Ex-Abgeordnete hält sich in Vereinen fit Ingrid Matthäus-Maier fühlt sich in Birlinghoven zu Hause

Sankt Augustin · An ihren Wohnort Sankt Augustin hat es die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete zu Bonner Bundeshauptstadtzeiten zufällig verschlagen. Sie ist auch nach ihrem Rückzug aus der aktiven Politik geblieben.

 Immer in Bewegung: Arbeitspause heißt bei Ingrid Matthäus-Maier, 100-mal den Hula-Hoop-Reifen kreisen zu lassen.

Immer in Bewegung: Arbeitspause heißt bei Ingrid Matthäus-Maier, 100-mal den Hula-Hoop-Reifen kreisen zu lassen.

Foto: Martina Welt

Ingrid Matthäus-Maier ist vorbereitet auf das Gespräch. Ein Zettel mit Gedanken zu ihrer Wahlheimat Sankt Augustin-Birlinghoven liegt ebenso auf dem Tisch wie einige aktuelle Unterlagen zu Themen, die die Politikerin aus dem Effeff beherrscht und über die sie gerne spricht. Auch die Optik stimmt.

Blauer Hosenanzug, türkisfarbene Bluse, dezentes Make-up. Der Pony sitzt, allerdings wirkt die typische Matthäus-Maier-Frisur nicht mehr so streng wie früher. Normalität für eine Frau, die immer vorbereitet ist, die sich organisieren kann und so zahllose Termine, Familie und den Sport, der sie durchs Leben begleitet, scheinbar mühelos koordiniert.

Die 72-Jährige ist ein Energiebündel

Unterstützung bekommt sie von ihrem Ehemann Robert Maier. „Wir sind eigentlich immer nur zu zweit aufgetreten“, sagt die heute 72-Jährige, die vor Energie nur so strotzt. Es sprudelt aus ihr quasi heraus, wenn sie über die Zeiten ihrer Jugend und die 68er, den konsequenten Wechsel von der FDP zur SPD nach dem Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt, ihren Kampf um Gleichberechtigung von Mann und Frau oder aber die Trennung von Kirche und Staat spricht.

Sie freut sich spürbar über das aktuelle Urteil des Europäischen Gerichtshofes, dass kirchliche Arbeitgeber ihre Forderungen nach der passenden Religionszugehörigkeit von Mitarbeitern nun begründen müssen – und das in jedem Einzelfall. „Dafür habe ich 50 Jahre lang gekämpft.“ Sie ist zufrieden – Beharrlichkeit lohnt sich.

Matthäus-Maier ist eine begnadete und mehrfach ausgezeichnete Rednerin, und auch heute noch spricht ihr ganzer Körper mit, die Augen strahlen und die Gestik macht klar, dass sie voll und ganz für das steht, was sie propagiert, und auch danach handelt.

Gegen die Notstandsgesetze

Ihr Jurastudium begann sie 1965 in Gießen und setzte es in Münster fort. „Mein Mann und ich waren damals ganz normale Studenten und haben natürlich auch so manchen Hörsaal besetzt“, erinnert sie sich. Vor 52 Jahren lernte sie Robert Maier kenne. Gemeinsam kämpften sie damals gegen die Notstandsgesetze.

„Die Notstandsgesetze waren damals auch der Grund, warum ich in die Parteipolitik eingestiegen bin“, sagt die Mutter zweier Kinder. „Wir schickten damals Petitionen gegen die Gesetze in den Bundestag, und die kümmerten sich gar nicht darum“, schildert sie ihre Entrüstung über das Verhalten der Politiker.

Sie sei immer sozialliberal gewesen. Das ist Matthäus-Maier wichtig und lässt ihren Wechsel von der FDP zur SPD nach der Abwahl Helmut Schmidts nur als konsequente Handlung erscheinen. „Wichtig ist auch, dass ich damals mein Bundestagsmandat niedergelegt habe“, betont sie. Matthäus-Maier kandidierte bei der Bundestagswahl 1983 für die SPD im Wahlkreis Rhein-Sieg-Kreis II, der das Siebengebirge, Sankt Augustin und den linksrheinischen Kreis umfasst. Über die Landesliste kam sie erneut in den Bundestag.

Karriere nach der Politik

Auch Rückschläge gehörten zu der steilen Karriere der zierlichen Frau, die ihr jähes Ende 2008 fand. Grund war die Fast-Pleite der IKB-Bank, einer 20-prozentigen Tochter der KfW-Bank, deren Vorstandssprecherin sie war. Durch Schrottpapiere – die übrigens von der Deutschen Bank gekauft worden seien, wie sie bemerkt – habe die IKB vor der Insolvenz gestanden und musste mit Milliarden der KfW gerettet werden. Ein Vorgang, der sie dazu bewog, in den Ruhestand zu gehen. „Das hat mich physisch stark belastet“, sagt sie heute.

Nach Birlinghoven hat es die Familie eher zufällig verschlagen. Organisiert und realitätsbezogen wie sie nun mal ist, war sie auch die Wohnungssuche angegangen. Maximal eine viertel Stunde Weg nach Bonn war eine Voraussetzung, und da hatte sie den Sankt Augustiner Ortsteil zunächst nicht auf dem Zettel. „Als dann der Anruf kam, habe ich gleich abgesagt.“

Der Eigentümer überredete sie jedoch, sich das möblierte Haus wenigstens anzusehen. Die Familie zog im April 1978 ein, musste zwar nach einem Jahr das Haus noch mal räumen, aber im September 1980 konnten sie es kaufen. Sie blieben bis heute.

In den Arbeitspausen macht sie Sit-ups

Die Politikerin ist Mitglied im Bürgerverein, im Sportverein, sie ist jahrelang im Karnevalszug mitgegangen. Sie besucht Rückenschule und Gymnastik im Haus Lauterbach und ist Mitglied in der Radwandergruppe des TuS Niederpleis. Im Mendener Schwimmbad zieht sie zweimal in der Woche ihre Bahnen.

Auch ihr Arbeitszimmer im Dachgeschoss sagt viel über sie und ihren Alltag: Schreibtisch, Stehpult, Unmengen von Büchern, Zeitungsausschnitten und Ordnern, Kinderspielzeug für die Enkel und Sportgeräte für sie selbst lassen erahnen, wie energiegeladen die 72-Jährige ihr Leben gestaltet. 100-mal den Hula-Hoop-Reifen um die Hüften schwingen, Sit-ups für die Bauchmuskeln, all das geht immer noch zwischendurch und tut gut, findet Matthäus-Maier.

Natürlich beschäftigt sich die Befürworterin des selbstbestimmten Sterbens auch mit dem Alter. „Ich versuche, gegen Ängste vor Alter und Tod anzuarbeiten.“ Das gehe am besten mit strukturierten Tagesabläufen und Bewegung an der frischen Luft. Stolz ist Matthäus-Maier auf die Verfassung der Bundesrepublik und insbesondere auf die Grundrechte. Zwischen all den Büchern steht das Grundgesetz – und das gleich im Dutzend.

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