GA-Serie "Macht und Mehrheit" Wahlen: Nicht optimal, aber unverzichtbar

Bonn · Die freie Wahl ist das zentrale Element einer Demokratie. Wer sie kritisiert, meint meist nicht das Verfahren an sich – sondern Missstände in der Politik.

Manch einer wird pathetisch, wenn es um Wahlen geht und spricht vom Hochamt der Demokratie. Die meisten Bürger haben da ein eher pragmatisches Verhältnis und stimmen einfach ab, wenn der Termin gekommen ist. Doch diese demokratische Selbstverständlichkeit hat in den letzten Jahren deutliche Kratzer abbekommen. Die Wahlbeteiligung sinkt. Sie befindet sich vor allem bei Kommunalwahlen und in bestimmten sozial schwächeren Stadtteilen bisweilen im freien Fall. Auch aus der intellektuellen Ecke der Gesellschaft kommt Kritik am Verfahren. Dabei gibt es an der alles überragenden Bedeutung von Wahlen in der Demokratie keinen Zweifel. Manche Theoretiker sehen in ihr das Wesen der Demokratie.

Wahlbeteiligung seit den 70er Jahren rückläufig

Wenn alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, wie es im Grundgesetz steht, dann ist die Abstimmung des Volkes Demokratie in Reinform. Verkürzt heißt das: Wenn frei, gleich und geheim gewählt werden kann, herrscht Demokratie. Dass es nicht ganz so einfach ist, sei hier nur angemerkt. Die guten Zeiten der hohen Wahlbeteiligung lagen in den 70er Jahren. Weit über 90 Prozent der Wahlberechtigten gingen zur Bundestagswahl. Seitdem ging es kontinuierlich bergab. Erst 2016 zeichnete sich eine Trendwende ab, nachdem Brexit und Trump-Wahl vielen Bürgern deutlich gemacht hat, dass das Nicht-Wählen eben auch eine Wahl ist. Allerdings eine, die jenen mehr Gewicht in der Entscheidung gibt, die zur Wahl gehen.

Die Kritik an Wahlen spiegelt in der Regel nicht die Ablehnung des Verfahrens selbst, sondern bündelt alles, was in Parteien, Parlamenten und Politik schlecht läuft, von der Inhaltsleere vieler Debatten, der Monokultur in Parteien, der angeblichen Unfähigkeit der Politiker und ihrer Abgehobenheit und Bürgerferne. Fast scheint es so, als seien viele Menschen, die das Wählen ablehnen, der Meinung, es gehe um eine gute Sache, die nur schlecht gemacht werde. Ärgerlich für viele: Der Wahlzettel bietet keine Möglichkeit, den Protest auszudrücken, es sei denn, man macht ihn ungültig.

Die Kritik verstummt nicht

Bei den meisten Wahlen lassen sich auch einzelne Kandidaten nicht streichen. Politikverdrossene fordern gern, dass die Parlamente entsprechend der Wahlbeteiligung gestaltet werden sollten, also mit einer Reihe leerer Sitze. Auch das würde den Protest nicht in die Parlamente transportieren. Fest steht: Die Demokratie hat Schwächen, Wahlen gewährleisten auch nicht zu 100 Prozent, dass alle Interessen im Parlament vertreten sind und dass alle Bevölkerungsgruppen gleich zu Wort kommen können. Sie sorgen auch nicht dafür, dass wirklich jeder Politiker seiner Aufgabe gerecht wird.

Was die Kritiker meist vergessen, ist der andere Teil der Wahl: Jedem steht es frei, sich selbst zu bewerben und es besser zu machen als die Etablierten. Das ist in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte mehrfach gelungen: Die Grünen waren erfolgreich, die Piraten nur vorübergehend, und die AfD muss jetzt zeigen, ob sie überlebt.

Wer vertritt wen im Parlament?

Zwei Entwicklungen bereiten den Wahlforschern besonders Sorgen: Es sind ganz bestimmte Gruppen, die von der Politik enttäuscht sind und nicht mehr wählen gehen. Vor allem arme Menschen, Menschen ohne festen Job und in prekären Lebenssituationen gehören dazu. Ihre Themen kommen in den Parlamenten kaum mehr vor. Dagegen gehen die besser situierten, bürgerlichen Wähler beinahe geschlossen zur Wahl. Ihre Interessen fallen nicht unter den Tisch. Ähnlich gelagert ist das Problem der jungen Wähler und der alten Wähler. Von den alten gibt es in Deutschland viel mehr, und sie gehen eher zur Wahl als die jungen. Die Folgen waren bei der Brexit-Abstimmung zu erkennen.

Für manche Intellektuelle ist Wählen offenbar immer noch eine Zumutung, weil es ihrem elitären Anspruch bisweilen nicht genügt. Egal wie urteilsfähig jemand über Politik ist, egal was er verdient oder welchen Schulabschluss er hat: Jeder hat eine Stimme. Damit finden sich manche nur schwer ab, weil sie glauben, Entscheidungen würden besser werden, wenn die Stimmen der Gebildeten oder die Zahler hoher Steuersätze mehr Gewicht hätten. Eine ähnliche Debatte gibt es um Familien. Kinder haben keine Stimme, ihre Eltern auch nur zwei.

Eine Alternative zur Wahl ist indes noch nicht gefunden. Die Debatten versanden meist schnell. Kürzlich gab es eine Debatte, ob Losverfahren wie im antiken Griechenland nicht eigentlich besser wären. Die Reaktionen waren verhalten, weil die Nachteile die Vorteile klar übertreffen. Wer sein Amt nur gewonnen hat, dem fehlt es an einer Legitimation, die nur eine gleiche, geheime und direkte Wahl bringt. Das gilt für den Vereinschef genauso wie für den Bundestagsabgeordneten.

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