Behinderte im Karneval Ein Dreigestirn lebt die Inklusion

RHEIN-SIEG-KREIS · Die Lebensgemeinschaft Eichhof in Much, in der rund 130 Menschen mit geistiger Behinderung arbeiten und leben, kürt seit drei Jahren ihre Tollitäten.

 Das Dreigestirn vom Eichhof: (v. l.) Bauer Volker I., Prinz Jörg I. und Jungfrau Davina I.

Das Dreigestirn vom Eichhof: (v. l.) Bauer Volker I., Prinz Jörg I. und Jungfrau Davina I.

Foto: Holger Arndt

Der Daumen geht sofort hoch. Jörg Heibach braucht keine Worte, um zu beschreiben, wie es ist, Prinz in einem Dreigestirn zu sein. „Ich habe den Karneval einfach im Blut“, sagt der Mann, der zusammen mit Jungfrau Davina I. und Bauer Volker I. die Lebensgemeinschaft Eichhof auf den karnevalistischen Bühnen der Region vertritt. Davina Müller streift die weißen Handschuhe über und erklärt dabei: „Jetzt kann ich nichts mehr anfassen, sonst werden sie schmutzig.“ Und Volker Schmitz-Luck testet, ob sein mit Pfauenfedern gekrönter Hut richtig sitzt. Schnell noch ein Foto – und dann geht es los zum Auftritt bei der Behindertenfreizeitgruppe in Oberheiden.

Es ist das dritte Mal, dass der im Bröltal gelegene Eichhof, auf dem rund 130 Menschen mit geistiger Behinderung arbeiten und leben, sein eigenes Dreigestirn stellt. „Wir feiern schon sehr viel länger Karneval auf dem Eichhof, mit einer Party an Weiberfastnacht“, sagt Annette Brittner.

Die Sozialarbeiterin, die das Betreute Wohnen im Dorf leitet, ist stets an der Seite der Tollitäten, wenn die auf jecke Tour gehen. Zusammen mit Claudia Steimel und Wilfriede Tietz-Polinowski, die vor drei Jahren die Idee hatte, ein Dreigestirn zu küren und bei Geschäftsführer Georg Rothmann sofort auf Zustimmung stieß. Im Zuge der Inklusion sei das ein naheliegender Schritt gewesen, sagt Brittner. „Schließlich heißt es ja auch: Jeder Jeck ist anders.“

Jungfrau Davina zibbelt an ihrer Perücke. „Bei der Krone muss mir jemand helfen, sonst rutscht die immer“, sagt sie. Für ihre Auftritte ist es wichtig, dass der majestätische Kopfschmuck fest sitzt. „Ich tanze mit unserer Tanzgruppe auf der Bühne“, erklärt die 30-Jährige. Ihr Kleid schränke sie allerdings bei ihren Schritten etwas ein: „Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu große Schritte mache.“

Braun und Weiß sind die Farben des Trifoliums vom Eichhof. „Das Ornat haben wir vor drei Jahren nähen lassen“, sagt Annette Brittner. Es werde von Jahr zu Jahr dem amtierenden Dreigestirn angepasst. Nur die Schuhe müssen sich die Tollitäten passend zu ihrer Garderobe selbst kaufen. Ihren eigenen Orden haben die Drei auch. Und als Erinnerung an ihre jecke Regentschaft erhalten sie nach Aschermittwoch jeder eine Narrenkappe mit aufgesticktem Namen.

Tim I. steht auf der Kappe des Adjutanten, der Prinz Jörg I. an den tollen Tagen nicht von der Seite weicht. Denn die Regenten des Vorjahres sind die Adjutanten des amtierenden Dreigestirns, so auch Ex-Bauer Peter Böttgenbach und Ex-Jungfrau Sarah Waltherscheid. Tim Hirrschmann lässt seinen Nachfolger gerne an seinen Erfahrungen teilhaben. „Mein Höhepunkt war der Rosenmontagszug in Much“, verrät er. Da die Gemeinde kein eigenes Dreigestirn hat, bilden die Tollitäten vom Eichhof nun den krönenden Abschluss des Rosenmontagszugs. Darauf freuen sich auch Prinz Jörg, Jungfrau Davina und Bauer Volker.

Ganz besonders hat Ex-Prinz Tim aber die Auftritte genossen, bei denen er mit allen Narrenherrschern aus dem Rhein-Sieg-Kreis zusammen gefeiert hat. Wenn er davon spricht, glänzen noch heute seine Augen. Auf der Bühne zu stehen, gefällt auch der amtierenden Jungfrau Davina, die in der Küche des Eichhofs arbeitet. „Es ist schön, einfach mal im Mittelpunkt zu stehen“, sagt sie und ergänzt: „Im richtigen Leben ist das sehr schwer.“

Wie tief Prinz Jörg im Karneval verwurzelt ist, zeigen zwei Karnevalsprinzessinnen, die im November zur Proklamation auf den Eichhof gekommen sind: seine Tante und die Freundin seines Cousins. Prinzenführer Philipp Heider eilt herbei: „Wir müssen jetzt gleich los.“ Jörg I. bleibt gelassen. Lampenfieber kennt er nicht, versichert der 29-Jährige, der in der Landwirtschaft der Dorfgemeinschaft arbeitet. Im Gegenteil: Er brennt geradezu darauf, in den nächsten Saal einzumarschieren.

„Dabei singen wir et Trömmelche“, verrät er. Tim Hirschmann spielt dazu auf dem Akkordeon. Bauer Volker, der in der Kerzenwerkstatt des Eichhofs arbeitet, schwingt seinen Dreschflegel.

Und auf der Bühne? „Da stellen wir uns alle vor“, sagt Jungfrau Davina. Und sie rufen den Jecken im Saal gemeinsam ihr Motto zu: „Kumm loss mer Ärm in Ärm zosamme stonn.“

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