Natur im Siebengebirge Wildschweine im Anmarsch

BAD HONNEF · "Wenn das so weiter geht, kriegen wir Berliner Verhältnisse", sagt Norbert Kramer. Gemünzt ist die Bemerkung nicht auf den Verkehrskollaps oder andere Begleiterscheinungen einer Großstadt. Der 57-Jährige beobachtet vielmehr, dass Schwarzwild, wie in Berlin oder Hamburg, immer häufiger in Wohngebiete ausweicht.

 Niedlich anzusehen, dennoch ein Wildtier: Wildschweine anzufüttern, ist falsch verstandene Tierliebe.

Niedlich anzusehen, dennoch ein Wildtier: Wildschweine anzufüttern, ist falsch verstandene Tierliebe.

Foto: dpa

Was für den Menschen in aller Regel keine Gefahr darstelle, da die Wildschweine Begegnungen scheuten, sorgt bei Experten wie Jagdpächter Kramer dennoch vermehrt für Anrufe und auch eigene Verärgerung. Dabei ist eine Ursache beim Menschen selbst zu suchen: Mit frei zugänglichen Komposthaufen oder verschmähtem Fallobst im Garten ist der Tisch für die Borstenviecher perfekt gedeckt. Zugleich stellt die Bejagung im besucherreichen Naherholungsgebiet die Jäger vor Probleme, sagt auch Hegeringsleiter Rolf Werning. In befriedeten Zonen - genau dort, wo sich die Tiere nun vermehrt tummeln - ist die Jagd ohnehin ganz untersagt.

  • Wildschweinpopulation: Die Wildschweinpopulation ist seit Jahren hoch durch ein üppiges Nahrungsangebot - obwohl der Bestand, nicht zuletzt als Reaktion auf die Schweinepest, sehr genau kontrolliert und eingedämmt worden sei und werde, so Werning und Kramer. Laut Unterer Jagdbehörde sind in den vergangenen drei Jahren im Kreis im Jahresschnitt 2000 Wildschweine geschossen worden. Ursächlich für das Angebot an Eicheln, Kastanien und Bucheckern sei der Klimawandel: Längere Trockenperioden etwa versetzten die Bäume in "Stress"; in der Folge trügen sie viele Früchte, um die Art zu erhalten. Prima für die Wildschweine: Sie finden viel Futter, die "Fertilität" steige. Es gebe mehr Nachwuchs, und das "ganzjährig", sagt Kramer, mit mehr als einer Generation. Das sei auch in Gegenden mit intensivem Maisanbau etwa für Biogasanlagen zu beobachten.
  • Einflussfaktor Mensch: Das sei nur eine Seite der Medaille, so die Experten. Beispiel Siebengebirge: "Hunderte, manchmal Tausende Besucher sorgen tagsüber für hohen Druck auf die Wildtiere", sagt Werning. Folge: Die Wildschweine suchten sich nicht nur ruhigere Plätzchen, sondern verlegten ihre Aktivität auch weitgehend in die Nacht. Im Stockfinsteren seien sie aber naturgemäß schwerer zu bejagen als in der Dämmerung. Ein weiterer Aspekt, so Kramer: "Es kommt immer wieder vor, dass in der Dämmerung frei laufende Hunde am Hochsitz auftauchen."
  • Von wegen "dumme Sau": Dort, wo eben noch ein Hund gestöbert habe, tauche so schnell kein Wildschwein auf. Was etwa im Mucherwiesental zu beobachten sei: Dort gebe es Lockfütterung für die Jagd in der Dämmerung. Die verfehle aber ihre Wirkung, wenn zeitgleich Hunde unterwegs seien. Pech für die Jäger, die näher am Ort aus nachvollziehbaren Sicherheitsaspekten zur Untätigkeit verdammt sind, Glück für die Schweine. Kramer verdeutlicht: "Eine Kugel fliegt bis zu sieben Kilometer weit.
  • Wir schießen generell nur in gewachsenen Boden, das heißt, nicht etwa, wenn ein Schwein auf einer Kuppe steht oder vor Felsgrund." Dennoch: Kramer äußert sehr großes Verständnis für Hundehalter. "Bad Honnef ist die hundeunfreundlichste Stadt im ganzen Kreis. Wer einen Hund halten will, kann eigentlich nur wegziehen", sagt er, eine geeignete Freilaufzone fehle. 1200 Hunde seien gemeldet. Politik und Verwaltung seien gefordert. Seine Appelle an Bürgermeisterin Wally Feiden seien bislang ohne Erfolg geblieben.
  • Verdrängung: Die Wildschweine wichen also aus, auch in Gebiete, in denen Bejagung verboten ist. Wenn dann ein Komposthaufen, in dem Speisereste "nichts zu suchen haben", oder Fallobst bereit lägen, "dann heißt das für die Wildschweine: Herzlich willkommen zum Abendessen", so Werning. Hinzu komme "oft auch falsch verstandene Tierliebe": Immer wieder würden Wildschweine und andere Wildtiere sogar angefüttert.
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