Das Siebengebirge als Touristenziel Auf der Suche nach der Rheinromantik

Siebengebirge · Welchen Eindruck bekommen Besucher, wenn sie zum ersten Mal im Siebengebirge ankommen? Der Reisejournalist Sven Schneider wollte dies wissen, suchte das Touristenziel Siebengebirge – und fand Kontraste.

Der Rhöndorfer Bahnhof zu Füßen des Drachenfels.

Der Rhöndorfer Bahnhof zu Füßen des Drachenfels.

Foto: Sven Schneider

Kaum hat der RE 8 den denkmalgeschützten Bahnhof von Königswinter verlassen, kommt Bewegung ins Abteil. Ein Biker mit rotem Trikot und Fahrradhelm fragt seinen Kompagnon, das Trikot grün, kein Helm, ob sie nicht bei der nächsten Station aussteigen sollten. Die Trekkingräder stehen längs vor dem Abteilfenster. „Hier?“, fragt der ohne Helm, „warum denn hier? Hier ist doch der Hund begraben.“ Sein Kumpel mit dem roten Dress blickt dem schmucken Bahnhof hinterher. „Naja, sieht ganz nett aus“, meint er und zuckt mit den Achseln. „Nett“, antwortet der Andere spöttisch, „nett ist langweilig.“ Und während sein Sportsfreund einen Einwand vorbringen will, bügelt ihn sein Freund ab. „Nee, komm, wir fahren besser nach Koblenz, wie besprochen. Da gibt es wenigstens was zu sehen.“

Wenige Minuten später hält der Zug an meinem Ziel, in Rhöndorf – und ich bin geneigt, dem Fan des Deutschen Ecks Recht zu geben. Ein Bahnhof, auf dessen einziger Plattform das Gras büschelweise und knöchelhoch zwischen den Steinplatten sprießt, verheißt wenig Menschen, kaum Leben, Einöde – ein Irgendwo im Nirgendwo. Und doch: Kaum ist der RE mit Ziel Koblenz davongerattert, der erste Blick auf den Drachenfels geworfen, stellt sich ein angenehmes und wohliges Gefühl ein. Ein Gefühl, das sagt: Ruh dich aus.

Nur eine Gehminute vom Bahnhof entfernt kommt auch schon die erste Gelegenheit in Sicht. Eine Holzbank direkt am Rheinufer, die breite Krone eines knorrigen Baums spendet Schatten. Ein paar Jogger und Radfahrer – mehrere Radrouten verbinden die Städte am Wasser mit dem Hinterland – nutzen den Promenadenweg, sonst niemand. Ein paar Frachtschiffe ziehen vorüber, im Norden quert die Fähre von Königswinter auf die gegenüberliegende Seite nach Bad Godesberg über Deutschlands längsten Fluss. Die untergehende Sonne schickt ein paar letzte Strahlen über das Wasser und verschwindet hinter linksrheinischen Häusern und Höhen. Das ist sie wohl, die Rheinromantik.

Irgendwann hat das Auge genug geschwelgt. Ein kleiner Spaziergang in Richtung Königswinter bietet sich an, direkt am Rhein. Und nach etwa einer Viertelstunde, je nachdem, wie viele Pausen man einlegt, winkt die Erlösung: Im Weinlokal „Altes Fährhaus“, einem schmucken Gebäude mit der laut Eigenwerbung „wahrscheinlich schönsten Terrasse am Rhein“, sind noch einige Plätze frei. Ein Blick auf die Speisekarte offenbart regionale Spezialitäten, aber auch „Pfälzer Saumagen“ ist erhältlich. Bei den Weinen herrscht eher Lokalkolorit, aber warum auch nicht? Tropfen vom Mittelrhein, dem benachbarten Drachenfels oder aus Rheinhessen erschweren die Order, und es braucht den Rat der Servicekraft, um den passenden Wein für die gewählte Speise zu finden.

Die Empfehlung der Kellnerin aber ist Gold wert: Ein säuremilder Grauburgunder verleiht dem „Scheiterhaufen“, einer Platte mit holländischem Käse, Zwiebeln und Paprika, erst noch den letzten Pfiff. Die lauten Lobesbekundungen des kulinarischen Arrangements führen dazu, dass man schnell mit den Tischnachbarn ins Gespräch kommt.

„Aus dem Ruhrgebiet kommen Sie?“, fragt der männliche Teil des Pärchens, und setzt zu einer langen Erklärung an, wie sehr die Menschen aus der Region zwischen Niederrhein und Westfalen einst den Tourismus im Siebengebirge prägten. „In den 50ern kamen die in Scharen“, sagt er. Die geringe Entfernung, Ausflugsfahrten auf dem Rhein, Wanderrouten und lokaler günstiger und süffiger Wein wie „Drachenblut“ seien gute Argumente für Ferien in der Region gewesen. „Aber dann wurden es weniger“, weiß er, „da fuhren alle nach Italien, der Tourismus hier kam ins Stocken.“

Mittlerweile allerdings erholt er sich wieder, wie ein Blick auf die offiziellen Zahlen zeigt. Vor allem die Mittelzentren wie Königswinter (134 537 Gäste in 2015) oder Bad Honnef (91 459) stehen gut da und verzeichnen Zuwächse (Königswinter: 6,5 Prozent, Bad Honnef: 2,4 Prozent). Immer mehr Asiaten, Afrikaner, Australier oder Araber wählen die Städte für einen Aufenthalt aus, aber mehr als zwei Tage bleibt kaum jemand. Wobei die reinen Zahlen eher trügerisch sind: Ein Gutteil dürfte auf Teilnehmer von internationalen Tagungen und Konferenzen in Bonn oder Köln entfallen, die sich während ihrer Termine im Siebengebirge einquartieren und eher keine Zeit für ein touristisches Programm haben. Aber würde ihnen denn etwas entgehen? Die Biker im Zug waren gegenteiliger Meinung.

„Aber sicher“, sagt die Frau des Pärchens, nachdem sie ihr Glas Riesling abgesetzt hat. Natürlich sei zuallererst der Drachenfels zu nennen, „der meist erklommene Berg Europas“. Wie bitte? Ein 321 Meter in die Höhe ragender Winzling soll noch vor den kilometerhohen Gardegipfeln der Alpen liegen? „Aber natürlich“, meint die Mittfünfzigerin mit Nachdruck in der Stimme. Allein die Zahnradbahn, „die älteste noch genutzte in Deutschland“, habe seit der ersten Fahrt vor mehr als 130 Jahren mehr als 35 Millionen Passagiere mit 15 Stundenkilometern Durchschnittsgeschwindigkeit auf das Gipfelplateau befördert.

Zuvor plagten sich unzählige Ausflügler den mittlerweile kommod ausgebauten Eselsweg hinauf oder wählten – wenn auch damals unwissend – den hier mäandernden Rheinsteig, einen der besten Fernwanderwege Europas, um zwischen den Buchen große Panoramen auf das Siebengebirge zu erhaschen. Oder sie stehen an der Betonbrüstung der Aussichtsplattform unterhalb der Burgruine und verlieren sich in der deutschesten aller deutschen Legenden, dem Mythos der Nibelungen.

Auch die Dame aus dem Fährhaus kennt sie, natürlich. „Dort oben hat Siegfried den Drachen erschlagen“, sagt sie mit einer Gewissheit, der kein Historiker widersprechen wollte. Mag ja sein, dass das Siebengebirge auf den ersten Blick weniger als andere Regionen zu bieten hat. Auf den zweiten aber ist es ruhig, lecker und sagenhaft.

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