Veteranen treffen sich in den Ardennen Königswinterer versöhnt sich mit Kriegsgegner

Heisterbacherrott · Jürgen Tegethoff kämpfte vor 74 Jahren während des Zweiten Weltkriegs in der Ardennenoffensive als Panzerkommandant gegen die Amerikaner. Kurz vor Weihnachten traf der 94-Jährige die damaligen Kriegsgegner im belgischen Bastogne wieder.

 In seinem Album mit Kriegserinnerungen blättert Jürgen Tegethoff (l.) mit seinem amerikanischen Freund Andrew Denison.

In seinem Album mit Kriegserinnerungen blättert Jürgen Tegethoff (l.) mit seinem amerikanischen Freund Andrew Denison.

Foto: Frank Homann

74 Jahre nach der Ardennenschlacht reichte der Königswinterer Jürgen Tegethoff seinen Feinden von damals bei einem Treffen in Belgien die Hand. Der frühere Panzerkommandant, der in Königswinter aufwuchs und seit seiner Pensionierung vor 30 Jahren in Heisterbacherrott wohnt, ist heute 94 Jahre alt. Doch für Versöhnung ist es nie zu spät.

Mit seinem amerikanischen Freund, dem Politikwissenschaftler Andrew Denison, der in Pleiserhohn wohnt, besuchte er kurz vor Weihnachten drei Tage lang das Nuts Festival in Bastogne. Dort traf er auf amerikanische Veteranen und die belgische Bevölkerung, die ihn freundlich begrüßten. „Nuts!“ heißt soviel wie „Ihr habt sie wohl nicht mehr alle“.

Das rief der US-General Anthony McAuliffe, als die Deutschen ihn angesichts der Belagerung von Bastogne zur Kapitulation aufforderten. Zu der Veranstaltung, bei der Panzer durch die Straßen der belgischen Stadt fahren und viele Menschen sich in Uniformen kleiden, kommen jedes Jahr Tausende.

Ein Fotoalbum dokumentiert die Ereignisse

Beim Besuch in seiner Wohnung ist Jürgen Tegethoff dauernd in Bewegung. Auch wenn ihm das Aufstehen schwer fällt, lässt er es sich nicht nehmen, ein Album mit Fotos, die er selbst in der Ardennenschlacht gemacht hat, aus der Schublade zu holen.

Oder er hängt ein Gemälde von der Wand ab, auf dem ein Belgier einen deutschen Panzer und mehrere deutsche Grenadiere gemalt und ihm anschließend geschenkt hat.

„Der Soldat im Turm des Panzers, das soll ich sein“, sagt er schmunzelnd. Auch die Modelle der damaligen deutschen Panzer in seiner Wohnung zeigt er. Er selbst befehligte den „Tiger“, den mit einen Gewicht von 70 Tonnen größten deutschen Panzer, den die Alliierten „Königstiger“ nannten.

„Ich war überrascht, wie freundlich wir von den Belgiern empfangen wurden. Die Leute haben durch uns schließlich ihr Hab und Gut verloren. Die Stadt war doch zerstört“, berichtet er.

"Warum haben wir uns damals eigentlich beschossen?"

Auch der freundschaftliche Kontakt mit den amerikanischen Veteranen habe ihn ins Grübeln gebracht. „Warum haben wir uns damals eigentlich gegenseitig beschossen? Das hat mich sehr bewegt und nachdenklich gemacht“, sagt er bedächtig.

Die vierköpfige Reisegruppe, zu der auch sein Sohn und Denisons Ehefrau Ursula gehörten, hatte sich im Schloss einquartiert, in dem sich heute ein Hotel befindet. In Kriegszeiten war dort das Hauptquartier der Luftlandedivision der Amerikaner.

Vom Schlossherrn und seiner Familie wurde die Delegation aus Deutschland zu einem opulenten Diner eingeladen. „So viel an Offenheit und Herzlichkeit habe ich selten erlebt“, so Tegethoff.

Er habe sich vorher gefragt, wer sich denn noch für die alten Geschichten interessiere. „Aber die ganze Stadt lebt von diesem Ereignis. Die Belgier laufen dort auch in deutschen Uniformen herum.“ Vergessen ist die Feindschaft von damals.

Warmherziger Empfang für den Königswinterer

„Mit welchem Interesse und welcher Wärme Jürgen als deutscher Veteran empfangen wurde, war schon erstaunlich“, sagt Denison. „Es war ein Zeichen, wie man Feindschaft überwinden kann.“ Ohne Andrew Denison hätte Tegethoff die Reise niemals gemacht. Die beiden Männer lernten sich bei einem Vortrag des Amerikaners zum Kriegsende im Siebengebirge vor drei Jahren im Haus Schlesien kennen.

Seitdem ist eine „schöne Freundschaft“, wie Tegethoff es nennt, zwischen ihnen entstanden. Beide trafen sich auch gerne mit dem kurz vor Weihnachten verstorbenen Günter Wind aus Thomasberg, der selbst im Krieg Generalstabsoffizier einer Panzergrenadierdivision war.

Denison kennt die Begegnung mit amerikanischen Veteranen durch mehrere Reisen in die Normandie – unter anderem zu den 70-Jahr-Feierlichkeiten des D-Day im Juni 2014, als er seinen Nachbarn Paul Golz begleitete.

Golz hatte als 19-jähriger Soldat die Landung der alliierten Truppen 1944 miterlebt. „Für mich ist faszinierend, dass Menschen, die damals Feinde waren, heute Freunde sind“, sagt Denison. Gerade solche Treffen würden das dokumentieren.

Bereits am Ankunftstag in Bastogne begegneten sie in einem der beiden Kriegsmuseen des Ortes drei amerikanischen Veteranen. Für die Fotografen reichten sich die vier Feinde von einst vor rund 100 Besuchern die Hände zur Versöhnung. Am Samstag trafen sie dann erneut auf die früheren US-Soldaten, die Tegethoff nun schon freundschaftlich begrüßten.

Tegethoff hält einen Vortrag im Museum

Am Sonntag hielt der Deutsche im anderen Museum vor mehr als 200 Besuchern einen Vortrag über seine eigene Rolle und die seiner damaligen Einheit sowie die Schlacht selbst. Seine Fotos wurden an die Wand projiziert. „Jürgen sprach auf Deutsch, ich übersetzte auf Englisch und der Museumsleiter übersetzte auf Französisch. Echt europäisch!“, sagt Denison.

Während des 90-minütigen Vortrages sei es mucksmäuschenstill gewesen. Anschließend musste Tegethoff sein Foto und Bücher wohl 350 Mal signieren, so groß war das Interesse. Danach sei sein Foto auch noch mit militärischen Ehren, zusammen mit denen von 75 amerikanischen Veteranen und einem Deutschen, an der Wand aufgehängt worden.

Tegethoff erzählte unter anderem, dass sein „Tiger“ am 13. Januar 1945 von der Artillerie achtmal getroffen wurde und Feuer fing, er und seine vier Kameraden der Panzerbesatzung sich aber retten konnten. Damit ging es ihnen besser als vielen anderen Soldaten. Auch aus seinem allerengsten Kreis.

Mit 17 eingezogen zur Wehrmacht

„Von 20 meiner Mitabiturienten am Siebengebirgsgymnasium in Bad Honnef sind nur acht aus dem Krieg zurückgekehrt“, sagt Tegethoff. Er selbst war im September 1941 mit gerade 17 Jahren direkt nach dem Notabitur zur Wehrmacht eingezogen worden. Nach der Offiziersausbildung wurde er im Dezember 1942 Leutnant. In Russland, wo er mit seinem Panzerregiment zuerst eingesetzt war, wurde er schwer verwundet und lag fast ein Jahr lang im Lazarett. Danach ging es in die Ardennen.

Einmal ist er nach dem Krieg auf das ehemalige Schlachtfeld zurückgekehrt. „Das muss etwa zehn Jahre nach Kriegsende gewesen sein. Doch da war für mich alles unbekannt. Ich hatte im Krieg nichts gesehen, weil wir uns wegen der Jagdbomber immer nur nachts bewegt haben“, sagt er. Umso wichtiger war für ihn der Besuch jetzt – 74 Jahre nach der Schlacht.

Ein wenig Platz für Menschlichkeit war aber sogar während der Kämpfe in den Ardennen. An Silvester stand sein Panzer in der Werkstatt und ein Kamerad stellte Tegethoff einen Fahrbefehl aus, um bei den Lemmerzwerken in Königswinter ein paar Schrauben zu holen.

Beide verbrachten die Nacht zu Neujahr in der Heimatstadt von Jürgen Tegethoff mit dessen Freundin und einem anderen Mädchen. „Wir haben uns eine lustige Nacht gemacht“, sagt der 94-Jährige – und muss heute noch schmunzeln.

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