärme des Bodens gewonnen. Und deren Potenzial könne bahnbrechend sein, so der Architekt.

Geerling trägt das Symbol der Sustainable Development Goals, kurz SDGs, an seinem Pullover. Ein bunter Kreis mit 17 verschiedenen Farben, jede Farbe steht für eines der Nachhaltigkeitsziele, das von den Vereinten Nationen mit der Agenda 2030 festgelegt wurde. Jedes Land soll demnach eigene Schwerpunkte setzen und diese Ziele Stück für Stück umsetzen, sei es zur Beseitigung von Armut, zur Verbesserung der Bildung oder zum Klimaschutz. Viele dieser Ziele überschneiden sich und sind miteinander verknüpft. Der Architekt hat sich natürlich besonders den nachhaltigen Städtebau auf die Fahne geschrieben und in Bonn bereits an einer internationalen Konferenz dazu teilgenommen. „Die SDGs geben einen abstrakten Überblick über den Zusammenhang von Lebensqualität. Etwas, wonach wir immer streben sollten.“

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