Ursula Brune-Lauf aus Oberdollendorf Über das Leben mit einer behinderten Tochter

OBERDOLLENDORF · Manchmal denkt Ursula Brune-Lauf darüber nach, wie es wohl wäre, wenn ihre Tochter Johanna ohne Komplikationen geboren worden wäre. "Ich würde so gerne wissen, was sie wohl für ein Mensch wäre. Ob Johanna wohl gerne lesen würde oder reiten. Ob sie ihrer Schwester ähnlich wäre?"

 Johanna muss rund um die Uhr versorgt werden.

Johanna muss rund um die Uhr versorgt werden.

Foto: Frank Homann

Fragen, die ihr ihr Kind wohl nie beantworten wird, denn Johanna ist seit ihrer Geburt vor 14 Jahren schwerst mehrfachbehindert. Johanna wurde mit der Saugglocke auf die Welt geholt, dabei traten beidseitige schwere Hirnblutungen auf - eine seltene, aber mögliche Komplikation. Johanna kann weder frei sitzen noch sprechen, nicht selbst essen und nicht laufen, sie ist inkontinent und darf niemals eigenständig trinken.

"Die Gefahr ist zu groß, dass die Flüssigkeit in die Lungen gerät", erläutert Brune-Lauf und schließt einen Beutel Tee an die Ernährungspumpe an. Sie versorgt Johanna über eine Sonde mit Flüssigkeit. Trotz ihrer Behinderungen nimmt die 14-Jährige alles wahr, was um sie herum passiert. "Sie versteht alles, kann sich nur nicht äußern", sagt ihre Mutter.

Auch sonst ist Johanna ein Teenager wie viele andere: Sie liebt Musik von den Toten Hosen, trägt am liebsten das schwarze Fan-T-Shirt mit den grinsenden Totenköpfen und sie hasst es, wie ein kleines Kind behandelt zu werden. "Schule findet Johanna megatoll", berichtet Brune-Lauf.

Aus gesundheitlichen Gründen musste die Schulpflicht jetzt zwei Jahre lang ruhen - Johanna hatte wochenlang im Krankenhaus gelegen. Wieder einmal. Nun spricht eigentlich nichts mehr dagegen, dass sie wieder am Unterricht an der Frida-Kahlo-Schule in Sankt Augustin teilnimmt, auf den sie sich so freut. Wäre da nicht das Problem mit dem Transport.

Johanna benötigt eine medizinisch ausgebildete Fachkraft, die sie während der Fahrt und auch in der Schule betreut, da es immer wieder zu einem lebensbedrohlichen Krampfanfall kommen kann. Hierfür gibt es auch eine entsprechende ärztliche Verordnung - nur finden die Eltern keine adäquate Fachkraft, die entsprechend ausgebildet ist.

"Seit Monaten kämpfen wir darum, jemanden zu finden." Auch wenn sich für das eine Problem eine Lösung abzeichnet, steht gleich das nächste ins Haus. Da die Familie nicht über einen behindertengerechten Kleinbus verfügt, muss für Johanna ein geeigneter Transfer zur Schule organisiert werden. Entsprechende Schulbusse gibt es wenige und die Plätze sind stark nachgefragt.

Telefonieren und das Schreiben von E-Mails gehören für Mutter Ursula zum Alltagsgeschäft. "Vom Landschaftsverband wird man ans Sozialamt verwiesen, vom Sozialamt an Gesundheitsamt, von dem wieder an die Krankenkasse und dann das Ganze wieder rückwärts", berichtet die ehemalige Justizbeamtin von ihren Erfahrungen. "Es sind nicht Johannas Behinderungen, die uns den Alltag schwer machen, sondern die Behinderungen von außen."

Die vierköpfige Familie lebt in einer Wohnung im Hochparterre eines Mehrfamilienhauses. Einen Aufzug gibt es nicht. Im Februar bekommt Johanna ein weiteres Geschwisterchen, danach ziehen die Laufs in eine größere Wohnung einen Häuserblock weiter. "Ich hoffe, dass wir dann an den Balkon eine Rampe anbauen können."

Damit Johanna in ihrem Spezialrollstuhl einfacher nach draußen geschoben werden kann. "Immer nur zu Hause sitzen, das ist doch wie ein Gefängnis ohne Gitter." Johanna muss rund um die Uhr versorgt werden, Arzt- und Therapeutenbesuche bestimmen den Alltag der Familie. Ursula Brune-Lauf hat sich daran gewöhnt, mit drei bis vier Stunden Schlaf pro Nacht auszukommen.

Johanna wickeln, lagern, Sekret aus den Bronchien absaugen - sie ist mittlerweile selbst eine perfekte Pflegekraft. Freizeit gibt es da nicht. Auch Johannas Schwester, die zehnjährige Marie, ist es gewohnt zurückzustecken. Im vergangenen Jahr haben sich Ursula Brune-Lauf und Marie eine Mutter-Tochter-Zeit auf Mallorca gegönnt - ein paar gemeinsame Tage zum Entspannen und Kraftholen für den Alltag. Das hat beiden gut getan.

Johanna in ein Pflegeheim zu geben, kam für ihre Mutter nie in Frage. Glück ist für sie, morgens am Bett ihrer Tochter zu stehen und ihr ins Gesicht zu blicken. "Dann weiß ich, wofür ich lebe." Johanna spricht mit ihren Augen, und Ursula Brune-Lauf kann im Gesicht ihrer Tochter lesen wie in einem Buch.

Gedanken über die Zukunft macht sie sich nicht, kann sie auch nicht: "Mit Johanna kann man nichts planen. Ihr kann es morgens gut gehen, und mittags muss man den Krankenwagen rufen." Ein eigener Kleinbus mit einer Rampe, der vieles erleichtern und den Aktionsradius für Johanna deutlich vergrößern könnte, das würde sich die Familie wünschen, wenn sie könnte. "Leider ist das für uns unbezahlbar."

Viele Stiftungen und Institutionen hat Ursula Brune-Lauf deswegen bereits angeschrieben und um Unterstützung gebeten. Und irgendwann, so hofft sie, wird dieser Wunsch vielleicht in Erfüllung gehen.

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