Bad Honnef Lotte Szazdi feiert ihren 100. Geburtstag

BAD HONNEF · Die Honneferin Lotte Szazdi erlebte die Entbehrungen und Schicksalsschläge beider Weltkriege. Am Sonntag feiert sie den 100. Geburtstag im Kreis von Freunden und Familie.

 Drei Generationen: Lotte Szazdi (Mitte) mit Tochter Gudrun Reiff (rechts) und Enkelin Tatjana.

Drei Generationen: Lotte Szazdi (Mitte) mit Tochter Gudrun Reiff (rechts) und Enkelin Tatjana.

Foto: oschmann

Es war bitterkalt, und es herrschte Hunger. Weder Kohlen noch Kartoffeln gab es im Steckrübenwinter 1917, als die Menschen zu Hause fast so litten wie die Soldaten im Feld, weil die Wohnungen kalt blieben und die Mägen leer. Am 8. Januar wurde die kleine Lotte Thiel in Kassel in diesen Kriegswinter hineingeboren. In der norwegischen Hauptstadt fand an jenem Tag eine Friedenskonferenz statt, doch das Sterben dauerte an. Und auch den Zweiten Weltkrieg sollte Lotte erleben, die am Samstag 100 Jahre alt wird.

„Ich habe viel Freude und viel Kummer gehabt“, zieht Lotte Szazdi Bilanz. Seit zwei Jahren wohnt sie im Evangelischen Seniorenstift Diacor in der Nähe ihrer Tochter. Bis zu ihrem 98. Lebensjahr lebte sie noch in Kassel. An ihrem Ehrentag gibt es gleich zwei Geburtstagstorten – eine Käsetorte und eine Konditorkreation mit der „100“. Neben Landrat und Bürgermeister haben sich Freunde und Familie angesagt, eine der beiden Enkelinnen kommt aus Schweden. Ob Lotte immer so gern und gut gebacken und gekocht hat, weil die Entbehrungen in der Kindheit groß waren? Jedenfalls schwärmt die Familie von den Küchenkünsten der Jubilarin.

Ihr Vater, ein Sattler, war zur Zeit ihrer Geburt Soldat. Die Mutter musste sich ohne ihn um das kleine Mädchen und das ältere Geschwisterchen kümmern. Vollmilch gab es nur auf Zuteilung. Lotte Szazdi erinnert sich an seltene Köstlichkeiten wie ein Zucker-Brot und den Klecks vom Mühlhausener Pflaumenmus, das ein Hausierer verkaufte. Inflation und Arbeitslosigkeit bestimmten nach dem Krieg den Alltag. Sieben Kinder hatte die Familie; außer Lotte lebt noch die jüngste Schwester Karola (85). Mit 16 Jahren begann Lotte eine Ausbildung beim Jugendherbergsverband. Mit ihrem Mann Karl Weber übernahm sie 1939 die Jugendherberge in Marburg.

Tochter Gudrun stellte sich ein, aber noch ehe im November 1944 Töchterchen Ute dazukam, war das Familienglück dahin: Ihr Mann fiel im Osten. Lotte führte das Haus allein und kochte zudem heimlich für russische Kriegsgefangene im benachbarten Lager. Als die Amerikaner kamen, musste die junge Frau die Jugendherberge verlassen. Mit ihren Eltern, die bei ihr Zuflucht gesucht hatten, zog sie nach Kassel zurück. Tochter Ute wäre wegen Unterernährung fast erblindet. Lotte erkrankte an Tuberkulose und verbrachte Monate in einer Lungenheilstätte. Danach arbeitete sie als Hauswirtschafterin. Noch ein historisches Ereignis wirkte sich auf ihr Leben aus: Nach dem Ungarn-Aufstand 1956 floh Alexander Szazdi nach Deutschland – 1963 heiratete er Lotte. 1986 starb auch der zweite Mann, Sohn Matthias erkrankte schwer.

Lotte Szazdi reiste gern. Sie besuchte die Familie ihrer Tochter Gudrun Reiff, die in Polen und Ungarn im Dienst des Auswärtigen Amtes stationiert war. Mit 90 flog sie nach Schweden. „Etwas Gutes zu tun, hat sie immer glücklich gemacht“, sagt Gudrun Reiff.

Und toll findet Lotte Szazdi es, wenn „der Chef“, Heimleiter Detlef Greiner, sie in den Arm nimmt und mit ihr singt. Zum 100. Geburtstag ist bestimmt ein Extra-Ständchen drin.

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