GA-Serie "Wohnen und leben" Bonner Professor: Wohnungsnot spaltet Gesellschaft

Bonn · Wie könnten Auswege aus der Wohnungsnot in Bonn und weiten Teilen des Rhein-Sieg-Kreises aussehen? Der Bonner Städtebau-Professor Theo Kötter fordert ein Umdenken bei der Baulandentwicklung. Das setzt einen kreativen Umgang mit knappen Flächen voraus.

Wohnraum gilt als knappes Gut. Warum eigentlich?

Theo Kötter: Es ist genug Wohnraum da, zumindest quantitativ. In strukturschwachen, vor allem ländlichen Gegenden haben wir Leerstände. Dagegen wachsen viele Städte durch Binnenwanderung, was hier zu Problemen auf dem Wohnungsmarkt führt – so auch in Bonn. Die Menschen ziehen in die Städte, weil dort qualifizierte Ausbildungs- und Arbeitsplätze und Versorgungseinrichtungen sind oder weil sie zunehmend urbanen Lebensstil schätzen. Letzteres trifft gerade auf die jüngere Generation zu.

Dieser Trend ist ja schon lange zu beobachten. Hätte man nicht viel früher viel mehr bauen müssen?

Kötter: Die beschriebenen Entwicklungen vollziehen sich räumlich sehr uneinheitlich und in sehr dynamischen Zyklen. Wohnungsmärkte sind dagegen träge. Bis ein Baugebiet geplant und realisiert ist, vergehen Jahre. Die Stadt Bonn ist außerdem durch ihre topographische Lage beschränkt, wenn es um die Ausweisung von Bauland geht. Ob Rhein, Siebengebirge, Rheinaue oder Messdorfer Feld – eine Ausdehnung in der Fläche ist schwierig. Aber ich sehe dennoch viel Potenzial. Durch Verdichtung. Es gibt in Bonn zahlreiche Brachen, fehlgenutzte Grundstücke, riesige Garagenhöfe, deren Parkflächen man viel effizienter in Tiefgaragen unterbringen könnte.

Das würde ausreichen, um die Wohnungsnot zu bekämpfen?

Kötter: Es würde einiges bringen, aber nicht ausreichen. In meinen Augen ist eine Stadt-Umland-Kooperation angezeigt. Bonn hat beim Strukturwandel gute Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit dem Rhein-Sieg-Kreis und dem Kreis Ahrweiler gemacht, derzeit sind interkommunale Gewerbegebiete mit dem Rhein-Sieg-Kreis geplant. Das sollte auch beim Wohnen klappen, auch wenn die Planungshoheit bei den Kommunen liegt.

Sie plädieren für mehr Verdichtung. Würde das nicht zu Lasten der Lebensqualität gehen?

Kötter: Höhere Dichte und Qualität sind kein Widerspruch. Schauen Sie sich die Bonner Südstadt an: eine hoch attraktive Wohngegend. Solche Quartiere aus der Gründerzeit mit den beliebten Stadthäusern taugen heute wieder als Vorbild. Angesichts der Flächenknappheit können wir es uns kaum erlauben, Grundstücke in der Stadt mit Einfamilienhäusern zu bebauen. Wir müssen umdenken, Experimente zulassen, das Bauen in die Höhe stärker in Betracht ziehen. Hochhäuser werden heute meist nur als Bürobauten geplant. Das halte ich für falsch.

Ist das Wohnen in Hochhäusern nicht verpönt?

Kötter: Sie haben ein Imageproblem. Besonders bei den Großwohnsiedlungen der 60er bis 80er Jahre wurden vielfältige Fehler gemacht, nicht allein vom Städtebau. Damals wurden Hochhaussiedlungen auf die grüne Wiese gesetzt, oft ohne ausreichende verkehrliche Anbindung an Städte, ohne eine Funktionsmischung von Wohnen, Arbeiten, Versorgung und Freizeit. Vielerorts wurden solche Siedlungen durch einseitige Belegung zum Ghetto. Es gibt inzwischen aber positive Beispiele. Nehmen Sie die Green Towers in Mailand oder die Kranhäuser in Köln, von denen eines bewohnt ist. Man muss sich immer eines vor Augen führen: Der Druck auf die Städte nimmt zu, weil Flächen knapp sind, aber gleichzeitig die Zahl der Haushalte steigt. Über 70 Prozent davon sind heute schon Ein- und Zweipersonenhaushalte.

Viele Kommunen beklagen, dass sich Bauprojekte nur schwer realisieren lassen: Es gebe zu viele Hemmnisse. Wie sehen Sie das?

Kötter: Es fehlt an konsequentem, strategischem Handeln. Die Politik ist vielerorts zu zögerlich und nimmt zu sehr Rücksicht auf Einzelinteressen, etwa auf Anwohner, die gegen ein Baugebiet in der Nachbarschaft sind und Initiativen gründen. Diejenigen, die keinen Wohnraum haben, haben keine Lobby und gründen keine Initiativen. Wer nimmt ihre Interessen wahr? Die Kommunen müssen sich stärker zum Anwalt der Menschen mit unteren und mittleren Einkommen machen, die sich angesichts rasant steigender Wohnkosten am Markt nicht mehr angemessen mit Wohnraum versorgen können. Wenn sich die Wohnungs- und die Bodenpolitik nicht ändert, wird dieses Problem zum Spaltkeil für unsere Gesellschaft.

Letztlich hängt es davon ab, dass Eigentümer Flächen verkaufen, oder?

Kötter: Richtig. Im Grundgesetz, Artikel 14, heißt es aber: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Wenn ich mein Grundstück in Zeiten mit erheblichem Wohnraumbedarf nicht selbst bebaue oder an einen Bauwilligen verkaufe, weil ich auf weitere Wertsteigerung und Gewinnmaximierung hoffe, dient das nicht zugleich dem Allgemeinwohl.

Würde das nicht auf eine Enteignung hinauslaufen?

Kötter: Viele Flächen lassen sich durch Kooperation mit den Eigentümern mobilisieren. Enteignung kommt nur als Ultima Ratio in wenigen Fällen in Betracht. Aber wir brauchen neue Instrumente, um auf Baulücken zugreifen und sie mobilisieren zu können. Etwa durch eine Veränderung der Bodenbesteuerung oder eine Bauverpflichtung für Grundstücke, bei denen Planungsrecht besteht. Wird in einer bestimmten Frist nicht gebaut, hat als erstes die Kommune ein Ankaufsrecht. Die Kommunen sind zu einer sozial gerechten Wohnraumversorgung verpflichtet. Es muss in ihrem Interesse sein, bei der städtebaulichen Entwicklung handlungsfähig zu sein. Dazu brauchen sie Boden ebenso wie eine Wohnungsbaugesellschaft mit eigenem Wohnungsbestand.

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