Fotos mit Esel Richard Kern fotografierte 35 Jahre lang Drachenfels-Touristen

Königswinter · 35 Jahre lang fotografierte Richard Kern lang unzählige Drachenfels-Touristen. Bis 1989 blitze er sie vor einem der lokalen Wahrzeichen ab - einem (echten) Esel. Echte Schwerstarbeit, wie er heute sagt.

Es gibt bessere Zeiten für ein Treffen mit Richard Kern als Samstagmittag. Einerseits hat seine Frau Eva-Maria die Suppe auf dem Tisch, die der 84-Jährige sich nicht entgehen lässt. Zum anderen wird er eigentlich pünktlich um 15.30 in seiner Stammkneipe „Becker's“ in Königswinter erwartet, um seinem heiß geliebten 1. FC Köln zuzusehen. Dann steigt er in seinen Mercedes-Kombi und kurvt von seinem Haus an der Drachenfelsstraße runter in die Altstadt, wie zu jedem Spiel. „Die haben sogar Fernseher auf dem Klo, da verpassen Sie nichts“, sagt er.

Nur nichts verpassen, damit kennt sich das Königswinterer Urgestein aus. 35 Jahre lang nutzte Kern als Schnellfotograf die Anziehungskraft eines der meistbesuchten Berge Deutschlands, um zahllosen Besuchern ein Souvenir mit nach Hause zu geben. Dabei war vor allem die Örtlichkeit Gold wert. Heutzutage würde man wohl modern von der famosen „Location“ sprechen, doch das rheinische Original sagt es anders, burschikoser und dennoch treffend. „Wo ein Scheißhaufen liegt, da kommen die Fliegen.“

Der Drachenfels zog die Massen an

Dabei meint er es gar nicht abwertend. Kern trifft einfach nur den wahren Kern. „In den ersten Jahren der Nachkriegszeit funktionierte Urlaub halt noch ein wenig anders als heute“, erinnert er sich. Heutige Brot-und-Butter-Destinationen wie die Türkei oder Mallorca waren für die damalige Generation unerreichbar, „es gab auch keine Urlaubsflüge für 18,50 Euro oder so“.

Die Menschen in den 50ern entdeckten lieber die Ziele vor ihrer Haustür, vor allem Wochenendtouristen aus dem Ruhrgebiet, aus den Niederlanden oder Belgien zog es an den Rhein. Es war die große Zeit des Bustourismus – und der mythenbeladene Drachenfels zog die Massen an. Während der Saison von März bis Oktober kamen sie zu Tausenden – und liefen an der Drachenfelsstraße, einer der Routen auf den Gipfel, Richard Kern und seinem Vater in die Arme.

Echter Esel für das Foto

In blauen oder weißen Kitteln standen sie dort vor ihrem Atelier mit der Hausnummer 59 und boten den Neuankömmlingen an, sich direkt mit einem der lokalen Wahrzeichen fotografieren zu lassen: einem Esel. „Das gehörte für die Menschen einfach dazu“, sagt Kern, „so konnten die Touristen damals stolz zeigen, dass sie tatsächlich hier waren.“

War das Grautier anfangs aus Holz, besorgten sich die Kerns später einen echten Esel, auf oder vor dem die Besucher drapiert wurden. Auch Holzflugzeuge, aufgebaut im Studio vor einer Panoramaleinwand des Niederdollendorfer Malers Peter Bonn, waren ein beliebtes Motiv – und um möglichst schnell zu sein, ließen sich die Fotokünstler einen Trick einfallen. Die untere Hälfte eines Negativs wurde mit dem Siebengebirgspanorama vorab belichtet, später folgten die Personen in der hölzernen Flugzeugattrappe. Und wenn die Besucher vom Felsen wieder herunterkamen, war ihr Andenken fertig.

"Das war natürlich alles 08/15"

35 Jahre lang ging das so, doch Spaß machte es schon bald nicht mehr. „Das war natürlich alles 08/15“, sagt Kern. Ein Standardjob, der aber achtbares Geld in die Kassen spülte. Bis zu 100 Fotos entstanden in der Hauptsaison pro Tag, am Ende nahm er für zwei Stück zehn Mark. Abzüglich der Kosten für den angestellten Rekommandeur und der Provisionen für die Busfahrer, die bereits auf der Fahrt nach Königswinter Werbung für ihn machten, kam über die ganze Saison ein erkleckliches Sümmchen dabei heraus. Zumindest so viel, dass er genügend für den Winter zurücklegen konnte, in dem so gut wie kein Geschäft war.

Dann war auch Zeit, seine Ausrüstung zu pflegen. Ein paar Schätzchen, beinahe so alt wie er selbst, stehen noch im Hinterzimmer seines Wintergartens neben der Nibelungenhalle, und er holt eine alte Atelierkamera aus den 20er Jahren hervor, mit Film-Platten in LP-Größe und Spuren von Holzwürmern. „Ein tolles Gerät“, sagt er und streicht ein paar Spinnweben von der eingebauten Leica-Festbrennweite, die seiner Meinung nach immer noch funktionieren würde. „Aber dafür gibt es keine Filme mehr.“ Das macht ihm aber nichts aus, schließlich hat er schon lange mit der aktiven Fotografie abgeschlossen.

Fotografieren war noch echte Schwerstarbeit

Wobei er 1989, als er sein Arbeitsgerät einmottete und teilweise dem Siebengebirgsmuseum vermachte, tatsächlich einen guten Zeitpunkt verpasst hat. Schließlich brachte die Wiedervereinigung Millionen neuer Kunden, die nun dem Drachenfels einen Besuch abstatten konnten. Wurmt ihn das? „Nein“, sagt er, und man mag es ihm glauben. Schließlich sei schon damals die Konkurrenz am Felsen groß gewesen und das Fotografieren noch echte Schwerstarbeit.

Die eigenhändige Entwicklung von Schwarz-Weiß-Fotos wurde immer aufwendiger, und jeder misslungene Schuss kostete Geld – nicht so wie heute, wo auf den Speicherkarten moderner Digitalkameras unter Tausenden von Bildern auch immer ein brauchbares dabei ist. „Heute müssen Sie nicht mehr fotografieren können“, sagt der Mann, der im Jahr 1956 vor der IHK Bonn seine Gesellenprüfung als Fotograf abschloss und sein Handwerk versteht.

Geißbock statt Esel

Diese Zeit liegt hinter Kern. Ihm wird aber auch so nicht langweilig. Seit mehr als 60 Jahren gehört er als Erster Bass und Bariton dem Männergesangverein Gemüthlichkeit an, dem er mittlerweile auch als Ehrenpräsident vorsteht. Eine lustige Truppe, die durchaus auch mal ein wenig frisches Blut gebrauchen könnte. „Aber wir tun uns mit dem Nachwuchs schwer“, meint Kern. So bleibt ihm und seinen Sangesfreunden oft nicht viel mehr, als zum Winzerfest am ersten Sonntag im Oktober 100 Liter Federweißer gratis auszuschenken, vom hohen Wagen, wie sich das gehört.

Oder einem störrischen Vierbeiner zuzujubeln, auch wenn es nicht mehr die Gattung ist, die einst sein Leben bestimmte. Anstelle eines Esels begeistert sich Kern mittlerweile nur noch für einen Geißbock: Hennes, das Wappentier des 1. FC Köln. Auch wenn der jetzt in der zweiten Liga spielt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort