Flüchtlinge in der Region „Etliche Fehler bei Bund und Land“

Rhein-Sieg-Kreis · Vor einem Jahr kamen die ersten Asylbewerber in eine Notunterkunft im Rhein-Sieg-Kreis. Die Städte sperrten Turnhallen,verärgerten Vereine, konnten sich aber auch auf viele Ehrenamtliche verlassen. Matthias Hendorf sprach mit Hartmut Kreutz, dem DRK-Katastrophenschutzbeauftragten für den Rhein-Sieg-Kreis.

 Hartmut Kreutz.

Hartmut Kreutz.

Foto: Paul Kieras

Herr Kreutz, wie würden Sie das vergangene Jahr mit einem Wort bezeichnen?

Hartmut Kreutz: Turbulent.

Warum?

Kreutz: Weil es eine Herausforderung für die Ehrenamtlichen war, die sie mit Bravour geleistet haben. In den Anfangswochen sind alle Beteiligten an Belastungsgrenzen gestoßen. Mit den Wochen wurde das aber routinierter.

Wie waren denn die ersten Wochen?

Kreutz: Purer Stress.

Wieso?

Kreutz: Keiner hat auf die Arbeitsstunden oder den Feierabend geschaut, sondern dort angepackt, wo Not am Mann war. Aber es hat auch allen Spaß gemacht.

Oftmals kamen die Flüchtlinge per Bus später als angekündigt, die Helfer mussten teils lange warten.

Kreutz: Das war Standard, ja. Erst in den letzten drei, vier Monaten haben die verbesserten Strukturen der Behörden besser gegriffen. Oft sind die Ehrenamtlichen los, um einen Bus mit Flüchtlingen abzuholen und es kam keiner. Da gab es etliche Fehler bei Bund und Land, das war eine Riesenkatastrophe.

Was war das schönste Erlebnis?

Kreutz: Der Aufwand lohnt sich, wenn man in glückliche Kinderaugen schaut, weil man einen Ball in den Raum wirft oder ein Malbuch hinlegt. Es sind die kleinen Dinge, die für uns in Deutschland so selbstverständlich sind und für die Flüchtlinge eben nicht.

Und was war Ihr schlimmstes Erlebnis?

Kreutz: Das sind alleinreisende Minderjährige, von denen man nicht weiß, wo sie untergebracht werden. Oder die aus dem Bus steigen und Kriegsverletzungen haben.

Was haben Sie in diesem Jahr gelernt?

Kreutz: Dass wir beim DRK über ein sehr gutes Hilfeleistungssystem verfügen. Unser Vorteil ist, dass wir in jeder Kommune tätig sind und schnell und unkompliziert überall helfen konnten. Wir sind in der gesamten Fläche vertreten und haben uns in den Unterkünften unter anderem um die Ankunft oder den Sanitätsdienst gekümmert.

Können Sie einschätzen, wie viele Stunden das DRK geholfen hat?

Kreutz: Nein, wir sind noch dabei, das herauszufinden. Wir sind in allen Kommunen im Einsatz gewesen – und zwar mit 300 bis 400 Ehrenamtlichen über das gesamte Jahr. Die Flüchtlingskrise ist der größte humanitäre Einsatz seit dem Zweiten Weltkrieg.

Hat die Politik das unterschätzt?

Kreutz: Das weiß ich nicht. Aber Politik und Kommunen haben auf jeden Fall zu träge reagiert. Die Planung und Umsetzung hat zu lange gedauert, die klassischen Behördenfehler eben.

Haben Sie innerhalb der Bevölkerung eine abnehmende Hilfsbereitschaft nach den Silvestervorfällen in Köln festgestellt?

Kreutz: Nein, im Rhein-Sieg-Kreis überhaupt nicht. Wir haben nach wie vor sehr viele Hilfsanfragen.

Also keine negativen Vorfälle?

Kreutz: Klar, es gibt die klassischen Einzelfälle, etwa, wenn ein Asylbewerber dem anderen die Decke stiehlt. Aber sonst haben wir nichts mitbekommen.

Wie ist aktuell die Lage?

Kreutz: Es ist deutlich entspannter, weil die Notunterkünfte nach und nach schließen. Wir bekommen jetzt unser Material zurück und bringen es wieder in Schuss. Aber wer weiß schon, was die Zukunft bringt?

War die Pause dringend nötig?

Kreutz: Ja. Das Personal braucht Erholung, die Ehrenamtlichen freuen sich auf Sommerurlaub.

Hätten manche Hilfskräfte sonst darauf verzichtet?

Kreutz: Ja. Es gibt schon Menschen, die ihr Privatleben komplett dem Ehrenamt unterordnen. Das ist vorbildlich.

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