Etliche Hinweise auf Arbeitsüberlastung in den Jugendämtern

Rhein-Sieg-Kreis · 2009 wurden im Rhein-Sieg-Kreis doppelt so viele Kinder in städtische Obhut genommen wie 2003.

Sie hießen Kevin, Lara-Mia und jetzt auch Anna. Sie erlangten durch ihren Tod traurige Berühmtheit. Bei näherer Betrachtung kommen immer wieder überforderte Familien, überlastete Jugendämter, vor allem aber tragische Kinderschicksale ans Licht.

Dass keiner dagegen gefeit ist, dass es wieder geschieht, zeigt ein Blick auf die Situation in den Jugendämtern.

Zum Beispiel in Sankt Augustin. Dort sahen nach GA-Informationen Mitarbeiter des Jugendamtes keinen anderen Ausweg, als mit so genannten Überlastungsanzeigen auf ihre Lage aufmerksam zu machen. "Ich kann bestätigen, dass Überlastungsanzeigen eingegangen sind", sagte Augustins Stadtsprecher Wolfgang Strauch am Montag dem GA.

Schutzmaßnahmen Im Vergleich zu 2003 hat sich die Zahl der sogenannten Inobhutnahmen im Rhein-Sieg-Kreis verdoppelt: Nahmen 2003 die Jugendämter 75 Kinder in Obhut, mussten sie 2009 148 mal tätig werden. Die Zahl war in diesem Zeitraum kontinuierlich gestiegen, ging jedoch vom 2008 erlangten Spitzenwert von 171 Fällen im Vergleich zum Folgejahr erstmals um 23 Fälle zurück. Unter den 148 Inobhutnahmen aus dem Jahr 2009 waren nach der Statistik von IT.NRW 77 Jungen und 71 Mädchen. In 50 Fällen wurden die Jugendämter auf den Wunsch der Kinder hin aktiv. In 98 Fällen lag der Verdacht einer Gefährdung zugrunde. (syl)Das sei ein Hilfeschrei der Mitarbeiter, die ihre Verantwortung für das Kindeswohl ernst nehmen. Die Selbstanzeigen liegen laut Strauch seit drei Wochen vor. "Und wir arbeiten an einer Entlastung."

Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers warnt im Gespräch mit dem GA vor einer voreiligen Generalisierung zur Frage, ob Jugendämter überlastet seien. Eindeutig sei aber, dass die Fallzahlen stark stiegen. So habe es 2009 in NRW 10 000 "Inobhutnahmen" von Kindern und Jugendlichen durch die Jugendämter gegeben, fünf Jahre zuvor waren es nur 7 600.

Hilgers: "Es gibt einen Trend zum Sparen am falschen Ende." Der Kinderschutzbundpräsident meint damit, dass bei den einfachen, präventiven Hilfen zu sehr gespart werde, was am Ende dazu führe, dass es zu mehr Heim-Einweisungen und Pflegefamilien-Fällen komme. Die aber seien komplizierter, arbeitsintensiver - und teurer.

Hilgers: "Für einen Sorgerechtsentzug können sie 30 präventive Hausbesuche machen". Und: "Alles was - zu - spät passiert, ist teuer und hat zudem eine geringe Erfolgsquote." Hilgers verwies darauf, dass es in den Jugendämtern noch immer keine Personalrichtwerte gebe. In gesetzlicher Vorbereitung sei nach dem Bremer Fall Kevin nur eine Höchstgrenze von Amtsvormundschaften pro Mitarbeiter.

Sie soll bei 35 bis 40 liegen. Als Richtwert für einen Pflegekinder-Dienst empfiehlt der Kinderschutzbund maximal 60 Kinder pro Mitarbeiter (20 Dauerpflegeplätze, 40 Tagespflegeplätze). Im Fall von Überlastungen der Jugendamtsmitarbeiter ist nach Hilgers Auskunft eine Überlastungsanzeige die unbedingte Voraussetzung, damit etwas geschieht. Reagiere die Behörde darauf nicht, könne sie sich im Einzelfall strafbar machen.

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