Sprachtandem der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg Deutsche sind "ernsthaft und formell"

SANKT AUGUSTIN · Die vorgefertigten 15 Einstiegs-Fragen hatten Léonie Herder-Issig (23) und Ricardo Kauffmann Lee (29) schnell abgearbeitet. Da ging es um Themen wie die wichtigsten Eigenschaften in der jeweiligen Kultur oder den Status von Frauen oder älteren Menschen in der jeweiligen Gesellschaft.

 Sie bilden ein Sprachtandem: Léonie Herder-Issig und Ricardo Kauffmann Lee.

Sie bilden ein Sprachtandem: Léonie Herder-Issig und Ricardo Kauffmann Lee.

Foto: Holger Arndt

Am Ende der fünf Gesprächstermine, die mindestens jeweils eineinhalb Stunden dauern sollen, soll das bessere Verständnis der jeweiligen Kultur des Gesprächspartners stehen. Geführt werden die Gespräche in der jeweiligen Muttersprache des anderen oder einer Fremdsprache für beide. Dieses Projekt, das es an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg nunmehr im zweiten Jahr im Rahmen des Master Studiums Innovationskommunikation gibt, nennt sich "Sprachtandem".

Léonie und Ricardo haben sich schon zuvor aus einer Veranstaltung gekannt und so sehr schnell zusammengefunden. "Sie hat mich gefragt, ob ich mitmachen möchte", erzählt der Mexikaner Kauffmann Lee. Er habe sofort zugesagt, denn bisher habe er in Deutschland überwiegend Kontakt zu älteren Menschen gehabt. "Ernsthaft und formell", das sind die Begriffe, die ihm spontan einfallen, wenn er über typisch deutsche Eigenschaften nachdenkt.

Seit zwei Monaten lebt er in Deutschland und studiert bei der Deutschen Welle "International Media". Ricardo spricht neben Spanisch perfekt Englisch und auch sehr gut Deutsch. "Ich habe eine deutsche Schule in Mexiko besucht", berichtet der 29-Jährige, dessen Großmutter Italienerin war, der Urgroßvater kam aus China. Durch Léonie hat er jetzt mitbekommen, dass nicht alle Deutschen ernst und formell sind. Die beiden sind sich einig, dass sie viele gleiche Interessen haben, über einen ähnlichen Humor verfügen und sich auf einer Ebene treffen, wenn es darum geht, Aspekte des Lebens auszudiskutieren.

"Wir hatten bisher viel Spaß", beschreibt Léonie die ersten Treffen. Nachdem grundsätzliche Fragen geklärt worden seien, habe man sehr schnell gemeinsame Interessen gefunden und aus den vorgegebenen 90 Minuten seien auch mal vier Stunden geworden. Neben vielen persönlichen Gemeinsamkeiten haben die beiden aber auch schon tiefgreifende Unterschiede in den Kulturen, die sie geprägt haben, entdeckt.

Fundamentale Unterschiede in den Familienbeziehungen

"Die Familienverbindungen sind fundamental unterschiedlich", sagt Kauffmann Lee. "Bei uns sind die Bindungen sehr stark, wenn gleiches Blut durch den Körper fließt." Diese Verbindung könne nicht brechen, ganz gleich, was auch geschehe. Für Léonie ist das schon schwer zu begreifen, dass man in Mexiko offenbar nicht nachtragend ist, auch wenn Freunde einen enttäuschen. Dafür sei es in Deutschland unfassbar friedlich, beschreibt der Mexikaner seine Lebenseindrücke.

Er hat bisher in der zweitgrößten Stadt Mexikos, Guadalajara, im mexikanischen Bundesstaat Jalisco gelebt. Man müsse sich dort sehr gut überlegen, wann man wo entlanglaufe, berichtet er von einer ständigen Unsicherheit. Gangs und Drogendealer bevölkerten nicht nur nachts die Straßen, und viele Viertel würden sogar von den Polizisten gemieden. "Man gibt dann sehr schnell seine Uhr oder sein Handy weg, damit einem selbst nichts passiert", beschreibt er die Ängste in seinem Heimatland.

Die große Gewalttätigkeit in der Stadt habe sich allerdings erst in den vergangenen 15 Jahren entwickelt. "Es ist Wahnsinn, dass man hier zu jeder Tageszeit unbehelligt durch die Straßen laufen kann." Kauffmann Lee möchte sich im Bereich der audiovisuellen Produktion weiterbilden und Dokumentarfilme oder Spielfilme drehen. Für die gebürtige Solingerin Léonie Herder-Issig, die seit ihrem Master-Studium in Bonn wohnt, steht fest, dass sie gerne hier in der Gegend bleiben würde. Ob als Journalistin, PR-Frau oder in dem kleinen Delikatessenladen, in dem sie jetzt schon arbeitet - diese Entscheidung hat sie noch nicht getroffen.

In ihrem Sprachtandem haben beide Partner nicht nur viel über die Kultur des jeweiligen Landes ihres Gesprächspartners erfahren. Léonie hat dabei ihr Englisch und Ricardo sein Deutsch verbessern können. Am Ende des Projektes wird die Studentin der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg einen Zusammenfassung schreiben, in der dann auch theoretische soziologische Grundlagen wie das Zwiebel-oder Eisberg-Modell auf ihre Tauglichkeit hin überprüft werden.

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