Behindertensport in Sankt Augustin Die „Tiger“ haben Strom im Tank

Sankt Augustin · Die Spieler des Sankt Augustiner Elektro-Hockey-Clubs sitzen alle im Rollstuhl. Geld für Auswärtsspiele fehlt, deshalb müssen sie sich aus der 3. Bundesliga zurückziehen.

 Beim Hockey mit Elektrorollstühlen müssen die Spieler Geschick und Übersicht an den Tag legen.

Beim Hockey mit Elektrorollstühlen müssen die Spieler Geschick und Übersicht an den Tag legen.

Foto: Thomas Heinemann

Fünf gegen fünf stellen sich die Sportler auf dem Spielfeld der Turnhalle der Frida-Kahlo-Schule in Sankt Augustin auf. Alle halten ihre Hockeyschläger bereit. Anstoß. Die Teamkollegen setzen sich in Bewegung und flitzen mit ihren Elektrorollstühlen mit bis zu zehn Stundenkilometern durch die kleine Halle. Hier trainiert die Elektro-Hockey-Mannschaft „Sankt Augustiner Tigers“. Der Sportclub hat zehn Spieler, alle mit einer Gehbehinderung. Die gemischte Gruppe von zwölf- bis 41-jährigen Rollifahrern trifft sich alle zwei Wochen zum Training.

Der 21-jährige Ellton Durguti ist schon seit 2009, dem Gründungsjahr des E-Hockey-Clubs, im Team. Er ist der Kapitän der Mannschaft. „Der Sport hält mich fit. Ich merke immer wieder nach der Sommerpause, wie sehr mir das Training gefehlt hat“, so der Hennefer. Seine Oberarme und sein Oberkörper profitieren vom Training. Er leidet unter Muskelschwund. Den Schläger muss er deswegen mit einer Bandage an seiner Hand befestigen. Knapp die Hälfte der Mannschaftskollegen kann den Schläger noch mit dem Arm bewegen. Die andere Hälfte spielt mit dem “T-Stick“, einem Schläger, der am Fußteil des Rollis befestigt wird.

Auch an Rebecca Behringers E-Rolli ist ein solcher T-Stick befestigt. Seit zwei Jahren ist sie die Torhüterin der Mannschaft. „Ich habe mich am Anfang nicht getraut, mit den anderen auf dem Spielfeld mitzurasen. Dann hat sich meine Position zufällig ergeben“, so Behringer. Sie steht mit ihrem Rolli quer im Tor und nutzt die Fläche ihres Rollstuhls, um das Tor zu schützen. Viel zu tun hat sie nicht. Ihr Teamkollege Abu Sallami hält den Ball vom Tor weg. Der 19-jährige Siegburger hat sich für sein Hobby einen Sportrollstuhl gekauft. Der fährt schneller und ist mit einem Rammschutz ausgestattet. „Normale Rollis können schneller kaputt gehen. Bei Eigenverschulden im Sport zahlt die Krankenkasse meistens die Reparaturen nicht. Das kann teuer werden“, erklärt Dennis Kolvenbach, Vorsitzender des Vereins.

Der Rammschutz hält nicht nur mögliche Schäden bei Zusammenstößen auf dem Feld ab: „Es kann passieren, dass der Hockeyschläger sich im Rad verkeilt. Dadurch kann ein normaler Rolli umfallen“, so Kolvenbach weiter. Auch er hat einen Sportrolli. Doch der hatte seinen Preis. Circa 8000 Euro hat Kolvenbach für sein Modell bezahlt. Der 19-Jährige hat wie Durguti eine Muskelerkrankung. „Die Krankheit ist nicht heilbar, aber ich kann sie verlangsamen“, so der Niederkasseler. Das E-Hockey hilft ihm dabei. „Dennis, nicht locker lassen“, ruft Abu Sallami seinem Teamkollegen auf dem Spielfeld zu. Jetzt bekommt Sallami den Ball, mit quietschenden Reifen manövriert er ihn an den anderen vorbei. Er holt aus und feuert den Plastikball auf das gegnerische Tor. Treffer – nach wenigen Minuten steht es 1 : 0 für seine Mannschaft.

Beim E-Hockey geht es keineswegs zimperlich zu. Oft prallen auf dem Spielfeld die Gegner zusammen. Bei bis zu zehn Stundenkilometern Geschwindigkeit bedarf es einer Menge Konzentration, den Rolli an den Gegnern vorbeizumanövrieren. Das sei jedoch nichts im Vergleich zu manchen Wettkämpfen, erzählt die Mannschaft. Bei Spielen der dritten E-Rolli-Bundesliga würden oft die Ellenbogen ausgefahren und gefoult. Dieses Jahr konnten die Sankt Augustiner Tigers noch an den Spielen der dritten Liga teilnehmen.

Trotz einiger Spenden, unter anderem vom Stadtsportverband Sankt Augustin, kann die Mannschaft in der kommenden Saison nicht mehr mitspielen. „Wir hätten für die Spieltermine in Berlin und Würzburg bis zu 7000 Euro gebraucht“, so Trainer Michel Vuylsteke. Der Transport sei wegen der Rollstühle schwierig und teuer. Auch die Unterkunft müsse rollstuhlgerecht sein und sei daher kostspielig. Zudem müssten für viele Spieler Pfleger mitkommen.

Die Mannschaft bedauert die ausfallenden Auswärtsspiele. „Unsere kleinen Reisen haben meinen Alltag bereichert und ich konnte ein bisschen was von der Welt sehen“, sagt Dennis Kolvenbach. Trotzdem trainieren die Tigers weiter. Die Spieler wollen sich fit halten. Abu Sallami kontrolliert den Ball fast durchgängig. Immer wieder rast er seinen Gegnern davon und führt geschickt den Ball mit seinem Schläger vor sich her. Ellton Durguti kann ihm den Ball abnehmen, seine Mannschaft ist im Rückstand. Er setzt sich gegen seine Gegner durch und wagt einen Torschuss auf Rebecca Behringers Tor. Sie kann den Ball halten. Die Halbzeit ist um, die Mannschaft von Dennis Kolvenbach und Abu Sallami führt mit 3 : 0.

Informationen zu den Tigers gibt es auf www.ehc-augustin.de

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