Interview mit Winfried Glatzeder Der "Ost-Hippie" spielt in Komödie in Sankt Augustin

Sankt Augustin · Der Schauspieler Winfried Glatzeder kommt mit der Komödie „Wir sind die Neuen“ nach Sankt Augustin. Der 73-Jährige mit dem markanten Gesicht lernte sein Handwerk auf der Schauspielschule in Babelsberg.

 Markantes Gesicht: Der Theater- und Filmschauspieler Winfried Glatzeder.

Markantes Gesicht: Der Theater- und Filmschauspieler Winfried Glatzeder.

Foto: picture alliance / dpa

Sie tragen die Mode ihrer Zeit und identifizieren sich mit Che Guevara auf dem T-Shirt und Flower Power im Herzen. Als Hippies hatten sie bereits eine Wohngemeinschaft in den 68ern. Nun beschließen die drei unangepassten Rentner ihrem öden Altersdasein zu entfliehen. Aus der Not der steigenden Mieten lassen sie die Jugend-WG von einst wieder aufleben. Doch das bringt ungeahnten Stress mit den Studenten in der Wohnung darüber. Einer dieser unmöglichen Alten ist Winfried Glatzeder, der am Samstag, 8. Dezember, ab 20 Uhr in Ralf Westhoffs Komödie „Wir sind die Neuen“ mit der Komödie Berlin auf der Bühne des Rhein-Sieg-Gymnasiums zu erleben ist. Vor dem Gastspiel sprach mit dem Schauspieler.

Ihr Schauspielkollege Henry Hübchen hat mal ironisch über Sie gesagt, Sie seien ein „Spießer mit einem Abenteurer-Gesicht“. Dabei verdanken Sie Ihre markante, eingedrückte Nase einer Schlägerei um einen freien Platz im Theatersaal. War das ein glücklicher Zufall für ihre spätere Filmkarriere?

Winfried Glatzeder: Ja, das war in einer Aufführung von Shakespeares „King Lear“, bei der ich mich auf einen Platz gesetzt hatte, den jemand anderes für sich beanspruchte. Nach der Vorstellung wurde dieses Problem mit einem Boxkampf beendet. Wenn man so denkt, dass es vor 50 Jahren noch nicht üblich war, Menschen mit einer sprachlichen oder körperlichen Behinderung auf die Bühne zu lassen, dann war es ein Glücksfall für mich, trotz gebrochener Nase Filme drehen zu können und auf der Bühne stehen zu dürfen.

Und diese „Behinderung“ brachte Ihnen nicht nur den Spitznamen „Belmondo des Ostens“ ein, sondern auch entsprechende Rollenangebote.

Winfried Glatzeder: Ja schon. Ich spielte auch Draufgänger, aber eigentlich bin ich ein ganz anderer Typ. Mein schauspielerisches Vorbild war immer der Komiker Walter Matthau.

Wie klar war es für Sie überhaupt, Schauspieler werden zu wollen, und wie kam es dazu?

Winfried Glatzeder: Die Initialzündung war relativ profan. Meine Großmutter hatte eine berühmte Schauspielerin am Berliner Ensemble als Freundin. Bei einer Familienfeier posaunte sie hinaus, sie brache nur einmal ins Mikrofon zu rülpsen und schon habe sie hundert Mark verdient. Ich bekam damals in der Woche nur zehn Pfennig Taschengeld als Zwölfjähriger. Das löste schon den Wunsch aus, ebenfalls Schauspieler zu werden. Später habe ich auf dem zweiten Bildungsweg Maschinenbauer mit Abitur gemacht. Dort habe ich mich zunächst in eine betriebliche Kabarettgruppe geflüchtet. Anschließend habe ich an der Hochschule Schauspiel studiert und hatte mein erstes Engagement an der Volksbühne in Ost-Berlin.

Am Samstag sind Sie in Sankt Augustin. Kennen Sie das Rheinland?

Winfried Glatzeder: In 50 Jahren bin ich auf so vielen Bühnen aufgetreten, dass ich meistens erst beim Aussteigen aus dem Tournee-Bus erkenne, dass ich schon einmal in dieser Stadt gewesen bin.

Sie werden in der Komödie „Wir sind die Neuen“ mit Claudia Rieschel und Siegfried Kadow als drei Alt-68er zu erleben sein, die ihre alte Hippie-WG wieder aufleben lassen. Haben Sie als Jugendlicher tatsächlich mal in einer WG gelebt?

Winfried Glatzeder: Oh ja! Ich habe 1965 während des Studium mit zehn Mädchen und sechs Jungs in der ehemaligen Villa des Operetten-Sängers Richard Tauber gelebt. Das war für DDR-Verhältnisse natürlich eine exklusive Kommune, denn wir hatten einen Gärtner, eine Zugehfrau und einen Heizer, die bei uns nach dem Rechten sahen. Für mich hatte diese WG eine ideale Sozialisierung, weil ich als Einzelkind aus einem ziemlich spießig-behüteten Mutter-Großmutter-Haushalt kam.

Die „Neuen Alten“ in der Komödie versuchen dem Rentenalter zu entfliehen.Was macht für Sie als mittlerweile 73-Jährigen den Reiz des Alters aus?

Winfried Glatzeder: Von Reiz keine Rede. Schon wie Sir Peter Ustinov beklagte: „Altsein ist Scheiße!“ Zum Beispiel: Wenn uns unsere vier Enkel mit unseren Söhnen und den Schwiegertöchtern besuchen und anschließend der Garten und das Haus einem Trümmerfeld gleicht, genießen meine Frau und ich erschöpft und gelähmt die anschließende Ruhe. Ich erinnere mich, dass ich schon in den frühen Jahren unserer Kinder sehr gerne in Film- und Theaterarbeit geflohen bin.

In der Komödie sind die jungen Studenten genervt, dass die „Alten“ sich die unangepasste und unkonventionelle Lebensart zurückholen. Wie viel Wahrheit steckt darin?

Winfried Glatzeder: Diese Komödie ist ein Abbild unserer Gesellschaft. Vor allem durch die sozialen Schwierigkeiten, die alte Leute bei steigenden Mieten und Lebenshaltungskosten erleben. Das heißt, dass man sich im Alter das frühere Leben nicht mehr leisten kann. Darin sehe ich ein Problem unserer Marktwirtschaft, die leider immer weniger sozial ist. Und dann ist der Gedanke an eine Alten-WG eine Möglichkeit.

Sie spielen heute bei Netflix in der Dark-Serie, machen aber auch weiter Theater? Was mögen Sie lieber?

Winfried Glatzeder: Hundert Seiten Text in sechs Wochen zu lernen ist sicher schwieriger, als sich auf einen Drehtag im Film vorzubereiten. Aber körperlich sind 13 Stunden am Set bei den Dreharbeiten kräftezehrender als zwei Stunden Theateraufführung. Jetzt im Alter ist es erfüllender, Theater zu spielen. Wir haben zum Beispiel 1400 Mal „Pension Schöller“ aufgeführt. Da gab es schon Momente, wo den Leuten vor Lachen das Gebiss aus dem Mund fiel und ein anderer mit Herzinfarkt aus dem Theatersaal getragen werden musste. Das erfüllt mich mit großem Glück.

Und was machen Sie Weihnachten?

Winfried Glatzeder: Die Kinder und Enkel sind diesmal bei den Schwiegertöchter-Familien. Da werde ich wohl für meine Frau und mich in unserem Garten in Berlin Holz hacken, damit der Kamin schön warm ist. Den Weihnachtsbaum werden wir uns in diesem Jahr wohl sparen.

Ist Berlin für Sie Heimat?

Winfried Glatzeder: Geboren bin ich ja im Freistaat Danzig, heute Polen und bin im Handwagen mit meinen Großeltern 1945 vor den Russen nach Berlin geflohen. Dort lebe ich immer noch. Und dort will ich auch begraben werden.

Aber das ist hoffentlich noch lange hin...

Winfried Glatzeder: Ja schon. Ich habe mir vorgenommen, die Rentenkasse bis zu meinem 93. Lebensjahr zu traktieren. Und wenn ich vorher gehen sollte, weiß der Totengräber immerhin schon, wo er mich beerdigen soll. Auf dem Friedenauer Friedhof neben Marlene Dietrich und Helmut Newton. Das haben wir alles genau besprochen. Bis dahin folge ich meinem Traum, auf der Bühne zu sterben. Vielleicht klappt es ja in Sankt Augustin.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort