Institution im Siebengebirge Heidi Lichtenberg führt Weinhaus in Oberdollendorf

Oberdollendorf · "Beim Lichtenberg" ist eine Institution in Oberdollendorf und über die Stadtgrenzen hinaus: In vierter Generation führt Heidi Lichtenberg das Weinhaus an der Heisterbacher Straße. Von ihrer Küchenbank aus hält die 72-Jährige alles im Blick - und erklärt, warum bei ihr freitags Ruhetag ist.

 Die Postkarte aus dem Jahr 1907 zeigt das heutige Weinhaus Lichtenberg in Oberdollendorf, das damals unter dem Titel „Gasthaus zur Krone“ bekannt war.

Die Postkarte aus dem Jahr 1907 zeigt das heutige Weinhaus Lichtenberg in Oberdollendorf, das damals unter dem Titel „Gasthaus zur Krone“ bekannt war.

Foto: Virtuelles Brückenhofmuseum

Am Abend vorher ist es wieder spät geworden. So gegen 23 Uhr, nachdem der letzte Gast die schwere Holztüre hinter sich zugezogen hatte, hat Heidi Lichtenberg den Osterschmuck hervorgeholt und ihr Weinhaus dekoriert. „Ist ganz hübsch geworden“, sagt sie, rückt mit prüfendem Blick hier noch das weiße Porzellanlämmchen auf der Fensterbank parat, zupft da noch die gelben Stoffblumen auf den Tischen in Form. So viel Zeit muss sein. „Unordnung kann ich nicht leiden“, sagt die 72-Jährige. Man glaubt ihr aufs Wort.

In vierter Generation leitet Heidi Lichtenberg das gleichnamige Weinhaus an der Heisterbacher Straße in Oberdollendorf. Die Hauschronik geht zurück bis ins Jahr 1673. Im 19. Jahrhundert diente der Fachwerkbau zunächst als Poststelle, bis im Jahr 1879 ein gewisser Wilhelm Rösen dort ein Weinhaus eröffnete. Seine Kinder Peter und Anne setzten die Tradition fort und übergaben schließlich kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Schankwirtschaft und Pension an ihren Neffen Paul Lichtenberg – Heidi Lichtenbergs Vater. „Er hatte eine unglaubliche Ausstrahlung“, sagt sie. „Wenn er aus der Küche in die Gaststube kam – das hatte was.“

Überhaupt, die Küche. Sie ist das Herz des Weinhauses, und die Chefin führt in ihr unangefochten das Regiment. Gleich links neben der Tür sitzt sie allabendlich hinter dem Küchentisch auf der Bank, links die Küche, rechts den überdachten Innenhof und vorne die Gaststube im Blick. Vor ihr liegt das dicke Buch, in das sie mit dem Bleistift die Reservierungen einträgt. „Hallo Liebchen“, grüßt sie zumeist, wenn die Tür aufgeht und Getränkelieferant, Küchenhilfe oder Büfettier vor ihr stehen. „Wir kennen uns alle hier seit vielen Jahren“, sagt sie. „Jeder hat hier seinen Platz, jeder weiß, was zu tun ist. Wir sind wie eine Familie.“

Mit 14 Jahren kam der Start ins Berufsleben

Seit ihrem 14. Lebensjahr ist Heidi Lichtenberg jeden Tag im Weinhaus. Zu Beginn nicht ganz freiwillig, wie sie zugibt. „Mein Vater wollte das so“, sagt sie. Eine Angestellte war plötzlich ausgefallen, sie musste einspringen. Statt zur Schule ging es in den elterlichen Betrieb. „Ich habe wie jedes Lehrmädchen alle Stationen durchlaufen“, berichtet sie. „Habe die Böden geschrubbt, die Wäsche gewaschen, das Geschirr gespült und die Fenster geputzt.“ Und zwar sämtliche 42.

Seit damals sei sie auch für die Küche zuständig gewesen. „Mein Vater wollte nicht, dass ich hinter der Theke arbeite.“ Das hat sie bis heute so beibehalten. Jeden Morgen, gegen 11 Uhr, setzen sich alle, die im Haus zu tun haben, mit ihr an den Küchentisch, um zu frühstücken. „Warme Brötchen, Wurst, Quark, Rübenkraut, Marmelade und Kaffee, handgebrüht“, zählt sie auf. Dann wird das Essen für den Abend vorbereitet.

Heidi Lichtenbergs Vorgaben sind streng: Der Salat ist handverlesen („Bei mir gibt's nichts aus der Tüte“), die Kartoffeln werden mittags frisch geschält („Und pfannenweise gebraten“), Gersten- und Schnippelbohneneintopf lange gegart. Mittlerweile kommen die Gäste nicht mehr nur aus dem Siebengebirge und Bonn, sondern auch aus Köln, Dortmund und Bochum, um sich die Restaurations- und fast schon legendären Roastbeefschnittchen servieren zu lassen.

Unter die zahlreichen Stammkunden mischen sich vermehrt auch die Jüngeren, wozu Sohn Ralph – die nächste Generation – seinen Teil beiträgt. Langweilig ist es Heidi Lichtenberg nie geworden. „Zwei Wochen im Jahr habe ich über Weihnachten geschlossen“, sagt sie. „Aber nach drei Tagen werde ich kribbelig.“ Urlaub sei jedenfalls nichts für sie. „Warum sollte ich um die Welt reisen?“, fragt sie. „Hier habe ich doch alles vor der Nase. Ich sage immer: Das hier ist meine goldene Insel.“

Sofas stehen wieder im Gastraum

Steht sie nicht am Herd und sitzt sie nicht am Küchentisch, wuselt Heidi Lichtenberg durch das verwinkelte Haus, klopft hier ein Stuhlkissen auf, schiebt in „Rosie's Stübchen“ eine Spitzengardine zurecht. Den kleinen Raum haben ihre Eltern Paul und Adele Lichtenberg vor rund 25 Jahren ihrer „witzigsten und schnellsten Kellnerin“ gewidmet, erzählt die Weinhaus-Wirtin.

Mobiliar und Atmosphäre nennen die einen plüschig, andere urig, fast alle aber gemütlich und wie aus der Zeit gefallen. „Ich liebe Tapeten“, sagt Lichtenberg, grinst und zeigt auf das üppige Blumenmuster an der Wand. Und Sofas: Nach dem Tod ihres Vaters Anfang der 1990er Jahre hätten sie und ihre Mutter dessen Entscheidung rückgängig gemacht und auch wieder Sofas im Gastraum aufgestellt.

Eine andere Entscheidung allerdings behält Heidi Lichtenberg bis heute eisern bei: „Früher, als freitags noch Zahltag war, hauten die Männer hier ihren Lohn auf den Kopf. Samstags standen ihre Frauen weinend vor der Tür. Irgendwann ist meinem Vater dann der Kragen geplatzt.“ Seitdem ist freitags „beim Lichtenberg“ Ruhetag.

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