Kriminalbiologe Mark Benecke zu Gast in Königswinter „Bei allen Fällen sehe ich in den Abgrund“

KÖNIGSWINTER · Kriminalbiologe Mark Benecke ist einer der renommiertesten Spurenkundler Deutschlands. Manche sagen auch: der Welt. Sympathisch, charismatisch und humorvoll ist er noch dazu. Exklusiv vor den Teilnehmern der diesjährigen Juniorakademie in Königswinter referiert der „Rockstar“ unter den Forensikern gut eine Stunde lang über seine Arbeit.

 Anwalt der Toten: Der „Rockstar“ unter den Forensikern, Mark Benecke, zeigt seine Tatortkarten.

Anwalt der Toten: Der „Rockstar“ unter den Forensikern, Mark Benecke, zeigt seine Tatortkarten.

Foto: Frank Homann

Ganz in Schwarz gekleidet, mit Silberschmuck behängt und die Haut mit etlichen Tätowierungen verziert – oha. Doch der erste Eindruck, als Dr. Mark Benecke die Bühne der CJD-Aula betritt, täuscht – genauso wie bei etlichen Fällen, die der Kriminalbiologe, genauer, der deutschlandweit einzige öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für die Sicherung, Untersuchung und Auswertung kriminaltechnischer Spuren, bereits untersucht hat.

Denn der „Herr der Maden“ – ein Spitzname, den Benecke seine Expertise auf dem Gebiet der forensischen Entomologie eingebracht hat – ist einer der renommiertesten Spurenkundler Deutschlands. Manche sagen auch: der Welt. Sympathisch, charismatisch und humorvoll ist er noch dazu. Exklusiv vor den Teilnehmern der diesjährigen Juniorakademie in Königswinter referiert der „Rockstar“ unter den Forensikern gut eine Stunde lang über seine Arbeit. Vier Erkenntnisse eines ebenso lehrreichen wie unterhaltsamen Vortrags.

Erstens: Ein gewisses Maß an Exzentrizität ist als Forensiker von Vorteil. Auf Beneckes Desktop, vom Beamer an die Leinwand projiziert, prangt in dicken Lettern der Slogan „Facta non verba“, zu Deutsch: „Taten, nicht Worte“. Denn: „Worte sind mir egal“, stellt Benecke klar. „Wichtig ist nur, was die Spuren aussagen.“ Ob Kultur, Politik, Moralvorstellungen und „common sense“ – nichts könne ihm bei der Spurensicherung ferner sein. „Wenn mir jemand sagt: 'Mark, deine Idee ist doch lebensfern', dann sage ich: 'Mir doch egal'.“ Demonstration gefällig? Benecke holt zwei Cent-Münzen hervor und lässt sie wie ein Magier von seiner Handfläche herabbaumeln. Der simple Trick dahinter: Magneten. „Du hast dir Magneten in die Hand implantieren lassen?“, fragt eine Teilnehmerin perplex. „Warum?“ „Na, aus Spaß, weil ich's kann“, erwidert Benecke. „Nein, das ist weder vernünftig noch in irgendeiner Form lebensnah, aber Menschen tun halt Dinge, die keinen Sinn ergeben.“ Soll heißen: Der gesunde Menschenverstand kann täuschen. Daher sollte sich der Forensiker lieber nicht nur darauf verlassen, sondern muss querdenken können.

Zweitens: Sich eine gewisse kindliche Neugier zu bewahren, ist immer eine gute Idee. Das Publikum wählt den genetischen Fingerabdruck als Vortragsthema, Benecke zeigt zur Veranschaulichung ein Tatortfoto. Zu sehen ist ein blutverschmierter Fußboden, mittendrin eine große Blutlache – hier wurde das Opfer mit abgetrenntem Kopf gefunden. „Was würdet ihr untersuchen?“, fragt der Profi. Was denn mit den Schmierspuren sei, fragen die Zuschauer, oder ob man den Austrittswinkel des spritzenden Blutes berechnen müsse. „Nicht schlecht, aber ihr müsst querdenken“, fordert Benecke: „Stellt euch vor, ihr wärt fünf Jahre alt. Was würdet ihr euch am ehesten fragen?“

Und sofort kommt die Frage, die der Experte erhofft hat: „Ist das überhaupt Blut? Und wenn ja, von wem stammt es eigentlich?“ Toll, lobt Benecke, genau das sei quergedacht – und die absolut richtige Denkweise. Denn neben der großen Blutlache des Opfers fanden sich damals auch vereinzelte Blutstropfen eines Mannes, der das Opfer nachweislich nicht ausstehen konnte – und zudem zu Protokoll gegeben hatte, niemals zuvor am Tatort gewesen zu sein. Ein guter Ausgangspunkt zur Aufklärung der Tat.

Drittens – und besonders wichtig: Der Forensiker muss Ekel und psychische Belastung überwinden können. Selten gehe es so vergleichsweise harmlos zu wie bei der Untersuchung eines Autounfalls, den Benecke beispielhaft schildert. „Ich persönlich habe gar keine Schmerzgrenze“, erzählt er dann auf Nachfrage und fügt an: „Ekel ist nur eine Fantasie, kulturell bedingt, aber wenn man sachlich bleibt, geht das weg. Man muss Emotionen aus dem Beruf heraushalten.“ Das sei für viele allerdings leichter gesagt als getan, räumt der Profi ein. Einer Studentin, die ihn einmal im Rahmen ihres Studiums zum Tatort begleitet habe, sei beim Anblick der Leiche das Gesicht grün angelaufen. „So etwas habe ich bislang nur das eine Mal erlebt.“

Grundsätzlich seien es aber eher die menschlichen Dramen hinter den Verbrechen, die je nach Persönlichkeit schwer zu verdauen seien, so Benecke. Mit den biologischen Tatsachen jedoch finde sich jeder Forensiker früher oder später ab, „sonst hat man den falschen Beruf gewählt“.

Viertens: Ein verklärter Blick auf die Welt scheint nach etlichen untersuchten Fällen kaum vermeidbar. „Glaubt nie jemandem, sie seien eure Eltern, bis ihr den Elternschaftstest gesehen habt“, rät der Experte. „Klar, das mag auf zwischenmenschlicher Ebene unangemessen sein, aber vernünftig wäre es trotzdem.“ Denn, dieses Motto wiederholt Benecke häufiger: Worte seien nach wie vor keine Tatsachen. Und noch eines habe er gelernt: „Ihr denkt vielleicht, es ist ein krasser Schritt vom normalen Bürger bis zum Täter“, berichtet er. „Aber nein, die Welt ist alles in allem genauso sehr gut wie sie böse ist. Es gibt keine gigantische Trennlinie zwischen Tätern und Nichttätern. Bei allen Fällen sehe ich in den Abgrund, schlimm ist es immer.“ Dann – es ist still im Publikum – platzt auf einmal ein Kichern aus ihm heraus, und er fügt als Schlusswort hinzu: „Vielleicht macht den Job deswegen auch keiner.“

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