Volkswanderung durchs Siebengebirge MS-Kranke wandert bei "7 auf einen Streich" mit

Siebengebirge · Die 27-jährige gebürtige Bad Honneferin plant trotz ihrer MS-Erkrankung die Teilnahme an der Volkswanderung durchs Siebengebirge, begleitet von Freunden und Familienmitgliedern. Ein bisschen sieht Mona Wiedner sich dabei als Botschafterin: Sie will zeigen, was mit MS möglich ist.

 Mona Wiedner hat sich vorgenommen, trotz ihrer Erkrankung am 14. Mai bei "7 auf einen Streich" mitzuwandern.

Mona Wiedner hat sich vorgenommen, trotz ihrer Erkrankung am 14. Mai bei "7 auf einen Streich" mitzuwandern.

Foto: Sven Scheinder

Vielleicht werden Mona Wiedners braungrüne Augen am Ende wieder zittern. Oder „tanzen“, wie sie es nennt. Bei Erschöpfung kommt das öfter vor, sie kennt das schon. Der Körper der 27-jährigen gebürtigen Bad Honneferin streikt seit einigen Jahren und lässt sie bei Belastung regelmäßig im Stich. Mona leidet an Multipler Sklerose, auch bekannt als MS – und das Flirren der Pupillen ist eines der Symptome.

In ein paar Wochen wird es wohl wieder auftauchen. Die Pädagogik-Studentin – der Bachelor steht in wenigen Monaten an – hat sich nicht nur zu einer Prüfung, sondern gleich zu sieben auf einen Streich entschieden. Sie will die gleichnamige Traditionsveranstaltung durch das Siebengebirge mitmachen: eine 28 Kilometer lange Volkswanderung über Stock und Stein, die selbst trainierten Teilnehmern einiges abverlangt.

Doch Mona ist nicht geübt und vor allem: nicht gesund. Aufgrund der MS greift ihr Immunsystem den eigenen Körper an, was zu Beeinträchtigungen und Behinderungen führt und sie mitunter an einem normalen Alltag hindert. Schnell werden Hügel zu Gebirgen – ein Umstand, der viele MS-Kranke dazu verleitet, nach der Diagnose die Flinte ins Korn zu werfen und sich zurückzuziehen.

"Aufgeben ist keine Option"

Die gelernte Industriekauffrau, die die Diagnose im Januar 2014 erhielt, will kämpfen. Will nicht, dass die Krankheit ihr Leben bestimmt. Will nicht, dass sie durch die MS mehr als notwendig behindert wird. Will sich nicht eingraben oder gar verstecken. „Aufgeben ist keine Option“, sagt sie und blickt entschlossen von der Insel Grafenwerth auf den an diesem Tag im Frühjahrsdunst versinkenden Drachenfels.

Zumal sie nicht davon ausgeht, bald im Rollstuhl zu landen, wie es Berichte oft suggerieren. Beiträge, die selten ohne einen besonders schweren Fall von MS auskommen und kräftig auf die Tränendrüsen drücken. Die dazu führen, dass MS-Kranken oft mit Trauer oder Mitleid begegnet wird, sobald sie von ihrer Diagnose erzählen. „Einige sehen einen dann an, als wäre man eigentlich schon tot“, sagt sie mit einer Mischung aus Wut und Bedauern.

Das ist oft so, wenn viele wenig wissen – und gerade über die MS wissen wenige viel. Welche Auslöser die Erkrankung hat, wer sie wann bekommt und welchen Verlauf sie nehmen wird, all diese Punkte sind weitestgehend unbekannt. Ärzte und Wissenschaftler stochern im Nebel. Eine Heilung gibt es nicht, sehr wohl aber Medikamente, welche die Auswirkungen im Zaum halten. Dennoch: Nahezu jeder Schub lässt die Betroffenen mit mal mehr, mal weniger schweren Behinderungen zurück. Die Auswirkungen sind bei jedem anders, jedes Körpersystem kann leicht, mittel oder schwer gestört werden.

Mona Wiedner stemmt sich gegen die Krankheit

In Monas Fall hat die Sehkraft gelitten, das rechte Auge funktioniert nur noch zu 80 Prozent. Sie hat Empfindungsstörungen auf der Haut, an das Kribbeln unter den Fußsohlen hat sie sich mittlerweile gewöhnt, und auch die Gehfähigkeit hat nachgelassen. „Nach etwa zwei Stunden Belastung fange ich an, herumzueiern, dann kann ich auch das Bein nicht mehr richtig heben.“ Kleinste Unebenheiten werden zu Stolperfallen. Warum sie sich angesichts dieser Einschränkungen dazu entschlossen hat, die 28 Kilometer lange Wanderung anzugehen? „Ich möchte ein Stück weit eine Botschafterin sein“, sagt Mona. Sie will zeigen, dass die Krankheit „nicht zwingend in den Rollstuhl führt und die Diagnose kein Todesurteil ist“.

Eine Einsicht, zu der sie nicht von allein gelangt ist. Vor allem ihr Lebensgefährte Christopher Stendebach habe ihr sinnbildlich einen gehörigen Tritt in den Hintern verpasst. Natürlich habe es Momente gegeben, in denen sie resignierte. Aber der ehemalige Bundeswehrsoldat will, dass Mona an sich arbeitet und gegen die Krankheit kämpft. „Sonst wird es ja nicht besser.“ Er überredete sie, in einem lokalen Sportverein zu trainieren. Step-Aerobic, zweimal wöchentlich. Auch ihre Familie bestärkte sie. Mehr noch: Mona wird Mitte Mai nicht alleine die Strecke laufen.

Auch die Facebook-Gruppe macht ihr Mut

Neben Christopher werden ihr Vater und weitere Freunde mitwandern – und auch einige Mitglieder der Facebook-Gruppe „F.U.MS“ stellen sich den Strapazen. In diesem geschlossenen Forum für MS-Kranke, unterstützt von der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG), tauschen sich Mona und andere Betroffene auf oft humorige, nicht selten diskursive, aber immer lebensfrohe Weise aus. „Ich muss jedes Mal grinsen, wenn ich da vorbeischaue“, sagt sie, und kleine Lachfältchen umkränzen ihre wachen Augen. „Das ist keine Jammergruppe, eher lustig und locker.“ Nahezu alle der mehr als 700 Mitglieder waren von ihrem Vorhaben begeistert und ermutigten sie, sich dieser Aufgabe zu stellen. Den Kampf gegen die Krankheit aufzunehmen, Ärger über die MS in Hoffnung umzumünzen. „Das Feedback war echt der Wahnsinn. Das motiviert und pusht mich noch viel mehr.“

Es setzt sie allerdings auch ein wenig unter Druck, wie sie sagt. Mit Bammel blickt sie von Grafenwerth auf die gegenüberliegende Festwiese. Dort, eingekeilt zwischen Cocktailbar und ehemaliger Großraumdisco, werden sich am 14. Mai wie jedes Jahr rund 1000 Teilnehmer versammeln, um loszuwandern und vielleicht am Ende eine Medaille für ihre Leistung zu bekommen. Wird sie das schaffen? „Eher nicht“, weiß sie ihre Kräfte einzuschätzen, „aber die Hälfte ist vielleicht machbar.“ Medaillen gibt es nur, wenn man die komplette Tour zurücklegt.

Sie reibt sich das rechte Handgelenk, fühlt über den in Kalligraphie eintätowierten, kleinen englischen Schriftzug „Stay Strong“. Stark sein, das kann sie. Und wenn sie nur zehn Kilometer schafft, ist es für die 27-Jährige schon ein enormer Erfolg. Egal, wie es am Ende ausgeht: „Ich werde stolz auf mich sein, dass ich es gewagt habe.“ Und ihre Augen werden vielleicht wieder tanzen. Nur dieses Mal sicher auch vor Freude.

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