Buch "Humboldtstraße Zwei" Lesung mit Harald Gesterkamp im Haus Schlesien

Heisterbacherrott · Der Bonner Autor Harald Gesterkamp las im Haus Schlesien in Königswinter-Heisterbacherrott auf Einladung des Vereins "Literatur im Siebengebirge" aus seinem Buch „Humboldtstraße Zwei“.

 Über drei Generationen der schlesischen Familie Plackwitz berichtet Harald Gesterkamp in seinem Roman „Humboldtstraße Zwei“.

Über drei Generationen der schlesischen Familie Plackwitz berichtet Harald Gesterkamp in seinem Roman „Humboldtstraße Zwei“.

Foto: privat

„Spurensuche. Mut zur Verantwortung.“ Das Motto des Museumstages liest sich ein wenig wie eine Arbeitsmaxime, die Harald Gesterkamp an den Anfang seiner Arbeit an dem Buch „Humboldtstraße Zwei“ gestellt haben könnte. Der Roman erzählt die Geschichte der schlesisch-deutschen Familie Plackwitz, vom Nationalsozialismus über Krieg und Vertreibung bis hin in die Nachkriegszeit und dem Altwerden in Westdeutschland – inspiriert durch die eigene Familiengeschichte. Diesen stellte der Bonner Autor am Museumstag bei einer Lesung auf Einladung des Vereins Literatur im Siebengebirge im Haus Schlesien vor.

Gesterkamps Familie mütterlicherseits stammt aus der niederschlesischen Kleinstadt Jauer (polnisch: Jawor), in der auch Familie Plackwitz ihre Heimat hat. Der Krieg, die Vertreibung, Münster als neuer Wohnort – die Grundsäulen der Geschichte haben autobiografische Züge. Dabei beließ es der Autor aber. „Natürlich gibt es an manchen Stellen Parallelen. Aber im Laufe des Schreibprozesses emanzipiert man sich mehr und mehr von seiner eigenen Geschichte. Es ist ganz eindeutig ein Roman, keine Biografie.“

Ein Roman über drei Generationen

Anhand von Episoden aus dem Leben dreier Generationen der Familie Plackwitz spannt sich der Familien- und Zeitroman auf. „Noch mehr Tage wie heute, und ich drehe völlig durch“, beginnt das Buch etwa. Elisa, aus den Hörsälen der Universität in die Bunker der Flugabwehr zitiert, kennt nur noch beißende Kälte und fehlenden Schlaf. „Immer wieder hören wir Fluggeräusche, wir alle haben Angst“, beschreibt sie. „Was wir hier machen, es ist so sinnlos!“ 70 Jahre später: Elisa liegt nach einem Sturz im Krankenhaus und wird sich davon nicht wieder vollends erholen. Ihr Sohn Andreas guckt nach dem Besuch im Krankenhaus in seinem Elternhaus in Münster nach dem Rechten. Auf der Suche nach Zerstreuung stößt er auf Fotoalben seiner Großeltern aus Schlesien – und auf ein Tagebuch. „Noch mehr Tage wie heute, und ich drehe völlig durch“, liest er und beginnt sich intensiver mit der Vergangenheit seiner Mutter Elisa auseinanderzusetzen.

Diese wuchs behütet in dem bildungsbürgerlichen Haushalt des gesellschaftlich hoch angesehenen Amtsrichters Erich Plackwitz auf, wie man dann aus dem nächsten Kapitel erfährt. Schlaglichtartig werden in den ausgewählten Abschnitten die Hauptpersonen und ihre Lebensumstände vorgestellt, und damit auch eine Vielzahl von thematischen Aspekten angerissen. Neben den offensichtlichen – Krieg und Vertreibung – sind das etwa das Schweigen gegenüber Unrecht, die Euthanasie, Verdrängung oder die epigenetische Vererbung von Traumata.

Keine Moralkeule

Zum Glück ist Gesterkamp niemand, der tadellose Charaktere mit der Moralkeule um sich schlagen lässt. Sein auf 468 Seiten verdichtetes Werk ist nicht emotional aufgebauscht, der Erzähler recht distanziert: Die einzelnen beschriebenen Erlebnisse sollen hauptsächlich für sich sprechen. Das hat auch zur Folge, dass man dem Autor und seiner Geschichte gut folgen kann – trotz des inhaltlichen Gewichts, das einzelne Passagen mit sich führen.

Dass der Roman zudem auch realitätsnah ist, bewies die an die Lesung anschließende Frage- und Diskussionsrunde. Im Publikum saßen Nachfahren von Vertriebenen in zweiter Generation und steuerten auch ihre eigenen Erfahrungen bei. Diese sind teilweise deckungsgleich mit denen, die Gesterkamp in seinem Buch beschreibt.

„Es ist eine faszinierende Lektüre“, sagte Zuhörer Rudolf Schloz, der das Buch schon gelesen hatte. Besonders haben ihn die präzisen Detailkenntnisse und die erkennbaren Parallelen zur eigenen Familiengeschichte beeindruckt. „Das Buch“, schloss er, „müsste für jeden Schlesier Pflichtlektüre sein.“ Mit Applaus stimmten die anderen Zuhörer zu.

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