Fall Anna Gericht will Verfahren gegen Jugendamtsmitarbeiterin einstellen

BONN/KÖNIGSWINTER · Eines steht nach sieben Verhandlungstagen für die 1. Große Bonner Strafkammer fest im Prozess gegen die Königswinterer Jugendamtsmitarbeiterin, die zuständig war für die im Juli 2010 von ihrer Pflegemutter ertränkten neunjährigen Anna: Die 46-jährige Angeklagte hat möglicherweise ihre Pflichten verletzt. Doch das wiegt nicht so schwer.

Denn das Gericht befand auch: Wenn Annas Betreuerin der fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen schuldig sein sollte, wiegt ihre Schuld nicht so schwer. Und so regte das Gericht an, das Verfahren gegen Geldbuße einzustellen.

Denn, so befand Kammervorsitzender Hinrich de Vries: "Hier gibt es einige, die ihren Job nicht gut gemacht haben." Und niemand, kein Betreuer, kein Therapeut habe mal den Gedanken gehabt, den ein Kriminalist in einem solchen Fall habe: Hier könnte Kindesmisshandlung vorliegen.

Das hatten zuvor sowohl die Therapeutin des Kindes als auch ein von der Angeklagten damals zusätzlich zur Unterstützung angeforderter Kollege von der Diakonie deutlich klar gestellt: Niemals wären sie auf die Idee gekommen, dass Anna in der Bad Honnefer Pflegefamilie misshandelt werden könnte.

Das Kind selber habe nichts gesagt, und die Pflegemutter, die inzwischen wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, ständig versichert: Anna verletze sich immer wieder selbst, wenn sie aus Angst vor Wasser in der Badewanne Panikattacken bekomme und um sich schlage.

Von der Therapeutin war das Annas frühkindlicher Traumatisierung zugeschrieben worden. Im Zeugenstand erklärt die Therapeutin nun: "Ich mache mir Vorwürfe, dass ich nicht die Reißleine gezogen habe." Sie habe sich von der Pflegemutter instrumentalisieren lassen.

Der damals hinzugezogene Sozialpädagoge versichert, er habe niemals den Gedanken gehabt, dass Anna in dieser Familie gefährdet sei. Das Kind sei ihm gegenüber immer sehr reserviert gewesen und habe sich ganz eng an die Pflegemutter gehalten. "Ich hatte den Eindruck, Anna suchte bei ihr Sicherheit", sagt er. Er nennt es "erschreckend, wie loyal Anna gegenüber der Pflegemutter war". Der Richter hält ihm vor: Es sei bekannt, dass misshandelte Kinder zum Misshandler hielten.

Die zentrale Frage aber sei: Gab es für die Angeklagte Anhaltspunkte dafür, bei Anna an Misshandlungen zu denken? Und der Richter stellt fest: Wenn sie die gehabt hat, "steht ihr Fehlverhalten in keinem Verhältnis zu der Schuld, die die Pflegeeltern auf sich geladen haben".

Der Verteidiger reagiert auf den Vorschlag, das Verfahren gegen Buße einzustellen, ablehnend: Es sei im Sinne seiner Mandantin, dass alles aufgeklärt werde, vor allem die strukturellen Probleme im Jugendamt. Die Prozessbeteiligten haben nun eine Woche, über den Vorschlag nachzudenken.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort