Marlies Blumenthal Hinter den Kulissen der Nibelungenhalle in Königswinter

Königswinter · Die Besitzerin der Nibelungenhalle in Königswinter liebt Wagner, hat ein Faible fürs Drama und lebt unter jenem Kuppelbau, durch den sie tagsüber Touristen führt. Am liebsten möchte die 75-Jährige hier auch bestattet werden.

Herrmann Hendrichs' Siegfried hat schon bessere Tage gesehen. Beziehungsweise der Drache, den er erschlagen will. Das Gemälde des Kunstmalers ist der Höhepunkt der Nibelungenhalle, doch der Betrachter kann die Szene nur erahnen. Die Farben sind verwittert, das Bild ist verdreckt, die oberen zwei Drittel nahezu unkenntlich.

Wie gut, dass es Marlies Blumenthal gibt. Die Besitzerin des Kuppelbaus kennt die Nibelungenhalle von Kindheit an, ist hier aufgewachsen, niemals weggezogen – und nun erklärt sie Besuchern, was sie früher auf dem Bild hätten sehen können. Zum Beispiel in den 60ern, als die Schäden in dem denkmalgeschützten Jugendstilbau noch nicht so groß waren und das Dach noch dicht hielt. „Damals hatten wir hier mehr Besucher als die Kirchen von Königswinter“, erinnert sich die rüstige Dame, die am Mittwoch ihren 75. Geburtstag feiert.

Der Jugendstilbau zieht bis heute die Massen an

Der Bau zog die Massen an, und noch immer wollen sich rund 50.000 Besucher pro Jahr in die Welt des deutschesten aller deutschen Epen entführen lassen. Denn genau das ist Sinn und Zweck des 1913 zu Richard Wagners 100. Geburtstag fertiggestellten Gemäuers. Ab dem 18. Jahrhundert begannen die Deutschen, sich überall im Land mit prunkvollen Bauten und Statuen ihrer germanischen Wurzeln, identitätsstiftender Mythen und Legenden zu erinnern.

Und die von Wagner bombastisch vertonte Heldensage des blonden Jünglings Siegfried verdiente ebenfalls einen Erinnerungsort – fand zumindest Kunstmaler Herrmann Hendrichs, der die Geschichte auf Leinwand bannte und den Kuppelbau am Fuße des Drachenfels als Ausstellungsort ersann. Aber dann nagte der Zahn der Zeit zu sehr an dem privatwirtschaftlich geführten Gebäude, und die Löcher im Dach wurden immer größer.

„Bei jedem Regenwetter habe ich bis zu 15 Eimer im Inneren aufgestellt“, erinnert sich Blumenthal. Der eindringende Schmutz setzte den Gemälden über die Jahre enorm zu, man könnte sagen: Der Lack war ab. Doch Blumenthal kämpfte und schaffte es mit der Hilfe von Bund, Land, Denkmalschutzbehörde, einer privaten Stiftung und eigenen Mitteln, wenigstens das Gebäude zu renovieren. Für die Restaurierung der Gemälde aber reichte es nicht. „Das kommt vielleicht noch, wir arbeiten dran.“ Doch ohne fremde Hilfe werden sie und ihre Tochter Anja es nicht schaffen.

Manchmal hört sie in der Rotunde Wagners Oper

Um die Bilder wäre es schade. Blumenthal genießt die Momente, in denen sie auf einem der versteinerten Schemel im Innern der Rotunde im Dämmerlicht sitzt, Wagners Oper laut abspielt und in Gedanken bei Hagen ist, bei Siegfried, Fafner und wie sie alle heißen. Auch wenn es um sie herum gewaltig scheppert und rummst – der Komponist mochte Drama und Bombast –, sind es die leisen Passagen, die ihr am besten gefallen.

Beispielsweise, wenn der Titelheld Siegfried im zweiten Aufzug die Stille im Wald vor der Drachenhöhle genießt, Klarinetten einsetzen und der Kuppelbau von Vogelgezwitscher erfüllt ist – dann ist Wagner-Fan Blumenthal ganz bei sich.

Nicht einmal Dalmatinerhündin Makiko macht sich bemerkbar, das 14 Jahre alte Tier ist solche Phasen gewöhnt und sucht sich unweit der im Boden eingelassenen Midgard-Schlange einen kühlen Schlafplatz. Ein kontemplativer Moment, von denen es nicht viele im Leben der Hausherrin gibt. Jeden Morgen klettert sie aus ihrer Souterrainwohnung über eine Wendeltreppe und durch eine Falltür nach oben in die Rotunde und schließt die schweren Pforten der Nibelungenhalle auf.

Zuvor hat sie schon ihre weiteren Haustiere, die Bewohner des angrenzenden Reptilienzoos, gefüttert und mit Makiko einen kleinen Spaziergang gemacht. Anschließend sitzt sie in der Schalterkabine vor dem Eingang. Ist der letzte Tourist am Abend verschwunden, verriegelt sie den Eingang und klettert wieder hinab in ihr persönliches Nibelheim, wie die Unterwelt in der Geschichte genannt wird.

Auch in ihrer Wohnung dominiert der Drache

Zwar würde sie ihre Wohnung nicht so bezeichnen, aber die Parallelen drängen sich auf – denn im für Besucher nicht zugänglichen Untergeschoss geht es mit der Faszination für Wagner, Hendrichs und die Nibelungen weiter. Neben einem Gemälde des Vaters, das dieser in der Kriegsgefangenschaft in Brest-Litowsk angefertigt hat, kommt kaum ein Regal ohne Drachenfiguren in unterschiedlichsten Formen aus. Hier in der Unterwelt lebt der Mythos weiter, und die Hingabe an die Geschichte hat bei Marlies Blumenthal deutliche Spuren hinterlassen.

So würde sich die getaufte Christin lieber nach ihrem Ableben in Walhalla wiederfinden. Oder Wotan auf einer Nebenwolke zuwinken, „den Gedanken fände ich irgendwie sympathischer“. Doch auch, wenn es so klingen mag – mit ihrem Ableben beschäftigt sie sich noch nicht. Dafür hat sie noch zu viel zu tun, allein in ihrem prächtigen Garten, den sie weitestgehend ohne fremde Hilfe angelegt hat. Eine Aufgabe, die Marlies Blumenthal viel Vergnügen bereitet. „Ich hätte auch Gärtnerin werden können“, sagt sie.

Doch die Geschichte um Siegfried und der Unterhalt der Nibelungenhalle ließen keinen Raum für weitere Tätigkeiten. „Das hier alles“, sagt sie und blickt verträumt auf den Kuppelbau, während sie ein paar Meter von der Halle entfernt neben einem Teich unter einer blühenden und duftenden Glyzinie sitzt, „das ist mein Leben.“ Und wenn dieses einmal endet, der Vorhang des Lebens fällt? „Dann soll meine Tochter meine Asche hier an der Nibelungenhalle verstreuen, am besten in meinem Garten.“ Typisch Wagner: Auch der letzte Akt kommt nicht ohne Drama aus.

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