Hoher Bedarf in der Flüchtlingshilfe Integrationslotsen in Königswinter ziehen Bilanz

Königswinter · Der Bedarf an Ehrenamtlichen in der Flüchtlingshilfe ist trotz rückgängiger Zuwanderungszahlen nach wie vor hoch. Drei Helfer berichten über ihre Erfahrungen.

Hunderte Flüchtlinge sind 2015 nach Königswinter gekommen, im Dezember vor knapp zwei Jahren lebten insgesamt rund 600 in städtischer Obhut. In den ersten acht Monaten dieses Jahres ist nur etwa ein Zehntel dieser Zahl neu in die Stadt gekommen. Von einem Flüchtlingsstrom ist heute keine Rede mehr, doch der Bedarf in der Hilfe für die Menschen steigt. Das betont Nisa Punnamparambil-Wolf von der Freiwilligenagentur für Königswinter und Umgebung, Forum Ehrenamt.

„Jetzt sind wird im Alltag angekommen“, sagt sie. Auch wenn es weniger Neuankömmlinge gibt, steigt die Zahl der Flüchtlinge und derer, die entweder eine Anerkennung oder eine Ablehnung erhalten. „Es ist ein Rattenschwanz“, beschreibt die Koordinatorin der Flüchtlingshilfe die Situation. Das bedeutet für das Forum: Der Bedarf an Integrationslotsen, die die Flüchtlinge ehrenamtlich unterstützen, ist nicht kleiner geworden. Zu den Ehrenamtlichen gehören auch Gay Koenemann und Thomas Schnöring.

Beide sind fast seit Beginn und somit seit knapp zwei Jahren dabei. „Es waren stürmische Zeiten“, erinnert sich der Königswinterer, der 2015 in Rente ging und bei der Suche nach einer sinnvollen Tätigkeit auf das Angebot des Forums stieß. Zusammen mit Koenemann besuchte er den Ausbildungsgang der Einrichtung, in dem sie über Monate zu Themen wie Asylrecht, aber auch in Gesprächsführung geschult wurden.

Wie „dynamisch“ alles war, wurde ihnen in den ersten Wochen deutlich. „Die Formulare änderten sich wöchentlich“, blickt Punnamparambil-Wolf zurück. „Wir wussten nicht, ob die Infos aus dieser Woche noch in der nächsten gelten.“ Doch mit der Zeit habe es sich beruhigt, sagt Schnöring. Die Strukturen haben sich gefestigt, die Zuständigkeiten sind geklärt. „Man weiß nun, wen man ansprechen muss“, zieht die Koordinatorin Bilanz. „Es hat sich gefunden. Es ist gut so.“

Die Lotsen begleiten die Flüchtlinge zu den Behörden, in Schulen, Kitas und zu Ärzten, helfen bei Bewerbungen, im Schriftverkehr, bei der Wohnungssuche, bieten Sprechstunden an, informieren über Angebote in der Region und motivieren zur Selbsthilfe – und das über mehrere Jahre. „Es ist eben alles anders hier“, sagt Schnöring – auch mit Blick auf das Sozial- und Gesundheitssystem. Der frühere Manager bei der Telekom findet die bürokratischen Formulierungen „politisch verständlich“, da es ja juristische und amtliche Formulare seien. „Es hat gute Gründe, dass es so kompliziert ist.“

Verständigung mit Händen, Füßen oder Bildern

Aber: Sie selbst würden ja schon nicht alles verstehen, wie soll es da erst den Menschen gehen, die kein oder nur wenig Deutsch sprechen. Improvisation sei daher manchmal angesagt, erzählt Koenemann, die gleichfalls aus Königswinter kommt. Hilfe kommt da auch von den Sprachpaten des Forums. Bei Menschen, die gar kein Deutsch oder Englisch sprechen, versuche sie, sich mit Händen und Füßen oder auch mit Bildern zu verständigen. „Manchmal muss es so sein“, findet die Lotsin, die als selbstständige Englischlehrerin tätig ist.

Die Lotsen begleiten die Flüchtlinge häufig ab ihrer Ankunft in Königswinter – und auch noch weiter, wenn das Asylverfahren vorbei ist, egal ob es ablehnend oder zustimmend war. Wenn die Flüchtlinge einen einjährigen oder dreijährigen Aufenthalt zugesprochen bekommen haben, ist das Sozialamt nicht mehr für sie zuständig. Damit müssen sie auch die Unterkünfte verlassen, erklären die Ehrenamtlichen.

Für die Lotsen heißt das: „Dann geht die Arbeit erst richtig los.“ Und es wird auch komplizierter, finden sie mit Blick auf die Besuche beim Jobcenter, der Suche nach einer Wohnung oder der Familienzusammenführung. Das Projekt „Ehrenamtliche Integrationslotsen“ sucht daher weiter nach Ehrenamtlichen, die Zuwanderer bei der Integration unterstützen. Im Herbst 2015, als Soforthilfen notwendig waren, gab es auch in Königswinter großes Engagement.

Aber: „Es fehlen Leute, die langfristig helfen“, sagt Punnamparambil-Wolf. Wie viel Zeit man investiert, sei jedem selbst überlassen. „Es ist phasenabhängig“, so Schnöring. Mal seien sie ein bis zwei Wochen nicht im Einsatz, dann sei es „fast ein Fulltime-Job“, berichtet Koenemann aus ihrer Erfahrung. Für Schnöring war wichtig zu wissen, dass er zwar eine Verpflichtung als Lotse habe, aber nicht angebunden sei. Auch beim Forum wurde in den vergangenen Monaten personell im Vergleich zu 2015 aufgestockt.

Einladung zu einem syrischen Abendessen

Worauf es bei der Zusammenarbeit zwischen Lotse und Flüchtling ankommt: „Es basiert viel auf Vertrauen“, sagt Punnamparambil-Wolf. „Nur so kann es funktionieren“. Doch wenn es funktioniert, ist die Freude umso größer, findet auch Gay Koenemann und erzählt von einem ihrer schönsten Erlebnisse: Als eine syrische Familie, die sie begleitete, die Anerkennung erhielt, wurde sie dort zum Abendessen mit landestypischen Gerichten eingeladen.

Eine andere Geschichte: Ein junger Flüchtling, der bereits in Dubai als Optiker gearbeitet hat, konnte bei einem Betrieb hier in der Region erst ein Praktikum machen, dann auch die Ausbildung beginnen. „Solche Geschichten gibt es eben auch“, erzählt er. „Es gibt keine Patentlösung, nicht den einen biografischen Werdegang“, sagt die Koordinatorin.

Für die Ehrenamtlichen ist es dabei auch wichtig, ihre eigene Rolle zu klären. Wie bedeutend das ist, wird deutlich, als sie von Fällen berichten, wo eigentlich kaum eine Chance auf eine Bleibeperspektive bestand. „Man ergreift schon Partei für die Menschen“, gibt Schnöring zu. „Man leidet mit, es ist emotional schwierig“, ergänzt Koenemann. Wie damit umgehen? „Gut, dass ich das nicht entscheiden muss“, dachte sich Schnöring in einem Fall. Eine „Distanzierungsmöglichkeit“ sei dieser Gedanke für ihn.

„Die politische und moralische Gesinnung wird auf die Probe gestellt“, sagt auch die Koordinatorin. Und Koenemann fügt hinzu: „Ich begleite diesen Weg. Ob er erfolgreich ist, kann ich nicht sagen.“ Allen Nebenaspekten zum Trotz, „es macht schon Spaß“, fasst der Lotse zusammen. „Ich habe ganz tolle Leute kennengelernt“, findet seine Kollegin. „Ihre Fortschritte zu sehen, ist so eine Freude“, ergänzt sie. Flüchtlinge, die bereits integriert sind, bieten nun auch ihre Hilfe an, so Punnamparambil-Wolf. „Sprache ist dabei das A und O.“

Doch was beim Gespräch vor allem deutlich wird: Auch wenn weniger neue Zuwanderer in die Region kommen, ist der Weg noch lange nicht vorbei. „Ich hoffe auf mehr Menschen, die helfen“, sagt Punnamparambil-Wolf. Denn: Der Bedarf für nachhaltiges Handeln bleibt hoch.

Weitere Infos zur Flüchtlingshilfe bei Nisa Punnamparambil-Wolf, Rufnummer 02223/923639. Internet: www.integration-koenigswinter.de

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