Zeit-Tauschbörsen im Siebengebirge Zeit tauschen und Gutes tun

Siebengebirge · Zeit ist kostbar. Tauschbörsen im Siebengebirge "handeln" mit diesem Gut und vermitteln gegenseitige Hilfe über die Nachbarschaft hinaus. Im Rahmen der GA-Serie "Zeit schenken" widmen auch GA-Mitarbeiter ihre Zeit sozialen Einrichtungen.

Jedes Jahr aufs Neue nehmen wir uns spätestens in der Vorweihnachtszeit fest vor, mehr Zeit mit der Familie, dem Partner oder den engsten Freunden zu verbringen. Sich mehr Zeit für Hobbys oder sich selbst freizuschaufeln. Zeit, um gemütlich über den Weihnachtsmarkt zu bummeln oder durch den Wald zu spazieren. Die Geschenke mal nicht auf die letzte Minute kurz vor Ladenschluss am 23. Dezember zu kaufen. Aber halten wir uns daran? Mittlerweile erinnern sogar die Werbespots von Supermarktketten an eines unserer kostbarsten Güter: Zeit. „Zeit schenken“ lautet das Credo eines Videos. Pünktlich zu Heiligabend und dem Jahreswechsel zieht das Gewissen Bilanz: Wie viel Zeit haben wir anderen gewidmet?

Sie nennen es zwar nicht Zeit verschenken, sondern Zeit tauschen: Die Zeit-Tauschbörse Bad Honnef vermittelt gegenseitige Hilfe über die Nachbarschaft hinaus – wenn man Unterstützung benötigt, die nicht gleich Geld kosten soll. Wie zum Beispiel einen Kuchen backen, wenn eine größere Familienfeier ansteht und der eigene Backofen überlastet ist. Oder, wenn durch einen Krankheitsfall der Rasen nicht gemäht werden kann. Gezahlt wird dafür nicht mit Geldbeträgen, sondern mit Zeit.

Angefangen hat alles vor anderthalb Jahren mit dem Verein „Hauptsache Familie – Bündnis für Bad Honnef“. Im Rahmen eines Generationenprojekts kam die Idee einer Tauschbörse für kleine Tätigkeiten auf. „Das wäre eine tolle Sache“, dachten sich Elke und Rüdiger Mißner. „Meine Frau und ich haben uns direkt angesprochen gefühlt“, erzählt er. Zu der Zeit war das Ehepaar gerade in den Ruhestand gegangen. Während Rüdiger Mißner als Hotelkaufmann in Bad Honnef arbeitete, war seine Frau selbstständig tätig. Seitdem organisiert das Ehepaar gemeinsam mit Brigitte Hantelmann das Tauschprojekt.

Ein simples Tauschsystem

Das Prinzip ist einfach: Bei der Anmeldung gibt man seine persönlichen Fähigkeiten an. Zum Start erhält jeder Teilnehmer ein Konto mit fünf Pluspunkten. Für eine halbe Stunde geleistete Arbeit wird ein Pluspunkt verbucht.Dem Empfänger wird dementsprechend dieselbe Punktzahl von seinem Guthaben abgezogen. Anfallende Materialkosten tragen die Antragssteller. Getauscht wird also nur der reine Zeitaufwand. Das System soll auf diese Weise gewährleisten, dass sich Geben und Nehmen die Waage halten. Dennoch bestehe kein Zwang bezüglich des Kontostandes, so Mißner.

Wenn ein Mitglied Unterstützung benötigt, sei es für den Tausch einer Glühbirne oder für die Einrichtung eines neuen Computers, stellt er eine Anfrage. Das Organisationsteam ermittelt daraufhin anhand der Mitgliederdatei einen passenden Helfer und erfragt die Verfügbarkeit. Die genauen Details stimmen die beiden Personen jedoch untereinander ab. Die Tauschbörse ist für Bedarfsfälle ausgelegt. „Es soll weder zu einer Dauerlösung werden, noch in Konkurrenz zu Handwerksbetrieben treten“, sagt der 67-Jährige. Wichtig ist: Es sollte eben kein Geld fließen. Eine Tasse Kaffee oder ein Stück Kuchen als Stärkung während der Arbeit sind natürlich erlaubt.

Das Modell der Zeit-Tauschbörsen ist kein neues Konzept. Mittlerweile gibt es in Deutschland überall sogenannte Tauschringe oder Tauschkreise. Auch in Königswinter besteht bereits seit mehreren Jahren das Projekt „Geben & Nehmen“. Der Verein stand dem Organisationsteam am Anfang mit Tipps zur Seite. Sogar das EDV-System zur Erfassung und Verwaltung der Mitglieder konnten die Honnefer von ihren Nachbarn übernehmen. „Das war ganz toll“, sagt Mißner rückblickend. Mittlerweile ist die Mitgliederzahl in Bad Honnef auf rund 65 Männer und Frauen aus jeder Altersklasse angestiegen. Unter ihnen sind viele Einzelpersonen, aber auch Familien. Ebenso hat sich das Angebot vervielfältigt: Ein Spezialist für Baumführungen bietet sein Wissen an. Fündig wird auch derjenige, der etwa Beratung beim Weinkauf benötigt. Nur bei der Betreuung von Kindern stellt der Verein eine klare Regel auf: Verpflichtend dafür ist ein polizeiliches Führungszeugnis.

Hemmschwelle bei Hilfe annehmen

Ein kurioses Phänomen beobachtet das Organisationsteam jedoch: Oftmals bestehe nämlich ein Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage – allerdings ein positives. Mehr Menschen böten ihre Unterstützung an als letztendlich entgegengenommen werde. Den genauen Grund für die Zögerlichkeit kann Mißner nicht ausmachen. „Man muss sich trauen zu sagen: Ich brauche Hilfe“, so der ehemalige Hotelmanager.

In einem Fall sei ein Mitglied, das sich gerade ein Bein gebrochen hatte, zunächst gar nicht auf die Idee gekommen, die Gruppe anzurufen. Dabei sei die Tauschbörse genau für solche Fälle konzipiert. Durch regelmäßige Treffen der Gemeinschaft sei die Hemmschwelle, Hilfe in Anspruch zu nehmen, allerdings gesunken und aus den gegenseitigen Diensten seien Freundschaften entstanden. „Das ist ein schöner Nebeneffekt“, findet Mißner. Im vergangenen Jahr engagierten sich die Mitglieder zudem in der Flüchtlingsarbeit – ohne jegliches Punktesystem.

Für die Zukunft wünscht sich das Orga-Team noch weitere Mitglieder in Aegidienberg und Umgebung, um alle Bereiche Bad Honnefs mit potenziellen Helfern abzudecken. „Etwas Gutes, anderen einen Gefallen zu tun, ist ja auch eine gute Sache“, so Mißner. Oder um es in den Worten des Schriftstellers Michael Ende, dem Autoren von „Momo“, auszudrücken: „Alle Zeit, die nicht mit dem Herzen wahrgenommen wird, ist verlorene Zeit.“

Interessierte können sich an Elke und Rüdiger Mißner wenden unter 0 22 24-98 09 12 oder per E-Mail an zeittausch@familie-bad-honnef. Für Einzelpersonen kostet der Jahresbeitrag zwölf Euro, für Familien 20 Euro.

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